21 Das Angebot

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Der Rat war bereits zusammengekommen und auch die Königinmutter hatte  sich eingefunden und  thronte inmitten der hohen Herren in einem  Lehnstuhl.
Der König jedoch fehlte.
Ein Diener kündigte Thorn an, während er sich den versammelten Ratsmitgliedern näherte.
Sie  waren in Gespräche vertieft. Der Hohe Horcher, von dem es hieß, er  kenne das leiseste Flüstern in der entferntesten Küche des Landes,  sprach eindringlich auf die Königinmutter ein. Ihrer Miene zufolge  missfiel ihr, was er zu sagen hatte.
Sein Vater, der den Titel des  Ersten Verwalters innehatte, beugte sich gerade zum Obersten Kämmerer und  dem Obersten Bruder hinüber, die beide kaum verschiedener hätten sein können. Erster war über und über mit Juwelen behängt, von deren Farben die Augen in Taumel gerieten und der andere streng und nüchtern gekleidet.

Der Raum war hell erleuchtet und  auf dem Tisch standen einige Becher. Sie schienen nur Wasser zu  enthalten. Offenbar rechnete man damit, dass die Angelegenheit sich bis  tief in die Nacht ziehen konnte und wollte nüchtern bleiben.
Vor dem  Obersten Kämmerer lagen wenige, sorgfältig aufeinandergeschichtete  Blätter, auf denen er einige Zahlenreihen vermerkt hatte.
Als Thorn den Tisch erreichte, vollführte er eine ehrerbietige Verbeugung und wartete, was man von ihm verlangen würde.

„Ah,  der Ritter von Goldwald. Stattlich", bemerkte die Königinmutter  schließlich und er fühlte sich unter ihrem forschenden Blick wie ein  Gaul auf dem Markt.
„Es wurde Zeit", knurrte sein Vater in seine Richtung.
„Wir  haben Euch erwartet", begrüßte ihn der Hohe Horcher lächelnd. Er war  ein zurückhaltend gekleideter Mann im mittleren Alter, dessen  auffälligstes Merkmal seine völlige Unauffälligkeit war. Er wirkte,  sooft ihn Thorn zu Gesicht bekam, freundlich, vielleicht ein wenig  zerstreut.
Statt eines Schwertes trug er nur ein kurzes Messer am Gürtel, das eher den Eindruck eines Werkzeuges, als einer Waffe machte.
Es  hielt sich jedoch hartnäckig das Gerücht, dass die Klinge vergiftet sei  und schon ein kleiner Schnitt zum sofortigen Tod führe.
So harmlos  er wirken mochte, so wenig vertraute Thorn auf diesen Eindruck. Der  Flüsterer, eine weitere, der vielen Bezeichnungen für ihn, war  unzweifelhaft einer der gefährlichsten Männer des Landes.
Der Ritter wartete und verlagerte unruhig sein Gewicht. Was konnten sie von ihm zu dieser Stunde wollen?
„Ah,  ja. Ihr möchtet sicher wissen, wieso wir Euch zu so später Stunde so  geheimniskrämerisch haben rufen lassen", erriet der Hohe Horcher seine  Gedanken und nickte ihm freundlich zu. Der Mann war ihm unheimlich.
„Ich  will Euch nicht auf die Folter spannen, aber der Rat", er blickte sich  am Tisch um, „möchte zunächst sichergehen, dass Ihr der richtige Mann  für die besondere Aufgabe seid, die uns vorschwebt. Wie man hört,  versteht Ihr Euch mit unserer jungen Königin recht gut. Begleitet sie  häufig auf ihren Ausflügen; auch bei den letzten beiden wart ihr  zugegen."

Das ungute Gefühl in seinem Magen, das bisher wie ein kleines Tier geschlafen hatte, erwachte.
Thorn  antwortete vorsichtig: „Als Leibgarde Ihrer Königlichen Majestät ist es  meine Pflicht, für ihre Sicherheit zu sorgen. Alle acht Brüder sind  gleichberechtigt und versehen ihren Dienst beinahe zu gleichen Anteilen  an der Seite der Majestäten."
Er suchte den Blick des Obersten Bruders, der ihm wohlwollend zunickte.
Das  Lächeln des Flüsterers wurde noch wärmer. Der ganze Mann war der  Inbegriff von Freundlichkeit. „Beinahe", wiederholte der.
Thorns Misstrauen wuchs.
„Schildert uns doch bitte Euren Eindruck, von diesen letzten Ausflügen", forderte der Horcher ihn auf.
Die Augen des Ritters zuckten hinüber zu seinem Vater, aber der blickte nur finster in den Raum, ohne ihn zu beachten.
Aus seiner Miene ließ sich nichts ablesen.
Thorn  wollte wissen, wohin dieses Treffen führen sollte und entschloss sich,  ihr Spiel vorerst mitzuspielen. Was hatte er auch für eine Wahl? So  wiederholte er, was er heute schon sehr oft gesagt hatte:
„Die Lage  war jederzeit unter Kontrolle, es bestand keine Gefahr für Ihre  Majestät. Ihr Handeln mag manchmal unvorhersehbar sein, dies ist jedoch  ihr Privileg als Königin.
Sie war in keiner Gefahr und hat diese auch  nicht heraufbeschworen, falls Ihr darauf hinauswolltet", mutmaßte er.
Der  Hohe Horcher verschränkte die Hände auf dem Tisch. „Gewiss doch,  gewiss. Ihr habt Euch sicher untadelig verhalten, Herr Ritter." Sein  Lächeln hielt sich unbeirrt auf seinem Gesicht, auch als Thorns Vater  verächtlich schnaubte.
Die Königinmutter mischte sich ein: „Das klingt in meinem Ohren fast, als würdet Ihr ihr Handeln verteidigen?"
Er neigte demütig den Kopf. „Es steht mir nicht zu, das Handeln einer Königin zu beurteilen."
„Ha",  rief die Ältere aus. „Nach dem, was man über Euch hört, hätte ich nicht  erwartet, auf ein so schüchternes Gemüt zu treffen." Sie lehnte sich  zurück. Die Angelegenheit erheiterte sie anscheinend sehr.
Das Gesicht seines Vaters hingegen verfinsterte sich weiter, wie der Himmel, bevor ein Gewitter losbrach.
„Majestät,  ich verstehe nicht..." Thorn war verwirrt. Er schätzte es nicht,  ausgefragt und über alles im Unklaren gelassen zu werden.
„Nun ja." Die Königinmutter kniff die Lippen zusammen. „Es war noch nie viel Verstand nötig um den Mädchen zu gefallen."
Thorn dagegen gefiel die Richtung, die diese Unterhaltung nahm, in keiner Weise.
Er  verbeugte sich tief. „Bei allem Respekt, hat der König Kenntnis von  dieser Zusammenkunft? Ich hatte erwartet ihn hier anzutreffen."
„Der König muss nicht mit derartigen Dingen behelligt werden", erklärte dessen Mutter sofort.
„Und Ihre Majestät, seine Gemahlin?", fügte Thorn hinzu und beschwor damit den Unmut der Älteren herauf.
„Ich denke wir kommen sehr gut ohne die Beteiligung irgendeiner Gräfin vom Land aus", bemerkte sie spitz.
Das grenzte an Hochverrat.
Er  blickte sich erstaunt um. Sein Vater behielt seine finstere Miene bei,  der Oberste Kämmerer und der Oberste Bruder betrachteten eines der  Papiere.

Wenn der Schnee fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt