Der Rat war bereits zusammengekommen und auch die Königinmutter hatte sich eingefunden und thronte inmitten der hohen Herren in einem Lehnstuhl.
Der König jedoch fehlte.
Ein Diener kündigte Thorn an, während er sich den versammelten Ratsmitgliedern näherte.
Sie waren in Gespräche vertieft. Der Hohe Horcher, von dem es hieß, er kenne das leiseste Flüstern in der entferntesten Küche des Landes, sprach eindringlich auf die Königinmutter ein. Ihrer Miene zufolge missfiel ihr, was er zu sagen hatte.
Sein Vater, der den Titel des Ersten Verwalters innehatte, beugte sich gerade zum Obersten Kämmerer und dem Obersten Bruder hinüber, die beide kaum verschiedener hätten sein können. Erster war über und über mit Juwelen behängt, von deren Farben die Augen in Taumel gerieten und der andere streng und nüchtern gekleidet.Der Raum war hell erleuchtet und auf dem Tisch standen einige Becher. Sie schienen nur Wasser zu enthalten. Offenbar rechnete man damit, dass die Angelegenheit sich bis tief in die Nacht ziehen konnte und wollte nüchtern bleiben.
Vor dem Obersten Kämmerer lagen wenige, sorgfältig aufeinandergeschichtete Blätter, auf denen er einige Zahlenreihen vermerkt hatte.
Als Thorn den Tisch erreichte, vollführte er eine ehrerbietige Verbeugung und wartete, was man von ihm verlangen würde.„Ah, der Ritter von Goldwald. Stattlich", bemerkte die Königinmutter schließlich und er fühlte sich unter ihrem forschenden Blick wie ein Gaul auf dem Markt.
„Es wurde Zeit", knurrte sein Vater in seine Richtung.
„Wir haben Euch erwartet", begrüßte ihn der Hohe Horcher lächelnd. Er war ein zurückhaltend gekleideter Mann im mittleren Alter, dessen auffälligstes Merkmal seine völlige Unauffälligkeit war. Er wirkte, sooft ihn Thorn zu Gesicht bekam, freundlich, vielleicht ein wenig zerstreut.
Statt eines Schwertes trug er nur ein kurzes Messer am Gürtel, das eher den Eindruck eines Werkzeuges, als einer Waffe machte.
Es hielt sich jedoch hartnäckig das Gerücht, dass die Klinge vergiftet sei und schon ein kleiner Schnitt zum sofortigen Tod führe.
So harmlos er wirken mochte, so wenig vertraute Thorn auf diesen Eindruck. Der Flüsterer, eine weitere, der vielen Bezeichnungen für ihn, war unzweifelhaft einer der gefährlichsten Männer des Landes.
Der Ritter wartete und verlagerte unruhig sein Gewicht. Was konnten sie von ihm zu dieser Stunde wollen?
„Ah, ja. Ihr möchtet sicher wissen, wieso wir Euch zu so später Stunde so geheimniskrämerisch haben rufen lassen", erriet der Hohe Horcher seine Gedanken und nickte ihm freundlich zu. Der Mann war ihm unheimlich.
„Ich will Euch nicht auf die Folter spannen, aber der Rat", er blickte sich am Tisch um, „möchte zunächst sichergehen, dass Ihr der richtige Mann für die besondere Aufgabe seid, die uns vorschwebt. Wie man hört, versteht Ihr Euch mit unserer jungen Königin recht gut. Begleitet sie häufig auf ihren Ausflügen; auch bei den letzten beiden wart ihr zugegen."Das ungute Gefühl in seinem Magen, das bisher wie ein kleines Tier geschlafen hatte, erwachte.
Thorn antwortete vorsichtig: „Als Leibgarde Ihrer Königlichen Majestät ist es meine Pflicht, für ihre Sicherheit zu sorgen. Alle acht Brüder sind gleichberechtigt und versehen ihren Dienst beinahe zu gleichen Anteilen an der Seite der Majestäten."
Er suchte den Blick des Obersten Bruders, der ihm wohlwollend zunickte.
Das Lächeln des Flüsterers wurde noch wärmer. Der ganze Mann war der Inbegriff von Freundlichkeit. „Beinahe", wiederholte der.
Thorns Misstrauen wuchs.
„Schildert uns doch bitte Euren Eindruck, von diesen letzten Ausflügen", forderte der Horcher ihn auf.
Die Augen des Ritters zuckten hinüber zu seinem Vater, aber der blickte nur finster in den Raum, ohne ihn zu beachten.
Aus seiner Miene ließ sich nichts ablesen.
Thorn wollte wissen, wohin dieses Treffen führen sollte und entschloss sich, ihr Spiel vorerst mitzuspielen. Was hatte er auch für eine Wahl? So wiederholte er, was er heute schon sehr oft gesagt hatte:
„Die Lage war jederzeit unter Kontrolle, es bestand keine Gefahr für Ihre Majestät. Ihr Handeln mag manchmal unvorhersehbar sein, dies ist jedoch ihr Privileg als Königin.
Sie war in keiner Gefahr und hat diese auch nicht heraufbeschworen, falls Ihr darauf hinauswolltet", mutmaßte er.
Der Hohe Horcher verschränkte die Hände auf dem Tisch. „Gewiss doch, gewiss. Ihr habt Euch sicher untadelig verhalten, Herr Ritter." Sein Lächeln hielt sich unbeirrt auf seinem Gesicht, auch als Thorns Vater verächtlich schnaubte.
Die Königinmutter mischte sich ein: „Das klingt in meinem Ohren fast, als würdet Ihr ihr Handeln verteidigen?"
Er neigte demütig den Kopf. „Es steht mir nicht zu, das Handeln einer Königin zu beurteilen."
„Ha", rief die Ältere aus. „Nach dem, was man über Euch hört, hätte ich nicht erwartet, auf ein so schüchternes Gemüt zu treffen." Sie lehnte sich zurück. Die Angelegenheit erheiterte sie anscheinend sehr.
Das Gesicht seines Vaters hingegen verfinsterte sich weiter, wie der Himmel, bevor ein Gewitter losbrach.
„Majestät, ich verstehe nicht..." Thorn war verwirrt. Er schätzte es nicht, ausgefragt und über alles im Unklaren gelassen zu werden.
„Nun ja." Die Königinmutter kniff die Lippen zusammen. „Es war noch nie viel Verstand nötig um den Mädchen zu gefallen."
Thorn dagegen gefiel die Richtung, die diese Unterhaltung nahm, in keiner Weise.
Er verbeugte sich tief. „Bei allem Respekt, hat der König Kenntnis von dieser Zusammenkunft? Ich hatte erwartet ihn hier anzutreffen."
„Der König muss nicht mit derartigen Dingen behelligt werden", erklärte dessen Mutter sofort.
„Und Ihre Majestät, seine Gemahlin?", fügte Thorn hinzu und beschwor damit den Unmut der Älteren herauf.
„Ich denke wir kommen sehr gut ohne die Beteiligung irgendeiner Gräfin vom Land aus", bemerkte sie spitz.
Das grenzte an Hochverrat.
Er blickte sich erstaunt um. Sein Vater behielt seine finstere Miene bei, der Oberste Kämmerer und der Oberste Bruder betrachteten eines der Papiere.
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Wenn der Schnee fällt
Ficção HistóricaIntrigen, Verrat und enttäuschte Hoffnungen mit einem Hauch Romantik. Eine mittelalterlich-fantastische Geschichte über das Ringen um einen Platz in der Welt. Adhara soll überraschend den König heiraten. Nie hätte sie geglaubt, so weit aufzusteigen...