5: Heißersehnter Morgen und feindselige Fremde

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Seine blonden Haare klebten ihm im Gesicht, das von Schlammspritzern befleckt war. Und dieser Jäger schien jung, etwa mein Alter und demensprechend unerfahren oder übermütig. Oder beides. Jedenfalls kam ihm niemand zur Hilfe, nicht einmal einer der anderen Jäger. War er allein losgezogen?

Ich rückte dichter an seinen Körper heran. Meine Wärme sprang allmählich auf ihn über und sein Körper, der das Zittern eingestellt hatte, um Energie zu sparen, erbebte wieder. Einige Minuten würde es noch dauern, ehe er ruhig schlafen konnte. Nun ja, mehr oder weniger ruhig.

Der Morgen kündigte sich mit leisem Vogelgesang und einer unangenehmen Feuchte an. Ich regte mich nicht, nicht einmal, als der Mensch an meiner Seite aufwachte. Er hatte die Nacht relativ gut überstanden und ich wollte ihn nicht schon wieder in Aufregung versetzen. Aber es schien auch hirnrissig zu glauben, er würde mich nicht bemerken und entspannt aus dem Wald spazieren.

Einen Moment benötigte er jedoch, um ganz bei Bewusstsein zu sein und sobald er mich sah, wich ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht. Ich konnte dabei zusehen, wie sein Instinkt arbeitete und versuchte, die Situation zu lösen. Er erstarrte erst, blinzelte dann und rutschte auf dem Hinterteil von mir weg. Völlig verdutzt fixierte er mich, machte aber keine Anstalten mich anzugreifen, somit drehte ich einzig meinen Kopf zu ihm und erwiderte seinen Blick.

„Was zum-", begann er und brach ab, als Rufe durch den Wald hallten. Menschliche Stimmen.

Ich sprang auf und wollte fliehen, doch meine Spuren würden mich verraten. Mein Herz donnerte gegen meine Brust und ich ertappte mich dabei, wie ich hilflos von rechts nach links wankte. Von wo kamen sie? Wie viele Jäger waren es? Kamen sie aus verschiedenen Richtungen? Bewaffnet? Auf Crossbikes?

Zu viele Fragen, zu wenig Zeit, um es herauszufinden. Mein eigenes Winseln erschreckte mich und auf einmal stand der blonde Jäger vor mir. Er hatte die Hände ausgestreckt und bewegte sie langsam auf und ab, als wollte er mir andeuten, ich solle die Ruhe bewahren. Nun ja, es klappte, da ich ihn nun verwirrt beobachtete, statt weiter im Kreis zu laufen.

„Geh", wies er mich an. Seine grünen Augen bannten meine für eine Sekunde, dann zeigte er hektisch nach Westen und hielt sich den offenbar schmerzenden Arm. „Schnell", fügte er hinzu und schien mich scheuchen zu wollen, doch er verwarf diesen Gedanken rasch wieder. „Lauf endlich, oder sie werden dich sehen!"

Meine Muskeln zuckten, zerrten an meinem Fleisch und ich begann zu rennen. Immer weiter und weiter gen Westen. Ich hörte die Stimmen, die Motoren und betete, dass keine Schüsse folgten. Ich musste Heim, musste mich in Sicherheit bringen und fühlte neben der Angst auch die Freude in mir aufsteigen. Er hatte überlebt. Und er hatte mir zusätzlich geholfen zu fliehen.

Ich hätte Luftsprünge machen können, wenn ich nicht mitten im Sprint gewesen wäre und meine Gedanken bereits um die anderen kreisen würden. Sicherlich hatten es meine Brüder und mein Vater nach Hause geschafft. Aber wie ging es dem Einzelgänger? Seine Verletzungen schienen tief und er musste sehr viel Blut verloren haben. Lebte er wohl noch?

Keuchend und mit zittrigen Beinen erreichte ich nach einiger Zeit unser Haus. Am Kiesweg bog ich ab und tauchte tiefer ins Gestrüpp, dorthin wo meine Kleidung lag. Die frische Morgenluft auf meiner nackten Haut brachte mich zum Frösteln und ich war froh, als ich schließlich ins Haus eintrat. Eine wohlige Wärme erfasste mich und meine Glieder entspannten sich. Nur für ein paar Sekunden, denn dann erfasste mich die Spannung, die in der Luft lag.

Ich ging ins Wohnzimmer und wich gleich wieder zurück, weil mich Ian sonst umgerannt hätte. Er erkannte mich, doch statt Freunde stand ihm Unsicherheit ins Gesicht geschrieben. Noch bevor ich fragen konnte, was los war, grummelte er: „Die spielen da drin böser Wolf" und stürmte weiter in den Flur. Von da aus die Treppe hinauf in den ersten Stock und war schon wieder verschwunden.

between FangsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt