Wenige Meter von uns entfernt, versteckte sich eines dieser Biester, die meine Familie seit Jahrzehnten jagte. Ich wusste es, mein Bruder wusste es und selbst Mina hatte den anderen Werwolf ganz offensichtlich bemerkt. Sie spitzte die dunklen Ohren, duckte sich etwas und sträubte das Nackenfell, während ihre hellblauen Augen sich auf etwas fixierten. Hatte sie den lauernden Wolf bereits entdeckt, den wir suchten?
Auf einmal festigte sie ihren Stand. Sie wirkte konzentriert, die Muskeln angespannt und die Lefzen zuckten, als wolle sie gleich ihre Reißzähne entblößen und angreifen. Frage sich nur, wen sie angreifen würde.
Der vermeintliche Angriff blieb allerdings aus, also nutzte ich die Gelegenheit, ihr unsere Verbindung in Erinnerung zu rufen. Sofort reagierte sie auf die unsichtbaren Fesseln, die ich vorsichtshalber um sie legte. Nun galt ihre Aufmerksamkeit mir, aber sie wirkte nicht ruhiger, sondern zornig. Die Augen zu Schlitzen verengt, schritt sie auf mich zu. Ihr gesamter Körper stemmte sich gegen die Bändigung und ich musste die Ketten fester zurren, bis sie endlich stoppte.
„Was ist los Samuel?", wollte mein Bruder wissen und sich vergewissern, dass ich mein Werwolf nicht auch noch Amok lief. Seine Schusswaffe hielt er bereits in beiden Händen und zielte in den Wald hinein. „Wir sind noch nicht umzingelt. Ich habe nur einen von ihnen gesehen. Halt dein Biest gefälligst ruhig."
Minas Knurren verschreckte uns beide, doch ich besaß noch immer die Kontrolle über sie, demnach hätte sie uns nicht aus dem Nichts anfallen können. Auch wenn ihr die Gefangenschaft nicht gefiel, es reichte, dass wir gegen ein ganzes Rudel kämpfen mussten, um unsere Heimat, Freunde und Familien zu beschützen. Da brauchte ich nicht auch noch einen einzigen, weiteren Werwolf, der mir in den Rücken fallen und seine Wut an den Menschen auslassen könnte.
Einen Moment. Wieso zeigte sie mir plötzlich die Zähne, wo sie doch vor dem Aufbruch zur Jagd so zugänglich und dankbar mir gegenüber gewesen war? Woher stammte der Wandel? Egal, wir würden ihre Kraft brauchen, wenn uns einer dieser wildgewordenen Monster aus dem Hinterhalt angriff, also durfte ich sie nicht freigeben.
„Irgendwo hier muss er sein", sagte ich zu Reece, schaute jedoch Mina an. „Wenn wir uns nicht beeilen, sind wir Hackfleisch."
Mina zuckte nicht einmal, während ich mich unseren Untergang verkündete, mich an meine Folter und den beinahe Tod in der Höhle erinnerte. Entweder war sie mittlerweile so abgestumpft, dass ein weiterer toter Mensch ihr nichts mehr ausmachte, oder ... oder wir befanden uns gar nicht in Gefahr? Natürlich! Ihr Zorn richtete sich gegen Reece und mich, aber sie würde uns nicht bereitwillig opfern, andernfalls hätte sie sich nicht die Mühe machen und mich retten müssen. Was wanderte dann in den Schatten des Waldes umher?
In zwei Sätzen schloss ich zu ihr auf und sie trat sogleich einige Schritte zurück, als hätte ich sie verängstigt. Ihr Blick wanderte fast unbemerkt von mir und sicherlich unbemerkt von meinem Bruder in den Wald. Mal sah sie zwischen die Kiefernbäume hindurch, dann spähte sie in das Buschwerk zu unserer Rechten und wieder zu mir.
„Wer ist da im Wald?", fragte ich sie so leise, dass Reece mich niemals hätte verstehen können. Mina hingegen spitze die Ohren. „Bitte sag mir, dass die diesen Werwolf da draußen kenntst."
Es war den Versuch wert, sie zu fragen und auf eine Antwort zu hoffen, obwohl sie mir nicht wortwörtlich antworten könnte. Also wartete ich auf eine Reaktion, die ich einordnen könnte, doch der Wolf vor mir blickte mich mit großen Augen an.
„Ist es dein Zwilling?", hakte ich weiter nach und sie sackte in sich zusammen. „Was ..." Ich hielt meinen Mund, musste nicht weiter nachfragen, was sie jetzt tun wollte, denn es war eindeutig. „Okay, geh zu ihm. Ich werde Reece schon irgendwie ablenken."
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between Fangs
WerewolfMina hat ein Geheimnis: Sie ist ein Werwolf. Genau wie ihre Brüder und ihre Eltern. Lange waren sie auf der Flucht vor den Werwolfjägern, haben endlich eine halbwegs ruhige Kleinstadt gefunden, in der sie sich niederlassen konnten. Doch das Glück st...