44: Freundliche Feinde und feindliche Freunde

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Ian! Ich schmiegte meinen Kopf an seinen Hals, nachdem wir etwas zu heftig gegeneinander gestoßen waren, aber die Freude unseres Wiedersehens in Freiheit ließ diese Schmerzen schnell verklingen. Dennoch spürte ich, wie sehr er zitterte. Wir müssen von hier verschwinden.

Er schaute mich mit großen Augen an und wir liefen los. Die Tatsache, dass ich bis gerade eben noch mit den beiden Jägern unterwegs gewesen war, gab mir nun das nötige Wissen, um sie ungesehen umgehen zu können.

Ian folgte mir, aber ich sah ihm die Angst und den Zweifel noch immer an. Ganz langsam fiel sein Blick auf meinen Hals. Dorthin, wo einst die Male der Bändigung wie Verbrennungen prangten und nun weg waren. Er wusste, wie sie eigentlich aussahen und sich anfühlten, deswegen sprach er mich wohl noch nicht darauf an.

Ich atmete tief durch und erhaschte den feinen Geruch eines anderen Werwolfes. Kaum erkennbar, von der Luft verwischt und so dünn gehalten, dass ich ihn normalerweise nicht hätte wittern können. Allerdings schärften Furcht und Adrenalin meine Sinne, also ging ich der Spur nach. Immerhin würden wir in der Nähe eines Werwolfes sicherer sein, als in der eines Jägers. Oder irrte ich mich da etwa?

Wie ..., hörte ich Ians Stimme kaum wahrnehmbar in meinem Kopf und schaute zu ihm zurück. Wie bist du den Jägern entkommen?

Ich zögerte, wollte ihm nicht sofort antworten, weil ich mir meine plötzliche Freiheit selbst nicht erklären konnte. Allein die Gedanken, die ich an Sam und das eben Geschehene verschwendete, verbrannten mich innerlich. Als seien die Fesseln noch um meinen Hals geschlungen, zerrte und riss dieses seltsame Gefühl an mir. Oder war es die Magie der Bändigung, die mich noch immer kontrollierte?

Mina? Abermals schlich sich die leise Stimme meines Bruders in meinen Kopf und ich sah ihn direkt an. Sein Körper wirkte mager, die Schulterblätter und Hüftknochen stachen aus seinem rötlichen Fell hervor. In seinen Augen jedoch erkannte ich wieder Leben und Hoffnung aufflackern.

Sag mir, wie du den beiden Jägern entkommen bist und wieso die Male deiner Bändigung verschwunden sind, forderte er nun.

Er hat mich gehen lassen, erwiderte ich schließlich und schluckte trocken. Sam ... er hat mich einfach gehen lassen, weil er wusste, dass ich dir und meiner Familie helfen möchte. Nicht mehr und nicht weniger. Ich verstehe es ehrlich gesagt auch noch nicht.

Einfach so, hakte er nach und verzog das Gesicht, während er trabend zu mir aufschloss. Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Schon gar nicht, nachdem er so viel Energie in deine Bändigung gesteckt hat.

Nun ja, wirklich gebändigt war ich nie, gestand ich ihm. Sams Bändigung war nie vollkommen, aber er konnte mich trotzdem kontrollieren, solange ich mich nicht allzu sehr dagegen gewehrt habe. Doch das ergibt keinen Sinn, vielleicht kommt meine Ratlosigkeit daher?

Was meinst du damit? Ian machte einen kleinen Satz nach vorn, wodurch er sich vor mich mogelte und mich von unten herauf anschaute. Seine braunen Augen wurden schmaler und schmaler. Du willst doch nicht etwa zurück zu ihm?

Ich schüttelte leicht den Kopf und beschleunigte mein Tempo, damit ich wieder vor meinem Bruder herlief. Außerdem nahm ich die Fährte erneut auf, der ich zuvor gefolgt war und die nun stärker wurde.

Du konntest noch nie gut lügen, Schwesterherz.

Während seine Stimme nur in meinem Kopf widerhallte, hörte ich seinen Seufzer auch ohne die telepathische Verbindung, die zwischen den Mitgliedern jedes Rudels bestand. Dennoch hatte er recht. Ich log ihn an oder konnte zumindest nicht ausschließen, dass ich Sam wiedersehen würde.

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