21: Blutiges Vertrauen und fallende Schüsse

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Ich sah den Wolf vor mir, wie ich ihn vor einigen Tagen, in dieser feuchten und eiskalten Nacht vor mir gesehen hatte. Sein dunkles, rostbraunes Fell hob sich so deutlich von den grünen Farnen und Blättern des Waldes ab, dass ich geradezu erstarrte. Es war derselbe Werwolf. Der Wolf, der mich in dieser einen Nacht – vermutlich – gerettet hatte. Diese strahlend blauen Augen, die mich so eisern bannten, würde ich nicht vergessen können und dennoch raste mein Herz so wie bei jeder anderen Jagd.

Das Gewehr, das ich eben noch auf ihn gerichtet hatte, ließ ich langsam sinken, als seien meine Arme zu schwer, um es länger hochzuhalten. Sobald der silberne Lauf den Boden berührte, schien es der rostbraune Wolf  zu merken und schaute fast neugierig auf. Ganz vorsichtig griff ich an meinen Helm, den ich noch immer trug, löste die Schnalle unter meinem Kinn und nahm ihn ab. Wahrscheinlich bildete ich es mir ein, aber der Werwolf machte einen Schritt rückwärts, als er mein Gesicht sehen konnte.

„Sam!", schrie Mica angestrengt. Er lag noch immer unter dem anderen Werwolf, der uns zuvor angegriffen hatte und sogleich war ich wieder voll konzentriert. „Schieß endlich!", fügte mein Freund hinzu und kämpfte gegen die Kiefer des Wolfes an, der über ihm ragte.

Allerdings schien der Werwolf über ihm zu realisieren, auf wen ich schießen würde und sprang knurrend von Mica herunter. In einer geschmeidigen Bewegung stieß er den rostbraunen Wolf zur Seite, beschützte ihn damit und nun war ich sein Ziel. Er stürmte haltlos auf mich zu, die Pfoten rissen den Boden auf. Das gewaltige Maul öffnete sich vor mir, die weißen Reißzähne blitzen auf und ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Haut. Ich schlug mit meinem Gewehr nach der Bestie und musste es ihm wohl in den Brustkorb oder auch in seine Kehle gerammt haben, denn er wich strauchelnd und keuchend vor mir zurück. Allerdings ging auch ich zu Boden, weil mein noch immer verletztes Bein nachgab und mein Gewicht nicht mehr tragen konnte. Ein Nachteil, den ich von Anfang an für die heutige Jagd in Kauf genommen hatte, weil ich wieder raus wollte. Weil ich jagen musste.

Ich meinem Kopf hörte ich bereits Micas tadelnde Worte. Ich hätte, wenn es nach ihm ging, weder die Krücken frühzeitig beiseitelegen, noch mit auf eine Jagd kommen sollen. Aber das alles machte nun auch keinen Unterschied mehr, weil der hellbraune Wolf bereits drauf und dran war, mir die Kehle zu zerreißen. Ich kroch stöhned vor Schmerzen von dem gewaltigen Biest weg. Sein Körper regte sich und das Maul schnappte nach mir. Doch bevor dieser meinen schwachen Moment ausnutzen konnte und mein Bein zu packen bekam, stellte sich der dunklere Wolf ihm in den Weg.

Erstaunt vergaß ich zu atmen, während ich den Rücken dieses mächtigen Tieres vor mir sah. Nur wenige Zentimeter trennten mich von ihm und hätte ich meine Hand ausgestreckt, lägen meine Finger auf seinem rostbraunen, beinahe schwarzen Fell. Ich war mir nun sicher, dass er mich beschützte. Die Frage war nur warum?

Die Werwölfe knurrten einander an, schienen regelrecht zu streiten und ich konnte mir nur zu gut vorstellen, was der Grund dafür war. Während der hellere Wolf versuchte, sich an dem anderen vorbei zu drängen, spiegelte dieser die Bewegungen und stellte sich immer wieder vor mich. Der Helle wurde sichtbar wütender, griff den Dunklen allerdings nicht an, sondern fletschte nur noch eindrucksvoller als zuvor die Zähne.

Ich begann fest daran zu glauben, dass der rostbraune Wolf mich vor dem anderen beschützte und musste bei dem Gedanken – der an sich völlig irrsinnig schien und allem, was ich erlebt hatte, wiedersprach – fast lachen.

Auf einmal erkannte ich im Augenwinkel, dass Mica wieder aufrecht stand und sein Gewehr auf den helleren Werwolf, der trotz des lauten Knurrens nicht noch einmal angegriffen hatte, richtete. Ich war mir in diesem Moment nicht im Klaren darüber, was ich eigentlich tat, aber ehe mein Kopf meinen Bewegungen folgen konnte, breitete ich bereits beide Arme vor den Werwölfe aus, sodass Mica nicht schießen konnte. Jedenfalls nicht, ohne mich zu treffen.

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