„Dante", knurrte ich auf Minas Gefrage und ihre auffordernden Augen. Die ganze Zeit über kam sie mir so nah, hatte keine Berührungsängste und versuchte, mir zu helfen. Ich konnte ihr nur nachgeben.
Danach sank ich in die weichen Polster des Sofas und verlor abermals das Bewusstsein, was in dieser Situation sicherlich förderlich für mich gewesen war. Denn ich wollte ihnen weder etwas über mich, noch über meine Vergangenheit oder meine Beweggründe dafür erzählen, warum ich in ihr Revier eingedrungen war. Nicht nur das, ich hatte auch noch ihre Jäger angegriffen, die sie offensichtlich beschützten.
Müde öffnete ich die Augen und starrte in die Dunkelheit. Es dauerte einen Moment, bis meine Augen sich an das fahle Mondlicht, das von der Terrasse durch die große Fensterfront ins Wohnzimmer schien, gewöhnt hatten. Einige Male blinzelte ich den Schlaf aus den Augen und richtete mich mühsam auf. Meine Arme und Beine waren schwer wie Blei. Ich konnte mich nur langsam richtig hinsetzen, musste mich erst einmal ausgiebig strecken, ehe ich meine Verletzungen untersuchen konnte. Meine Seite pochte noch immer, aber die Wunde hatte sich geschlossen, nässte also nicht mehr. Dank Mina, die mich verbunden hatte.
Ein weiblicher Werwolf, was für eine Seltenheit. Immerhin waren sie wesentlich schwächer als die männlichen Exemplare und versuchten, die Verwandlung zu einem Wolf so selten wie möglich zu durchleben. Mina hatte sich jedoch problemlos in ihrer Wolfsgestalt bewegt und vermutlich auch verwandelt. Mehr noch, sie hatte mich sogar vor sich her gescheucht und war einem oder mehreren Jägern entkommen. Dass ich ihr auf meinem Weg begegnet war, konnte ich noch immer kaum glauben. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal eine Werwölfin gesehen hatte, doch es musste Jahre her sein. Vielleicht als ich gerade mal vier oder fünf Jahre alt gewesen war. Und als mein Rudel noch lebte.
Ich kratzte meinen Hinterkopf, an dem ebenfalls getrocknetes Blut klebte und stöhnte leise auf. Was nun? Mein Plan, die Jäger auszulöschen, war ziemlich nach hinten losgegangen und zudem hatte ich diesem Rudel einige Probleme bereitet. Nun ja, sie sollten sich besser wie richtige Werwölfe verhalten, statt sich unter die Menschen zu mischen und heile Welt zu spielen. Denn diese Welt war alles andere als heil.
Wir wussten damals nicht, wie uns geschah. Keine Ahnung von wem die Menschen, insbesondere die Jäger von uns erfahren hatten, aber sie machten kurzen Prozess. Sie töteten in einer Nacht zwei meiner Geschwister und meine Großeltern. In der nächsten Nacht, in der wir einige Kilometer zwischen uns und diese blutrünstigen Menschen gebracht hatten, fand der zweite Angriff statt. Sie hatten uns in einen Hinterhalt getrieben. Abermals kamen die Jungen und Alten um, während ich mich verletzt zum Fluss, der in den Gebirgen entsprang, schleppte. Einer von den Jägern folgte mir mit dem Ziel, mich umzubringen. Doch mein Vater kam ihm zuvor, streckte ihn nieder und die darauffolgenden drei. Dem Vierten war er nicht mehr gewachsen. Einige Schüsse fielen in dieser Nacht. In der Ferne und vor meinen Augen. Ich erschauderte, als die Bilder vor meinem inneren Auge aufblitzen. Mein Vater, der sich auf die Angreifer stürzte, schwer verletzt und mit dem Mut von zweitausend Wölfen. Wie er fiel und leblos vor seinen Mördern lag.
Ich schluckte schwer und schmeckte das Blut, das ich auch damals in meinem Mund schmeckte. Mein eigenes. Niemals würden die Menschen für diese Schandtat bezahlen können. Kein Tod würde diesem Massaker gerecht werden und dennoch würden sie alle um ihr Leben flehen müssen. Mich trieb ein Gift namens Rache, das wusste ich und sie schien mich bisher am Leben gehalten zu haben. Aber etwas in meinem Inneren erinnerte sich an die Wärme eines Rudels. Einer Familie, die sich um einen sorgte und beschützte. Ein Grund mehr, warum ihr Verlust so schmerzhaft und geradezu tödlich für mich war. Sie alle waren fort und ich starb langsam vor mich hin, allerdings nicht ohne so viele der Menschen mit mir zu nehmen, wie ich konnte.
Leise Schritte weckten mich aus meinen Gedanken. Ich hörte sie kaum kommen, so sanft setzte sie einen Fuß vor den anderen. Ihre Bewegungen glichen einer Feder, die man immer wieder anpustete, damit sie nicht den Boden berührte. Sobald Mina bemerkte, dass ich wach war, schreckte sie zurück und hielt ihre Hände vor die Brust. Um ihr den Schreck zu nehmen, ließ ich mich müde zurück in die Polster des Sofas fallen. Kam sie, um nach mir zu sehen? Bewachte mich nicht einer ihrer Brüder? Würde sie mir auch jetzt, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ich wohlauf war, näher kommen?
„Geht es dir besser, Dante?", fragte sie und legte den Kopf schief. Sie stand noch immer im Türrahmen zum Wohnzimmer, hatte sich also nicht weiter hineingewagt. Aber sie sprach meinen Namen in einem so wohlklingenden Ton aus, dass ich beinahe aufgestanden und zu ihr gegangen wäre. Stattdessen winkte ich leidenschaftslos mit der Hand, in der Hoffnung sie würde verschwinden. Ich konnte gerade keine Wärme ertragen.
Leider hatte sie andere Pläne und die leisen Schritte kamen nun schnell auf mich zu. Ich öffnete ein Auge, blinzelte nur kurz und sah sie schon vor mir. Ihre kupferroten Haare umspielten ihr Gesicht, fielen ihr wie ein Schleier über die Schultern und mussten sie stören, so wie sie ihr im Sichtfeld hingen. Wieder sah sie mich direkt an, streckte eine Hand nach mir aus und wollte wohl schauen, ob ich Fieber hatte, doch ich schlug ihre Hand von mir.
„Entschuldige", sagte sie daraufhin und machte einen Schritt rückwärts. „Ich wollte dich nicht verärgern", sie atmete hörbar aus, seufzte beinahe und schlang ihre Arme dann um ihren Oberkörper. „Kannst du nicht schlafen?", wollte sie nun wissen und versuchte scheinbar, ein nettes Gespräch zu erzwingen.
„Du kannst es scheinbar nicht", entgegnete ich so kalt ich konnte und drehte ihr den Rücken zu, aber mein Herz raste. „Ich brauche niemanden, der mich bemuttert."
„Ich bemuttere dich doch nicht", empörte sie sich flüsternd. „Ich wollte nur sichergehen, dass du noch lebst, nachdem wir dich zumindest versuchen, gesund zu pflegen."
Ich reagierte nicht mehr auf sie, wollte nicht reden oder ihre irrsinnige Weltanschauung verstehen. Schlaf war das, was mir fehlte. Nicht mehr und nicht weniger, also würde ich jetzt schlafen. Und das tat ich auch. Schneller als gedacht.
Mina musste gegangen sein, jedenfalls konnte ich sie nach meinem kurzen, aber erholsamen Nickerchen nirgends sehen.
Mein Körper ächzte. Meine Gelenke knackten und knirschten, als ich mich aufsetzte. Ich wollte nicht hierbleiben, musste weiter. Fühlte mich rastlos und schwach. Allerdings nässten meine tiefen Wunden nicht mehr, verheilten trotz all dem Chaos und der Prügeleien mit den anderen Werwölfen verhältnismäßig schnell. Also entschied ich mich zu gehen. Einerseits, weil meine Rache mich weiter trieb, andererseits auch weil ich sie nicht in Gefahr bringen wollte. Mein Herz war wohl doch noch nicht komplett eingefroren, auch wenn ich es mir hin und wieder wünschte. Denn es wäre so viel einfacher, nichts mehr zu spüren, den Schmerz zu vergessen und ihn anderen zuzufügen. Die kurze Zeit bei diesem Rudel öffnete die Wunden aus längst vergangener Zeit. Tiefe Wunden in meiner Seele, die ich hoffte, bald zu vergessen. Wenn alles vorbei wäre.
Morgen,wenn alle das Haus verlassen hatten, würde ich durch die Glastür auf die Terrasse gehen und mich noch in ihrem Garten in meine Wolfsgestalt verwandeln. Dann würde es für mich nur noch in Richtung Freiheit gehen. In die Richtung, in der mich auch meine Rache erwartet. Meine gerade verschlossenen Wunden brannten allein beim Gedanken an eine Verwandlung, drohten gar aufzureißen, aber ich musste hier weg.
DU LIEST GERADE
between Fangs
Hombres LoboMina hat ein Geheimnis: Sie ist ein Werwolf. Genau wie ihre Brüder und ihre Eltern. Lange waren sie auf der Flucht vor den Werwolfjägern, haben endlich eine halbwegs ruhige Kleinstadt gefunden, in der sie sich niederlassen konnten. Doch das Glück st...