49: Erholsame Nächte und aufreibende Tage

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Ich hätte nie gedacht, dass Strapazen ein solches Muster aus Erschöpfung und Verletzungen auf einem Menschen hinterlassen konnten. Jede seiner Narben gehörte einem Abschnitt unserer Geschichte an und obwohl er noch immer bewusstlos in seinem Krankenbett lag, schienen ihn die noch unverheilten Wunden zu schmerzen.

„Du sitzt ja noch immer hier", brummte Raphael, der mit Mica und einem weiteren Jäger im Schlepptau ins Zimmer kam. Sachte legte er eine Hand auf meinen Kopf und wuschelte mir durchs Haar. „Du sollst mit Ian die nächste Suche leiten."

„Wer sagt das?"

„Ich oder hörst du schlecht?"

Mit einem Grinsen im Gesicht wandte er sich von mir ab und winkte mich zu sich. Ich atmete durch und versicherte mich, dass Sam noch atmete. Die vergangenen Tage und Nächte zerrten an meinen Nerven, vor allem aber an meinen Kräften. Durch den Wald zu rennen und nach einer Fährte zu suchen, würde mir sicher nicht schaden. Sam wiederum würde – soweit ich die Geräte und Zahlenanzeigen deuten konnte – nicht so schnell aufwachen.

„Keine Angst", hörte ich Mica neben mir und zuckte leicht zusammen. „Ich pass auf, dass dieser Idiot sich nicht ins nächste Chaos stürzt, sobald er aufwacht."

Nickend stand ich auf und folgte meinem Bruder aus dem Hauptquartier der Jäger hinaus auf den Vorplatz. Dort sammelten sich bereits fünf Dreiergruppen, unter ihnen auch Jule, was ich weniger begrüßte. Nur wenige Tage waren vergangen, seitdem sie die Kontrolle über Ian gehabt hatte und jetzt sollten wir gemeinsam mit ihr nach Chay jagen?

Wir hatten uns zwar mit den Jägern verbündet, aber es lief noch lange nicht alles so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Kein Wunder, denn für die meisten Menschen existierten wir entweder nicht oder stellten immer noch eine Gefahr das, obgleich wir ihre Kämpfer unterstützten. Die Zeit würde zeigen, wie es weiterginge und mir fiel auf, wie sehr Sam uns hätte helfen können. Ohne ihn gab es nur Mica und Jule, die uns vertrauten oder wenigstens ihre Vorteile erkannten, wenn sie mit uns zusammenarbeiteten.

Mit der kleinen Truppe durchkämmten wir die Wälder südlich unserer Heimat. Ian, unser bester Fährtenleser, hatte vor wenigen Tagen Chays Geruch aufgenommen, doch unsere Befürchtung bestätigte sich nicht. Außer dieser Spur gab es keine weiteren und egal wie angestrengt wir suchten, wir fanden weder Spuren noch die Wölfe.

„Kommen sie wirklich zurück?", fragte Ian mich auf dem Rückweg. Wir hatten uns nach der Rückverwandlung in den Quartieren der Jäger duschen und umziehen dürfen und wirkten nun ausgeruht.

„Chay wird abwarten. Bis er die ideale Chance sieht, uns zu vernichten", erwiderte ich und schnürte mir den linken Schuh zu. „Die Jäger sind geschwächt und haben einige ihrer Leute verloren, deswegen müssen wir Präsenz zeigen. Ich hoffe einfach, dass Chay noch nicht angegriffen hat, weil wir hier sind."

„Wahrscheinlich hast du recht, aber heute brauchst du nicht hierbleiben."

Ich schaute von meinen Schuhen auf und Ian stemmte die Hände in die Seite. Er verlagerte sein Gewicht vom linken auf sein rechtes Bein, wandte seinen Blick aber nicht ab.

„Du warst die ganze Woche hier, Schwesterherz. Mutter und Vater vermissen dich, außerdem können wir Dante nicht mehr lange davon abhalten, im Hauptquartier der Jäger aufzutauchen und ich denke, darauf können wir alle verzichten."

Seufzend richtete ich mich auf und nickte müde. Ja, Dante war noch immer kein umgänglicher Werwolf, sobald es um die Jäger ging. Er hielt sich zurück, aber jeder konnte spüren und sehen, wie sehr es ihm missfiel, zusammenzuarbeiten.

Auf dem Vorplatz der Jäger wurde ich von Mica abgefangen. Einen Augenblick hoffte ich, dass Sam endlich aufgewacht sei, Mica bot mir jedoch an, mich nach Hause zu fahren. Da sich meine Glieder wie Blei und mein Kopf wie ein aufkochender Topf mit Wasser anfühlten, willigte ich ein. Dir Fahrt blieb kurz, aber als ich die Tür des Autos zuschlagen wollte, stoppte mich Mica.

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