9: Ungeduldige und leichtsinnige Krücke

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„Sam!", rief mir mein Freund und Partner hinterher, als ich mich umständlich aus meiner Krankenkluft schälte. Mein Bein schmerzte und ich musste vorsichtig sein, damit weder die frischen Nähte sich öffnen, noch die zusammengebastelten Knochenfragmente sich erneut entzweiten. Denn dank meines Sturzes in den Bach, war ich nicht nur unterkühlt ins Krankenhaus eingeliefert worden, sondern auch noch mit einer Bisswunde und einem gebrochenen Bein.

„Hey, Sam!", ertönte Micas Stimme zum zweiten, oder vielleicht auch dritten Mal und er hatte seine Geduld mit mir verloren, packte mich und stieß mich zurück aufs Bett. „Sag mal, hast du dem Arzt denn überhaupt nicht zugehört? Du bist vor einer guten Stunde aus der Narkose aufgewacht, dein Körper läuft gerade mal so auf Sparflamme und du kommt auf die wahnsinnig clevere Idee, dich selbst zu entlassen?"

„Mhm", gab ich ihm als Antwort und versuchte abermals, in meine Hose zu schlüpfen, doch die massige Schiene, die mein Bein stützte, hielt mich davon ab. „Ich will ihn."

„Wie bitte?", Micas Stimme überschlug sich, während er sich grummelnd vor mich kniete und mir dabei half, in die Hose zu kommen. „Du willst jetzt nicht dem verdammten Werwolf hinterher, der dich beinahe umgebracht hat?", stöhnte er und sah mich mahnend von unten an. „Du bekommst noch eine saftige Strafe dafür, dass du alleine losgezogen bist. Reicht es dir denn noch nicht? Willst du dir noch einen Arm brechen und im Anschluss dein Genick?"

Mica konnte nicht wissen, welchen Werwolf ich verfolgen wollte. Immerhin hatte ich ihm meine doch sehr seltsame Begegnung mit dem rotbraunen Wolf verheimlicht, der mir eventuell sogar das Leben gerettet hatte. So sicher war ich mir da allerdings nicht, obwohl es mir mehr als nur seltsam erschien, dass ich diese Nacht überlebt hatte. Dass mir der zweite Wolf nicht einfach zerfleischt hatte.

„Samuel Layton!", schnaubte mein Freund meinen vollen Namen und schnippte mir gegen die Stirn.

„Was ist denn?", wollte ich wissen und spielte den Unschuldigen. „Du hilfst mir doch schon, also kann ich davon ausgehen, dass wir uns gleich auf die Bikes schwingen und-."

„Ja, na sicher", entgegnete Mica und wedelte mit den Händen vor meinem Gesicht herum. „Gleich nachdem wir dich aus deinem Land der Wunder und Dummheit herausgeholt haben. Kapierst du es nicht? Es ist ein Wunder, dass du noch lebst, spiel also nicht den Idioten." Seine Stimme brach ab und anstatt mir eine zu verpassen, stand er auf und ging zur Tür.

„Schon gut", lenkte ich schließlich ein. „Es tut mir Leid, wirklich", erklärte ich und er blieb stehen. „Kannst du mich dann wenigstens nach Hause fahren? Ich kann den Geruch nach Desinfektionsmittel und schlechtem Essen nicht ausstehen."

Seufzend kam er zurück, half mir in meine Schuhe und schmiss mich mit meiner Jacke ab, um mir danach auch noch mit den Krücken zu helfen. Ich unterschied die Entlassungspapiere und atmete begeistert die frische Luft draußen auf dem Parkplatz ein. Mica öffnete mir die Tür und ich kletterte in den Geländewagen. Sicher auf dem Sitz angekommen, knallte mein Freund die Tür zu und stieg ebenfalls ein.

„Oh", machte ich, als ich das Waffenarsenal auf der Rückbank entdeckte. „Ihr habt mein Gewehr gefunden", merkte ich anschließend an, als ich dieses in dem Haufen entdeckt hatte, aber Mica erwiderte nichts. Er schien wirklich sauer auf mich und meine Handlungen zu sein, also beschloss ich, für die nächsten halbe Stunde einfach mal still zu sein. Doch die Stille gab mir Zeit, über meine kindischen Taten nachzudenken und die Schuldgefühle krochen mir langsam den Hals hinauf. „Stört es dich, wenn ich das Radio-."

„535 hörst du mich?", rauschte die Stimme eines Jägers, der einige Ränge über Mica und mir war, durch das Funkgerät. 535 war die Nummer des Geländewagens, in dem wir saßen. „535 bitte melden."

„Hier 535", antwortete Mica genervt und ließ den Motor an. „Was gibt es?"

„Wir brauchen euch im westlichen Teil des Waldes. Die anderen Suchtrupps sind schon im Osten und Süden unterwegs. Der Norden ist sauber", beschrieb der andere die aktuelle Lage und ich spürte Adrenalin durch meinen Körper strömen.

„Das kann ich machen, aber ich habe noch einen der Verletzen dabei", gab Mica seine Einwände unterschwellig zu verstehen und ich hätte mich am liebsten eingemischt. Hätte am liebsten gesagt, dass es mir gut geht und ich mitkommen kann, aber das war nicht notwendig.

„Das ist egal", befahl der Jäger. „Nimm ihn mit. Es geht uns nur darum, die Lage einzuschätzen. Fragt bei den Anwohnern nach, ob sie etwas Merkwürdiges oder sogar einen Wolf gesehen haben."

„Aber ich dachte, wir haben die Werwolfssichtung noch nicht offiziell gemacht", konterte Mica gelassen.

„Tja", seufzte der Jäger am anderen Ende und seine Stimme wurde lauter. „Wir müssen bei unseren jungen Jägern wohl etwas härter durchgreifen, wenn wir noch lange bestehe wollen. Aber das ist eine andere Sache, fahrt jetzt los und befragt die Anwohner. Die Adressen solltet ihr haben."

Mica gab sich dem Jäger und dessen Befehl geschlagen, auch weil er ihm sowieso nicht widersprechen durfte. Der Wagen fuhr an und bretterte mit unheimlicher Geschwindigkeit das kurze Stück durch die Stadt und rauf auf die Autobahn. Um meinem Freund ein wenig unter die sicherlich müden Arme zu greifen, suchte ich im Navi die Adressen der Bewohner heraus, die ihr Leben lieber mitten im Wald verbrachten, als in der Zivilisation. Es gab nicht viele von ihnen und noch weniger, die Jugendliche in unserem Alter hatten, aber meine Erinnerung ließ bei diesem Gedanken ein zerknittertes, grimmiges Gesicht vor meinem geistigen Auge erscheinen.

„Hey sag mal", begann ich, ohne über meine Worte nachgedacht zu haben. „Haben wir nicht jemanden in unserer Klasse, der im Wald lebt?"

„Klar", entgegnete Mica und setzte den Blinker zur nächsten Abfahrt. „Dieser große, stämmige Typ, der mit keinem von uns reden will ... Er ist noch nicht lange bei uns, etwa zwei oder drei Monate. Hast du seinen Namen schon vergessen?"

„Nun ja ...", gab ich zu und wischte mir meine Haare aus dem Gesicht.

„Raphael Clarke", klärte mich mein Partner stöhnend auf. „Die anderen zwei sind Zwillinge und eine Stufe unter uns. Aber ihre Namen weiß ich gerade auch nicht."

„Und das, obwohl du doch immer so gut informiert bist", provozierte ich ihn neckend, aber er ging nicht auf mich ein, sondern ignorierte mich eiskalt.

Fein, sollte es eben so sein. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und positionierte mein geschientes Bein so, dass es etwas besser in den Fußraum des Wagens passte. Zumindest dauerte die Fahrt nicht allzu lange. Einmal weil Mica viel zu schnell fuhr – wahrscheinlich wollte er mich einfach nur zuhause abliefern und in Sicherheit wissen – und weil das Haus der Familie Clarke recht nahm am Waldrand stand. Jedenfalls näher, als ich erwartet hätte.

„Oha", brach es auf einmal aus mir heraus, als ich eines unserer Crossbikes in der Auffahrt sah. „Wir sind wohl heute nicht allein auf Stippvisite", nachdem ich aus dem Auto geklettert war, begrüßte uns bereits mein älterer Bruder.

„Na Samuel", sagte er grinsend und betrachtete meine Krücken, wobei ihm der blonde Zopf über die rechte Schulter fiel. Wir hatten beide das gute Aussehen unserer Eltern geerbt, aber er trug es mit stolz geschwellter Brust vor sich her. „Wie geht es dir, nach deinem Unfall."

„Alles bestens, Reece", entgegnete ich und humpelte zur Haustür. „Ich bin mal so frei und klingele." Und im selben Augenblick stand mein älterer Bruder neben mir und nahm mir diese schwierige Aufgabe ab.

" Und im selben Augenblick stand mein älterer Bruder neben mir und nahm mir diese schwierige Aufgabe ab

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