6: Gerösteter Speck und ein hasserfüllter Patient

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Draußen prangte die Sonne hoch am Himmel und die durch die Fenster einfallenden Sonnenstrahlen ließen die Staubpartikel im Licht tanzen. Ich tapste barfuß die Treppe hinab, nahm zum Schluss gleich zwei Stufen auf einmal und stoppte abrupt, als ich den schlafenden Mann auf unserem Sofa erblickte. Mein großer Bruder Raphael lehnte an der gegenüberliegenden Wand vom Sofa und musterte mich eindringlich. Seine grauen Augen und die zusammengezogenen Brauen gaben mir unmissverständlich zu verstehen, ich solle nicht glotzen, sondern gehen.

Ich verkrümelte mich in die Küche, schaltete den Herd ein und goss etwas Öl in eine Pfanne. Als dieses brutzelte, schmiss ich ein paar Speckstreifen hinterher und sog den Geruch ein. Einfach nur Speck zum Frühstück – oder besser gesagt Mittagessen – ähnelte mir eigentlich gar nicht, aber mein Körper schien nach Fett zu verlangen, also gab ich ihm heute mal etwas Ungesundes. Es dauerte auch nicht allzu lange, da stand Ian schon an meiner Seite und wollte etwas von dem Fleisch abgreifen. Auch Raphaels giere Blicke konnte ich spüren, doch er würde seinen Wachposten unter keinen Umständen verlassen, also brachte ich ihm eine Portion ins Wohnzimmer.

„Nicht mal der Geruch weckt ihn auf?", fragte Ian in die Runde, als wir alle den Fremden auf dem Sofa betrachteten. Einige der weißen Verbände, die ich ihm heute Früh angelegt hatte, waren bereits von kupferroten Flecken besudelt. Kein Grund zur Sorge, denn das meiste von dem Blut war getrocknet. Seine Wunden heilten in diesem Augenblick, aber er wirkte schwach und schlief fest.

„Besser, er schläft noch ein paar Stunden", beantwortete ich nicht ganz Ians Frage, doch das schien ihn wenig zu stören. Er nahm seinen Teller mit Speck und ging nach draußen. Ich lehnte mich neben Raphael an die Wand, was ihm sichtlich missfiel und sprach dann im Flüsterton weiter. „Bist du müde? Du siehst fertig aus."

„Danke für das Kompliment", feixte er zurück und stahl ein Stück Speck von meinem Teller. „Aber das hier ist wichtiger als mein Wohlbefinden. Außerdem", sein Blick fiel auf die Uhr, „müssten wir eigentlich alle drei in der Schule sein."

„Gibt es keinen Entfall? Wegen der Werwolfgefahr?", wollte ich wissen.

„Vielleicht. Keine Ahnung. Es ist nichts offizielles, also werden die Jäger wohl keine große Sache daraus gemacht haben", erklärte er mir ruhig. „Problematisch wird es nur werden, wenn sie uns in der Schule vermissen."

Ich runzelte die Stirn und kramte in meinem Kopf nach einer passenden, vor allem aber plausiblen Ausrede. Allerdings schien es wirklich etwas auffällig, dass wir drei – die Kinder einer Familie, die in einem Wald, abgeschieden von der Stadt lebt – nach einer Werwolfsichtung plötzlich nicht mehr zur Schule gingen.

„Vielleicht sollte ich hinfahren?", schlug ich noch in Gedanken vertieft vor. „Ich könnte dich und Ian entschuldigen, mir eine Ausrede einfallen lassen und-."

„Nein, schon gut", unterbrach er mich leise. „So schnell werden sie wohl kein Drama davon machen", Raphael beobachtete den Schlafenden weiterhin aufmerksam. „Wir sollten uns lieber etwas für ihn einfallen lassen."

Ich aß auf und nahm auch den Teller meines Bruders mit in die Küche. Der Abwasch war schnell erledigt und meine Neugier für den Fremden abermals geweckt. Ich hätte ihn gerne gefragt, was er in unserem Revier wollte und wo sein Rudel war. Oder ob er überhaupt zu einem Rudel gehörte, denn allen Anschein nach, zog er alleine umher.

Meine Fragen würden jedoch warten müssen, weil Raphael mich mit strengem Blick aus dem Wohnzimmer verbannte. Aber nur für kurze Zeit, denn meine wachsende Langweile und Rastlosigkeit trieben mich immer wieder zum Wohnzimmer. Und jedes Mal blockte er mich ab, bis mein Vater ihn endlich ablöste. Sie beide hatten wenig und dann nur schlecht geschlafen. Keine Ahnung wie lange sie oder ich selbst bereits wach waren, doch ihnen sah ich die Erschöpfung deutlich an.

„Mina", hörte ich Vater sagen und zuckte zusammen, als ich vom Flur aus ins Wohnzimmer spähen wollte. „Wenn du so viel Energie hast, kannst du ja einen Moment auf den Fremden aufpassen. Ich würde gern nach deiner Mutter sehen."

„Klar", entgegnete ich so monoton, wie es mir möglich war und stellte mich vor meinen Vater. Er tätschelte mir die Schulter und lief gähnend die Treppe hinauf.

Ich wiederum beugte mich vor, um den Fremden besser sehen zu können. Sein Gesicht, das ebenfalls von Schrammen und Kratzern verunstaltet war, wäre im Normalzustand sicher ganz ansehnlich. Seine hellbraunen Haare wellten sich bis zu seinen Schultern und wirkten mit dem Dreck darin ziemlich struppig. Ob er immer so aussah? Ich neigte den Kopf und fragte mich, welche Farbe seine Irden wohl besaßen. Immerhin hatte ich zuvor nicht die Zeit gehabt, ihm direkt in die Augen zu sehen und solche Kleinigkeiten zu bemerken.

Da der Streuner seelenruhig weiterschlief, ließ ich mich in dem Sessel schräg zu seinem Kopf und mit dem Rücken zu unserer großen Fensterfront, die einen guten Ausblick auf unseren Gaten bot, fallen. Eines der großen Fenster stand offen, denn die Luft im Zimmer kratzte trocken im Hals.

Ich zog die Beine bis an die Brust heran und schmiegte mich in die Kissen. So eingerollt nickte ich ein paar Mal ein. Nur ganz kurz wurde mir schwarz vor Augen. Erst einmal, dann zweimal oder eventuell auch öfter. Als ich ein weiteres Mal aufschreckte, lag eine Decke über mir. Sie roch seltsam fremd. Ich setzte mich auf und bemerkte, dass der Fremde wach war, seine Decke nun auf mir lag, ebenso wie sein Blick. Mein Magen verkrampfte sich und panisch blickte ich durch den breiten Türbogen in den Flur.

„Du bist seltsam", merkte er heiser an und hielt sich dabei krampfend die Seite. Dort prangte eine tiefe Wunde, von der ich nicht wusste, ob sie anfangs nur eine Schussverletzung gewesen war, die während des Rennens aufgerissen war oder von einer anderen Waffe stammte. Er hob schwach den Kopf und zeigte die Zähne. „Wieso hast du dem Jäger geholfen?"

Er hackte also immer noch auf derselben Frage herum? Gab es für ihn denn nichts Wichtigeres? Zum Beispiel wo er war? Oder wer ich war? Ich seufzte und nahm die Decke von mir, um sie ihm zu geben, doch er streckte mir abwehrend eine Hand entgegen.

„Warum?", seine Stimme wurde fordernder, obwohl er so heiser war. „Sag schon."

„Weil wir keine Menschen töten", erwiderte ich und versuchte, mutig zu wirken.

„Pah!", er hustete und die Schmerzen schienen auf ihn niederzuprasseln. Jedenfalls konnte er sich nicht länger in einer aufrechten Position halten und kippte zur Seite. „Das ist doch Schwachsinn", brachte er gerade noch zwischen seinen Hustenanfällen heraus.

„Ach ja?", ich wollte ihm aufhelfen, damit er einfacher atmen konnte, doch er schlug meine Hand beiseite. Okay, das reichte mir jetzt. „Ich habe auch dir geholfen, falls du dich erinnern kannst."

Er knurrte, ziemlich dunkel und bebend, sodass mein Körper instinktiv den Rückzug antrat. Obgleich ich eben noch mutig wirken wollte, reichte diese Drohung aus, um mir Angst einzujagen. Ich ärgerte mich nicht lange und kam wieder auf die Füße.

„Die Jäger würden uns nur noch intensiver suchen und jagen, wenn wir einen von ihnen umbringen", erläuterte ich, allerdings schien er mit nicht zuzuhören. „Wieso haben sie dich überhaupt gejagt?"

Sein gesamter Körper spannte sich an, auch wenn ihm das sicherlich enorme Schmerzen bereitete. Ich fuhr mir unsicher durch die langen Haare, riss mich am Riemen und rückte näher an das Sofa heran.

Der Fremde löste sich ruckartig von den Polstern los und stürzte sich dann auf einmal auf mich. Ich landete längs auf dem Boden, knallte mit dem Hinterkopf auf und biss mir leicht auf die Innenseite meiner Wange. Die Hände des Mannes schossen links und rechts an meinem Gesicht vorbei und versenkten sich im Parkett.

 Die Hände des Mannes schossen links und rechts an meinem Gesicht vorbei und versenkten sich im Parkett

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