Ich konnte nicht anders und musste diesen zornigen, hasserfüllten und einsamen jungen Mann in den Arm nehmen. Hätte ich es nicht getan, wäre er vielleicht vor meinen Augen innerlich zerbrochen. Jedenfalls hatte seine plötzlich so zerbrechliche Erscheinung so auf mich gewirkt. Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht mit einem so schmerzlichen Teil seiner Vergangenheit. Was auch immer ihn dazu bewegt hatte, mir von sich zu erzählen, ich glaubte fest daran, dass es eine gute Sache war. Sich zu öffnen, würde ihm sicher nicht schaden.
Schweigend gingen wir nebeneinander her und ich war mir sicher, dass mein Vater ihn nicht abweisen und wegschicken würde, wenn er Dantes Geschichte hörte. Meine Vermutung bewahrheitete sich nach circa zwei Stunden Fußweg nach Hause und einem halbstündigen Gespräch mit meiner Familie. Obwohl Ian und vor allem Raphael dagegen waren, Dante vorerst in unser Rudel aufzunehmen, entschied mein Vater für Letzteren. Der einstige Streuner gehörte nun erst einmal zu uns, würde sich aber beweisen müssen. Er würde uns zeigen müssen, dass er sich ändern kann und wir ihm – insbesondere im Umgang mit den Menschen – vertrauen konnten.
Ich lag noch lange wach auf meinem Bett, die Decke bis unter mein Kinn gezogen und starrte gegen schräg aus dem Fenster hinaus. Die neuen Trainingseinheiten, die Sam ganz nebenbei angedeutet hatte, gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte so zurückhaltend über sie gesprochen, dass ich etwas Großes dahinter vermutete, obwohl ich nicht wusste, was es damit auf sich hatte. So oder so bedeutete jede neue Fähigkeit der Jäger eine neue Gefahr für uns. Wenigstens hatte er von mir – von mir in meiner Werwolfgestalt nicht so gesprochen, als hätte es ihn wütend gemacht. Er war verunsichert, klar. Das wäre sicherlich jeder, der einem Werwolf begegnet wäre, der sich so unnatürlich verhalten hat. Aber er hasste diesen Werwolf nicht, schien sogar verstanden zu haben, dass ich ihm nur helfen wollte.
Seufzend drehte ich mich vom Fenster weg und rollte mich unter der warmen Decke zusammen. Egal, was er von einem Werwolf hielt, ich musste vorsichtiger sein. Auch wenn die Menschen nicht alle so schlecht waren, wie Dante empfand, gestand ich mir ein, dass ich mich von den Jägern im Zweifelsfall fern halten sollte. Trotzdem zerrte etwas an mir. Etwas, das aus Furcht, Ehrfurcht und Spannung bestand. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, ein wenig zu schlafen. Morgen musste ich wieder in die Schule, also früh aufstehen und würde hoffentlich nicht Sam begegnen.
Meine Hoffnungen wurden in einer 15-Minuten-Pause und auf dem Weg zur Sporthalle enttäuscht. Bereits wenige Meter vor dem Außensportgelände entdeckte mich Sam und winkte mir zu. Ihn jetzt zu ignorieren wäre nicht nur unhöflich, sondern zudem auch noch verdächtig gewesen. Also riss ich mich zusammen und ging mit der Sporttasche unter dem Arm auf ihn zu.
„Hallo Mina", begrüßte er mich fröhlich. Er trug Sportkleidung und schwitzte leicht. „Geht es dir gut, nach dem Vorfall gestern?"
„Ähm ja, wie gesagt, ich kenne Dante und er ist nur etwas übervorsichtig", entgegnete ich etwas überrascht und zuckte mit den Schultern. „Wieso fragst du und ...", mein Atem stockte, als mir bewusst wurde, dass er ganz ohne Krücken vor mir stand. „Und warum machst du mit deinem verletzten Bein Sport?"
„Ach, die Schramme ist gut verheilt", erwiderte er.
„Schramme?", wiederholte ich skeptisch und verlagerte mein Gewicht. „Aber die Wunde und ... Wurdest du nicht operiert?"
„Ja, aber die Narbe sieht gut aus und solange ich es nicht übertreibe, kann ich mich wieder ganz normal bewegen", erklärte er. „Außerdem tut es nicht mehr weh und die meiste Zeit verbringe ich eh auf meinem Corssbike, da brauche ich das Bein kaum."
„Das hört sich alles andere als normal bewegen an", zitierte ich ihn und er sah an mir vorbei. „Was, wenn die Narbe sich öffnet?"
„Wird sie schon nicht", er lachte leise. „Ich pass schon auf, aber es ist lieb, dass du dir Sorgen um mich machst."
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between Fangs
Hombres LoboMina hat ein Geheimnis: Sie ist ein Werwolf. Genau wie ihre Brüder und ihre Eltern. Lange waren sie auf der Flucht vor den Werwolfjägern, haben endlich eine halbwegs ruhige Kleinstadt gefunden, in der sie sich niederlassen konnten. Doch das Glück st...