26: Gefühlvolles Misstrauen und jähes Wiedersehen

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Mit ächzendem Rücken richtete ich mich vom Boden und betrachtete mein Bett, in dem Mina endlich schlief. Ihre Augen waren gerötet und die Decke hatte sie sich bis über die Nase gezogen. Ich hatte sie nicht zwingen wollen zu schlafen, aber sie würde ihre Energie von nun an brauchen. Mehr noch, sie würde mir vertrauen müssen und ich wusste noch nicht, wie ich sie dazu bekommen könnte. Immerhin war ich es, der sie gebändigt und mir unterworfen hatte. Ich erschauderte und schluckte die Magensäure, die mir brennend in die Kehle stieg, herunter.

Nachdem ich die Vorhänge vor dem Fenster aufgezogen hatte, sah ich im Augenwinkel, wie Mina die Decke von sich trat. Sie wirkte nicht sehr erfreut darüber, mich zu sehen. Trotzdem schenkte ich ihr ein schmales Lächeln, das sie nur mit einem leisen Knurren erwiderte. Sie zupfte an dem Shirt herum, das ich ihr gestern gegeben hatte und in dem sie aussah, wie eine jüngere Version von sich selbst. Süß. Aber das behielt ich lieber für mich, denn für Komplimente schien sie gerade nicht empfänglich zu sein.

„Ich ...", begann sie zögernd und schlug ihre Beine über die Bettkante. Dann erwiderte sie kurz meinen Blick und betrachtete dann ihre nackten Füße, die kurz über dem Boden schwebten.

„Was ist?", hakte ich nach, neugierig darauf, was sie mir zu sagen hatte oder mir an den Kopf werfen wollte. Gut, dass in diesem Raum keine Vasen oder anderen Gegenstände herumstanden, die sie hätte werfen können.

„Ich möchte meine Familie sehen", flüsterte sie und ich merkte, wie schwer ihr diese Worte fielen. Sie klammerte sich an den Saum des Shirts und schien den Tränen nahe. Ich wollte zu ihr und ihr die Angst irgendwie nehmen, aber wie nur? Seufzend ließ ich mich mit genügend Abstand zu ihr aufs Bett fallen. Mit großen, blauen Augen musterte sie mich.

„Ich kann dich zu Ian bringen", erwiderte ich nach einer Weile, in der sie mich die ganze Zeit angestarrt hatte. „Vielleicht auch zu Raphael." Plötzlich rückte sie näher an mich heran und nickte eilig. „Aber du musst auf mich hören, wenn ich etwas von dir verlange", mahnte ich sie, denn wenn sie auch nur den Versuch startete, ihre Brüder zu befreien, könnte das für uns beide übel ausgehen.

„Fein, dann komm mit", ich stand auf und hielt ihr die Hand hin, aber sie ignorierte meine nett gemeinte Geste und schritt an mir vorbei. Nun ja, einen Versuch war es zumindest wert, aber ich rechnete auch nicht damit, dass sie mich nach all dem, was geschehen war, mochte. Solange sie mit mir zusammenarbeitete, wäre sie sicher, doch verstand sie das auch?

Ihre Füße flogen überraschend leise über den Boden der Gänge unseres Hauptquartieres und ich fragte mich, ob sie bewusst so leise lief oder sie immer so vorsichtig gewesen war. Dabei fiel mir auch auf, dass ich sie – bis zu meinem Besuch bei ihr zu Hause – noch nie in der Schule wahrgenommen hatte. Das ergab Sinn, bedachte ich, dass sie als Werwölfe lieber unauffällig leben mussten und vor allem keine Aufmerksamkeit von uns Jägern gebrauchen konnten. Außerdem stach sie rein optisch nicht unbedingt aus der Masse heraus, es sei denn, man schaute zweimal hin. Sie war recht hübsch, etwas zu zierlich für meinen Geschmack, aber ich trainierte so oft mit den Jägerinnen, dass ich wahrscheinlich an durchtrainierte Frauen gewöhnt war. Eine Frage ließ mir, wenn sie doch eigentlich in der Masse untergehen wollte, keine Ruhe. Wieso war sie mit mir Essen gegangen?

Als wir die Metalltreppe ins Erdgeschoss nahmen, hörte ich zwei dunkle Stimmen und packte Mina am Arm. Sie funkelte mich an und ich zerrte etwas stärker an ihr, bis sie sich mit in eine Nische ziehen ließ, in der ein paar alte Kartons abgestellt worden waren. Die beiden Männer gingen an uns vorbei, ohne sich auch nur einmal umzuschauen. Sie hatten uns also nicht gesehen und redeten sorglos weiter über Arbeit und Familie. Glück gehabt.

„Darfst du nicht hier sein?", fragte mich Mina auf einmal und legte ihre Hand auf meine, die noch immer ihren Arm festhielt. Ich ließ nicht los und sie erhöhte den Druck um meine Finger, an denen sie herumfummelte.

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