Ich war so unsagbar wütend, dass ich Mina drohte. Ich drohte ihr damit, sie zu kontrollieren und verspielte mir damit sicherlich jede Chance, ihr Vertrauen zu gewinnen. Während ich mich in Gedanken selbst verfluchte, tat sie es nicht. Sie starrte mich einfach aus den hellblauen Augen geradeheraus an und machte sich kleiner, bis sie fast vor mir hockte. Ich wollte sie nicht bedrohen oder ihr ihren freien Willen nehmen, aber sie war so stur. Sie sollte doch nur das tun, worum ich sie bat. Mehr wollte ich nicht von ihr verlangen, aber wenn sie nicht hörte, würde ich sie spüren lassen müssen, wozu ich dank der Bändigung in der Lage war.
Es war lachhaft, so zu denken, denn zu mehr war ich nicht in der Lage. Ich konnte sie zwingen, ja, aber was brachte mir das? Wie hätte ich sie verletzen können? Wo sie jetzt so klein vor mir stand und die Arme um ihren Körper schlang, konnte ich sie nicht einmal mehr anschreien, obwohl ich das Recht dazu gehabt hätte. Einerseits verletzte sie sich nur selbst, wenn sie die Grenzen der Bändigung austestete. Andererseits könnte sie damit andere darauf aufmerksam machen, dass etwas mit unserer Verbindung nicht stimmte. So war es auch. Ich hatte ihr die Ketten viel zu locker angelegt. Wenn sie es wirklich wollte oder ich unachtsam war, würde sie sich aus der Bändigung befreien können. Aber das durfte sie nicht, jedenfalls noch nicht.
Unschlüssig, ob ich etwas sagen oder doch weiter schweigen sollte, ging ich weiter. Mina folgte mir ebenfalls schweigend. Sie in meinem Rücken zu wissen, fühlte sich merkwürdig an. Ich spürte, wie sie mich beobachtete, aber jedes Mal, wenn ich einen Blick über meine Schulter riskierte, schaute sie entweder zur Seite oder auf den Boden.
„Danke", hörte ich sie flüstern und ihre Stimme glich einem leisen Windhauch, der drohte, in einem Sturm zu ersticken. „Danke dafür, dass ich meine Brüder sehen durfte."
„Schon gut", entgegnete ich monoton, um etwas mehr Distanz zwischen uns aufzubauen. Immerhin schien sie mich nicht ernst zu nehmen, wenn ich nett zu ihr war und ich musste unsere Verbindung auf eine unpersönlichere Ebene schieben, um nicht völlig den Verstand zu verlieren. „Solange du verstehst, was du tun und was du lassen sollst, bin ich froh, dir zu helfen."
Aber mein guter Vorsatz schien nur schwer umsetzbar, also hielt ich den Blick von nun an stur geradeaus, öffnete die Türen und passierte die Gänge, die uns auf dem schnellsten Wege zurück zu meinem Zimmer bringen würden. Allerdings wurden wir von einem atemlosen Mica aufgehalten, der sich regelrecht auf mich geworfen hätte, um mich zu stoppen.
„Was ist los?", fragte ich ihn, aber er konnte nicht direkt antworten. Schwer atmend stützte sich Mica mit beiden Händen an der Wand ab und ließ seinen Kopf dagegen sinken.
„Sie sind ... verschwunden", keuchte er und rappelte sich auf, damit er mich ansehen konnte. Er roch nach Schweiß und Motoröl, eventuell mischte sich auch etwas Kiefernholz darunter. „Der Jägertrupp, der heute Morgen losgezogen ist, ist nicht zurückgekehrt ... Und von dem Trupp, den sie gegen Nachmittag losgeschickt haben, gab es bis jetzt auch keine Nachricht mehr."
„Und das bedeutet?", hakte ich nach, weil es nicht ungewöhnlich war, einige Stunden nichts von den Jägern zu hören, zumindest nicht, wenn sie einer Fährte nachjagten. Sie besaßen dann einen Tunnelblick und es zählte nur noch die Beute, der sie folgten und sicher nicht die Verwandten und Freunde, die sich um sie sorgen könnten.
„Sie sind verschwunden, Sam! Weg! Einfach weg!", brüllte er fast und riss mich am Kragen zu sich. „Dieser irre Werwolf hat sie ganz bestimmt gefunden und ..."
„Der irre Werwolf?", erkundigte sich plötzlich Mina, was bei meinem Partner kein allzu großes Wohlwollen auslöste.
Mica ließ meinen Kragen los, wandte sich von mir ab und musterte Mina argwöhnisch. Er war kein Freund von den Bändigungen, obwohl ihm klar war, welche Vorteile ein gezähmter Werwolf mit sich brachte. Dennoch konnte er es kaum ertragen, in der Nähe eines solchen Wesens zu sein und seine Abneigung Mina gegenüber zeigte er deutlich. Die letzten Kämpfe und Erfahrungen mit dem beinahe Tod hatten ihn misstrauisch gemacht, was ich ihm nicht verübeln konnte. Auch ich fühlte mich unsicher in Minas Nähe und verstand nicht ganz, wieso ich ihr überhaupt half. Um ehrlich zu sein, war ich mir nicht mal sicher, ob ich ihr überhaupt half.
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between Fangs
LobisomemMina hat ein Geheimnis: Sie ist ein Werwolf. Genau wie ihre Brüder und ihre Eltern. Lange waren sie auf der Flucht vor den Werwolfjägern, haben endlich eine halbwegs ruhige Kleinstadt gefunden, in der sie sich niederlassen konnten. Doch das Glück st...