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"HERMINE!"
Sie schreckte hoch von ihrem Buch, dass sie eben noch eindringlich studiert hatte. Das Portrait der Fetten Dame war aufgeschwungen und Dean und Seamus kamen ungeschickt in den Gemeinschaftsraum gestolpert.

Hermine klappte das Buch auf ihrem Schoß hastig zu und legte es beiseite, denn die beiden kamen unaufhaltsam näher. Sie stürzten sich auf sie und zogen sie in eine Umarmung, die so rippenbrecherisch war, wie sonst nur eine Umarmung von Hagrid. Hermine war ganz perplex, so eine herzliche Begrüßung hätte sie nicht erwartet.

Wo waren Harry und Ron?
"Hach, Herminchen, hast du deine Nase etwa schon wieder in so einen Schinken gesteckt, bevor die Schule angefangen hat? Du weißt doch ohnehin schon mehr als wir beide zusammen."
"Oh ja, das könnt ihr mir glauben", beteuerte Hermine belustigt und gab beiden eine sanfte Kopfnuss. Sie lösten sich voneinander.

Seamus sagte nun etwas beklemmt: "Ron kommt gleich, weißt du." Nun dachte sie ernsthaft nach, ob sie Seamus und Dean vielleicht leid tat und sie deshalb so stürmisch von ihnen begrüßt worden war.

Hermine lugte über Deans Schulter und sah, dass Ron unf Harry nun auch eingetroffen waren, sie nickte ihr nur kurz zu und Ron verschwand dann in Richtung der Jungenschlafsäle, dicht gefolgt von Harry. Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Seamus machte einen zerknirschten Eindruck, sagte aber nichts.

Aufgeregt fragte Hermine dann das Thema wechselnd: "Wisst ihr, wo Fred und George sind?"
Dean antwortete nicht, sondern zeigte auf den Eingang. Seamus sagte nun wieder grinsend: "Hörst du sie nicht? Die diskutieren schon ungefähr eine Viertelstunde mit der Fetten Dame, weil sie ihr gesagt haben, ihr stehe ihr neuer Haarschnitt ganz fantastisch. Das fand sie nicht gut, denn sie dachte, sie wollen damit sagen, sie hätte vorher schlechter ausgesehen. Man sollte sich besser nicht mit ihr anlegen, deswegen versuchen die beiden jetzt, es wieder geradezubiegen."
Hermine nickte verständnisvoll.

"Ich muss unbedingt mit ihnen reden. Es ist schön euch wieder zu sehen. Bis nachher, ich muss los", sagte sie. Schnell stapfte sie nach draußen, wo sie die beiden Rotschöpfe eifrig diskutierend vorfand. Ihre Gesichter waren beinahe so rot wie ihr Haar.

"...nein, nein, nein, so war das doch nicht gemei... ja natürlich sind Locken auch hüb... nein, sie verstehen uns falsch...", versuchte Fred zu Wort zu kommen, während die dicke Frau auf dem Gemälde die Zwillinge hysterisch ankreischte.
"Hey, Fred, George", rief Hermine.
Sie drehten synchron die Köpfe zu ihr, dann erkannten sie, wer sie gerufen hatte. Ihre Mienen hellten sich auf und die Fette Dame war nun auch verstummt.

Mit ausgebreiteten Armen kamen sie auf Hermine zu und auch sie zogen Hermine in eine Umarmung, dabei sehnte sie sich doch nur nach einem ganz bestimmten Paar starker Arme.
"Mensch Hermine, lang nicht gesehen, was?"

"Habt ihr schon ausgepackt?", fragte sie. Die Zwillinge nickten im Gleichtakt.
"Gut, denn ich habe eine wichtige Frage an euch. Das mag jetzt vielleicht etwas überraschend kommen. Wer hat in letzter Zeit von euch Dormium gekauft? Ich, ähm, habe ein Fläschchen mit dieser Aufschrift zwischen meinen Sachen gefunden und würde es der Person, die es verloren hat, gerne zurück geben. Könntet ihr nachsehen?"

Verwundert blickten sich die beiden Weasleys an, willigten dann aber ein und versprachen Hermine, ihr beim Abendessen mitzuteilen, was sie wissen wollte. Daraufhin folgte eine peinliche Stille, bis Hermine sich mit den Worten entschuldigte, noch etwas für Professor McGonagall erledigen zu müssen. Eilig machte sie sich aus dem Staub, als Fred George am Arm packte und ihn kichernd zum Eingang des Gryffindorturms hineinzog, denn die Fette Dame wurde für einen kleinen Moment von einer Schar Zweitklässler abgelenkt, die auf das Portrait zudrängten.

Flink bahnte Hermine sich ihren Weg durch die kleinen Hexen und Zauberer. Manchmal wünschte sie sich, wieder so klein und sorglos sein zu können. Jetzt gerade schlug ihr ihre Welt wie eine Welle über dem Kopf zusammen.
Einzig Severus war ihr Fels in der Brandung.

Sie schaute auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass es noch knapp zwei Stunden bis zum Abendessen waren. Zurück in den Gryffindorturm wollte sie nicht, denn dort würde sie Harry oder Ron begegnen. Kurzerhand entschloss sie, in die Bibliothek zu gehen. Hermine verband so einige Erinnerungen mit diesem Ort. Nicht nur, weil sie praktisch ihr halbes Leben dort verbracht hatte, sondern auch, weil sie dort mit Severus geschlafen hatte und dabei erwischt worden war.

Dies rief wieder den altbekannten dumpfen Schmerz in ihr hervor, Ginny als ihre beste Freundin verloren zu haben. Momentan hatte sie eigentlich gar keine Freunde. Auch ihre Familie hatte sie vermutlich zutiefst verärgert. Hatte sie tatsächlich all das für einen Mann geopfert, der sie niemals lieben könnte und den sie niemals haben könnte? Offensichtlich hatte sie das- ein beängstigender Gedanke.

Je näher sie der Bibliothek kam, desto fester wurde ihr Gang, als wolle sie sich selbst zwingen, nicht umzukehren. Langsam öffnete sie die Tür und schlüpfte in den warmen, vertrauten, nach Büchern riechenden Raum.
Bedächtig schlenderte sie die Bücherregale entlang. Man hätte meinen können, sie habe kein Ziel, doch ihre Füße trugen sie zu einem ganz bestimmten Platz.

Mit spitzen Fingern fuhr sie an diesem einen bestimmten Regalbrett entlang. Hermine pustete sich dann wehmütig den Staub von den Fingern. Sie senkte den Blick zu Boden. Dort hatte er sie festgehalten. Einfach nur festgehalten. Wie sehr sie ihn liebte, hatte sie damals noch nicht gewusst. Doch jetzt wusste sie, wie sehr sie es tat: zu sehr.

Hinter ihr erklang ein Räuspern. Erschrocken fuhr sie zusammen und drehte sich um. Dort stand Neville und sah sie mit schräggelegtem Kopf an.
"Hermine? Alles in Ordnung?, fragte er zögerlich.
"Sicher", brachte sie mühsam hervor, "dich hätte ich hier nur nicht erwartet."
Er runzelte die Stirn.
"Habe ich dir irgendetwas getan, Hermine? Du bist mir seit dem... äh... Zwischenfall aus dem Weg gegangen. Hab ich etwas falsch gemacht?"

"Nein, du... ich... Hör zu, ich kann das einfach nicht", stammelte sie.
Neville antwortete: "Ja also, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich dachte nur... also ich dachte du..."
"Nein, bitte, es war einfach ein Fehler. Ich bin sozusagen in jemanden verliebt... und derjenige bist einfach nicht du. Versteh mich nicht falsch, du bist toll. Und glaub mir, unter anderen Umständen hätte sich vielleicht hieraus etwas entwickelt. Aber so wie die Dinge nunmal liegen, kann ich das auf keinen Fall verantworten."

Er hob kunstvoll eine Augenbraue, eine Geste, die fast schnippisch wirkte.
"Nun, dann ist dieser jemand aber nicht Ron, denn von dem hast du dich doch getrennt, oder?"
"Es ist nicht Ron, nein." Hermine fühlte sich unwohl.
"Neville, ich muss los. Verzeih mir das alles hier, lass uns diesen Moment damals bitte einfach vergessen."
Sie zwängte sich an ihm vorbei und verschwand ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren.

Hermine hatte es sich wohl zur Gewohnheit gemacht, einfach vor ihren Problemen davonzulaufen.

The TeacherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt