Kapitel 15

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P.o.V. Jayne

Ein Stock wurde mir gegen die Rippen gedrückt und bohrte sich nun schmerzhaft hinein.
„Das war miserabel. Nochmal.", befehlte die strenge Stimme von Alice und hallte durch die hohen Wände. Mir tropfte derweil der Schweiß von der Stirn, während ich immer wieder versuchte ihrem Gehstock, welcher bösartig auf mich zugeflogen kommt, auszuweichen oder ihn möglichst weg zu parieren.
„Alice, bitte.", flehte ich. Vergebens.
Der Stock kam wieder in hoher Geschwindigkeit auf mich zu und hätte ich ihn nicht schnell weggeschlagen, hätte ich mich von meinem linken Auge verabschieden können.

Henry hatte eine Sporthalle einer Schule für fünf Stunde gemietet und anscheinend verstand Alice es so, sie für jede Minute tatkräftig auszunutzen und keinen Euro zu verschwenden. Seit zwei Stunden sprangen wir beziehungsweise ich nun schon von A nach B.

„Sie braucht eine Pause.", sagte nun auch Henry und wollte näher treten, ließ es aber bleiben als Alice den Stock hob und in seine Richtung schwenkte. Trotzdem nickte ich ihm befürwortend zu.
Meine Trainerin zog die Nase Kraus: „In einem echten Kampf gibt es auch keine Pausen."
„Ein echter Kampf geht aber auch nicht zwei Stunden durchgängig!", schrie ich sie an. Langsam war es mir zu bunt, soll sie ihren blöden Stock sich sonst wo hin stecken. Anscheinend war Alice mit meine Antwort ganz und gar nicht begeistert.
„Nein Prinzessin, ein richtiger Krieg geht mehrere Jahre! Und da wirst du auch keine wirklichen Pausen haben, denn was sind Pausen?"
„Schwächen, ich weiß aber jetzt will ich nur kurz was trinken, sonst werde ich nämlich nie dazu kommen einen echten Kampf zu vollführen!"
Sie schnaubte, knurrte ein Fünf Minuten und verließ samt Gehstock den Raum.

Mit wackligen Beinen krauchte ich beinahe schon zu Henry, welcher mir sofort die Wasserflasche entgegen hielt.
„Du hast wirklich abgebaut, aber sei etwas netter zu ihr. Bitte.", flüsterte er, als würde sie um der Ecke hocken und lauschen. Ich verdrehte die Augen und nahm ein paar Schlucke.
„Wo hast du Leon und Ana eigentlich hinverbannt?", fragte ich kurze Zeit später. Ana war die ganze Zeit über bei Henry gewesen und hatte sie mit Leon weggeschickt, als Alice, er und ich los gegangen waren.
„Sie sind jetzt meines Erachtens in einer Mall und holen neue Sachen für Ana."
Ich schaute hoch: „Sie bedeutet dir echt etwas, oder?"
Er atmete hörbar Luft aus.
„Sie hatte ein ähnliches Schicksal wie ich. Das verbindet, denke ich mal."
Ich nickte, auch wenn ich nicht ganz verstand was er meinte.

Die Tür von der Halle wurde schlagartig geöffnet und ließ uns beide rumfahren. Alice stützte sich auf ihren Stock auf und beobachtete uns kurz, bevor sie zu uns schritt und dabei immer wieder den Stock laut auf dem Boden aufkommen ließ. Ich schluckte hart, hoffentlich war sie nicht allzu böse.

„So, ich habe jetzt eingesehen, dass auch jemand wie du mal eine Pause braucht und die Pause dir wirklich zugesetzt hat. Also habe ich mich für eine neue Taktik entschieden, vielleicht ist sie ja hilfreicher für den Anfang."
Ich ahne böses.
„Du wirst jetzt Runden laufen.", fing sie an und meine Laune hob sich, „Zehn Runden zum Anfang, dann eine kurze Pause und dann wieder zehn Runden."
Sag ich ja.

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„Ich glaube meine Lunge brennt mir gerade weg.", stöhnte ich als ich meine Runden für heute beendet habe.
Am Rand der Halle standen Henry und Alice, welche unbeeindruckt zu mir rüber sah.
„Denke nicht, dass du für heute befreit bist. Jetzt wirst du ins Gym fahren und leichte Kraftübungen machen."
Mir klappte der Mund auf: „Alice, dass kann nicht dein Ernst sein! Du kannst nicht so erbarmungslos sein!"
Sie guckte wieder zu mir, dann zu Henry. Und dann lachte sie einfach los. Verwundert schauten mein Wächter und ich sie an.

„Na klar war es das jetzt für heute, du gehörst unter die Dusche und dann ins Bett. Los mach dich abfahrbereit.", sie winkte mich rüber und hörte nicht auf zu lachen. Ich guckte genervt rüber und sah dann zu Henry, welcher genauso perplex das Wesen neben ihm musterte. Ich zündelte lieber nicht allzu lange, bevor sie es sich wieder anders überlegte und holte schnell meine Tasche um mich in einer der Umkleiden umzuziehen.

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"Kann ich biiitte-"
"Nein!"

So ging es dir ganze Zeit schon. Alice bettelte wie ein Kleinkind darum das Fenster runter machen zu dürfen, doch Henry möchte keine steifen Nacken bekommen. Ich musste hinten sitzen und den beiden über 30 jährigen dabei zuhören. Henry ist sogar schon über sechzig, aber das schieben wir jetzt mal beiseite.
Anscheinend schien Alice jetzt auch mal verstanden zu haben, dass Henrys Nein nicht in ein Ja umgewandelt werden können.
Tja, das musste ich auch schon lernen.

"Jayne?", erweckte Alice meine Aufmerksamkeit. Ich schaute sie durch den Rückspiegel an.
"Wir werden nächstes mal im Himmelreich üben, ich möchte sehen in wie weit sich deine Fähigkeiten erweitert haben und ausgearbeitet sind."
Ich murre als Antwort und lehne mich wieder an die kühle Scheibe. Draußen kann ich so gut wie nichts erkennen, da wir neben einem Feldweg tuckern und wohl irgendwem das Geld für Laternen ausgegangen ist.
Was Leon wohl gerade machte?
Warum frage ich mich sowas?

"Henry?", wandte ich mich an angesprochenen. Er bejahte und hob aufmerksam seine Augenbrauen, da seine Augen immer noch brav der Straße galten.
"Warum passiert in letzter Zeit so viel auf einmal? Ich meine, erst Leon, dann mein urkomischer Onkel und jetzt das Training? Das kommt mir komisch vor."
Er atmete hörbar ein und aus, bevor er antwortete: "Es ist jetzt nicht mehr so lange hin bis zu deiner Krönung, nur noch knappe zwei Monate um genau zu sein. Das wird vielen gerade bewusst und so fangen nun auch viele Gegner der Hierarchie des Himmelreiches an sich zu wehren. Was wir machen ist vorsorgen, so gut es geht, damit dir nicht jetzt noch etwas passiert. Und zu deinem Onkel, ja der kam jetzt etwas plötzlich, doch auch er ist nur ein- dein Gegner, der sich sichtbar gemacht hat."

Es schmerzte irgendwo zu hören, dass sich jemand aus der eigenen Familie gegen einen wandte, doch kannte ich ihn ja eigentlich gar nicht. Er war fremd und umso verwirrender war es, dass ich es für ihn anscheinend nicht war. Es war zwar schon immer klar, dass ich die nächste Thronfolgerin werde, doch hatte ich gedacht, dass die meisten mich durch mein untertauchen auf die Erde vergessen. Dem ist wohl nicht so.
Ein vibrieren in meiner Jackentasche ließ mich zusammenfahren. Schnell zog ich mein Handy raus und nahm den Anruf von Leon an.

"Ja?", meldete ich mich und merkte wie Alice die Musik leiser machte. Ein rascheln auf der anderen Seite war zu hören, dann die nervöse Stimme Leons: "Könnt ihr bitte ins örtliche Krankenhaus fahren? Ana, sie ist-"
"Mach auf Lautsprecher!", sagte Henry.
Ich folgte auf seine Anweisung und bat Leon den Satz von gerade eben zu wiederholen.
"Ana ist einfach umgefallen, dann hat sie gezittert! Ich hab sie ins Krankenhaus bringen lassen."
"Bist du bei ihr?", zischte Henry lauter als er hätte müssen.
"J-ja.", stotterte Leon um gleich daraufhin fortzufahren, "Henry, wirklich es tut mir leid! Es ging ihr davor gut und sie hatte keine Anzeichen gemacht, ich schwöre es."
Ich schaute zu meinem Wächter, wessen Fingerknöchel weiß durch seine Haut hervorlugten, so fest krallte er sich ins Lenkrad.
Alice schien ihm irgendwas zuzuflüstern, woraufhin er sich sichtlich entspannte.

Ein unangenehmes Ziehen zog sich durch meinen Körper und ich guckte schnell weg.
"Wir sind auf dem Weg.", hörte ich mich selber sagen und legte noch im nächsten Moment auf.

Warum fühle ich mich gerade nur so komisch?

1257 Wörter

EngelsmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt