Kapitel 16

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P.o.V. Jayne

"Dieser elender Mistkerl, nix kann er. Wenn ich ihn in die Finger be-"
"Henry!", ermahnte Alice ihn. Ein scharfer Blick, welcher bitterböse zu ihr gefeuert wurde ließ sie weggucken.
Ohne es zu merken klammerte ich mich fester an den Türgriff und versuchte letzte Stoßgebete an Gott zu geben, dass Henry doch bitte die Geschwindigkeit drosseln würde. Immerhin fuhren wir gerade um die 100 km/h in einem friedlichen Vorstadtviertel und verängstigen wahrscheinlich gerade einige Rentner in ihren Hütten. Es würde mich nicht wundern, wenn dieses silberne Auto morgen auf der Titelseite prangen würde mit der Überschrift Komplett Geistesgegenwärtiger verschreckt friedliche Vorstadt !

"Henry bitte, sie wird dort auch noch liegen, wenn du nicht jede rote Ampel mitnehmen musst! Wenn du so weiterfährst wird sie dort gleich runter geschubst, weil wir auf ihre Liege müssen!", schrie Alice nun. Ich stimmte ihr stumm zu und traute mich kaum zu nicken, aus Angst mir wurde noch schlechter werden.
Henry ließ sich nicht beirren, trat sogar noch etwas mehr auf das Gas und ließ dabei den Motor noch etwas aufjaulen.
"Mein Gott er wird uns noch umbringen mit dieser Art zu fahren!", kreischte die Trainerin vom Beifahrersitz.

Und ich da merkte ich es zu erst, das Stechen auf Herzhöhe.
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"Name?"
"Was Name? Ich hab doch schon gesagt Anastasia, sind Sie denn zu nix zu gebrauchen hier?!"
Die Kaugummi kauende Krankenschwester ließ sich nicht beirren, verdrehte lediglich ihre kristallklaren Augen und machte Henry deutlich das sie eigentlich nach dem Nachnamen gefragt hätte. Daraufhin gab es einen explosionsartig Ausbruch, welcher Alice und mich synchron aufstöhnen ließ. Vorsichtig, um Henry nicht bei seinem was auch immer zu stören, quetschte ich mich an ihn vorbei und drängte mich in das Sichtfeld der Schwester.
"Anastasia McFeald.", sprach ich und tatsächlich reagierte die Frau indem sie eine Blase vor meinem Gesicht platzen ließ. Dann tippte sie schnell was auf ihrem PC rum und nach einigen Minuten gab sie uns eine ordentliche Antwort.
"Sie liegt im Untersuchungszimmer 14b, auf einer der mittleren Liegen. Hier drin steht, dass sie noch nicht ansprechbar war, war aber auch vor zehn Minuten. Ihr Freund war bei ihr."

"Dankeschön,", ich schielte auf ihr Schild, "Melanie. Vielen Dank."
Sie nickte und drehte sich von uns weg.
„Wie kann man nur so unentspannt sein?", hörte ich sie in meinem Kopf.
Ja Melanie, das frage ich mich auch, abgesehen davon das unentspannt kein Wort ist.
Ich lief los zum Infoschild und suchte den Bereich 14 auf dieser Etage, hinter mir nahm ich dabei die anstrengend nervige Aura von Henry wahr. Ich schloss die Augen und fasst mir kurz an die Stirn.
Wenn dieses verdammte Stechen nicht bald aufhören würde, dann müsste ich mir was einfallen lassen.
„Wir müssen nach links.", hörte ich Alice neben mir murmeln. Sie bedachte mich mit einem schweren Blick und ging dann los in die vorgegebene Richtung. Henry spurtete los wie von einer Hummel gestochen und hechtete ihr hinterher, mich außer acht lassend.

Ich schlurfte hinterher und bedachte keinen der umstehenden mit nur einem Blick, jedenfalls solang bis ich unsanft von etwas großem umgekrempelt wurde. Ich torkelte einige Schritte zurück bis mich eine Hand am Oberarm vor weiteren Torkeln zurückhielt.
„Oh, verdammt! Das tut mir leid, hab ich Ihnen weh getan?", fragte ein starker amerikanischer Akzent mich. Ich schaute hoch in tiefbraune Augen, welche mich nach irgendetwas abzusuchen. Es war ein großer Mann, sehr gut gebaut und einem dunklerem Taint. Seine Muskeln schienen ein Spiel unter seinem weißen Kittel zu vollführen.
Nicht sabbern!, ermahnte ich mich selbst im Gedanken.
„Nein, alles gut. Ich hätte einfach besser aufpassen müssen.", antwortete ich schnell, ich fühlte mich leicht komisch unter seinen Blicken. Aber gar nicht mal so Unbehagen schlecht wie ich anfangs dachte, merkte ich schnell.
„Nein Quatsch, ich war gerade so in eine Akte vertieft, ich hätte aufpassen müssen. Wie peinlich, ich als Arzt sehe keine Patienten."
Er strich sich seine blonden Haare aus dem Gesicht.
„Die sind gefärbt oder?", rutschte es mir raus, bevor ich über mein Taktverhalten nachdenken konnte.
Jetzt kann ich es auch nicht mehr ändern.
Er schien überrascht von meiner Frage, verstand aber wohl schnell um was es ging, als er sich erneut in die Haare fasste und eine Strähne zwischen seinen Fingern zog.
„Ja, es war sowas wie eine verlorene Wette. Aber es wächst ja nach.", stellte er erfreut fest.

„Jayne! Komm schon, Henry hat sie gefunden!", durchbrach Alice was auch immer zwischen uns gerade war. Ich blinzelte kurz, bis ich den komischen Blick von Alice fand und ihn erwiderte. Ein Nicken später war sie weg und ich stand wieder alleine mit dem atemberaubend schönen Arzt da.
„Jayne also.", er lächelte leicht und entblößte eine Reihe perfekter stehender weißer Zähne, "Ich glaube ich hab mich dir noch gar nicht vorgestellt ich bin-„
„Dr. Shreyn wir brauchen Sie hier mal!", rief eine Schwester in unsere Richtung.
„Oh, äh...ich schaue später nochmal nach Ihnen und ähm der Patientin. Der Job ruft.", verabschiedete sich Dr. Shreyn.

Er lief eilig los und ließ mich mitten im Gang etwas perplex stehen. Und mir fiel auf, das Stechen war weg.

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„Ach hier seit ihr.", stellte ich fest, als ich um eine Ecke schaute und die altbekannte Gruppe um ein Bett sitzen sah. Alle bis auf Henry schauten auf.
Leon war der erste, welcher Aufstand und mir seinen ehemaligen Platz anbot, damit ich sie mir auch angucken konnte.
Erst als ich saß nahm ich auch die anderen Patienten wahr, welche im großen Raum verteilt lagen und ab und zu vor sich hin stöhnten. Dann guckte ich runter zu Anastasia.
Ihr Hautfarbe war blasser als sonst und die Haare lagen glanzlos um sie herum. In ihnen verwuschelt lag Henrys alte Hand und streichelte zitternd ihren Kopf.
Wäre er bei dir auch so aufgelöst? Hätte er sich auch solche Sorgen gemacht?

Ich schnappte über meine eigenen Gedanken nach Luft und versuchte es als Husten zu vertuschen, was mir auch jeder abzunehmen schien. Bis auf Alice, welche mich mit einem harten Blick ruhig wies. Ich schaute runter zu Ana und es tat mir augenblicklich leid, sie war schutzlos und könnte möglicherweise nichts für ihren Zustand. Was heißt möglicherweise, für Leukämie kann keiner was. Sanft streckte ich meine Hand aus und wollte ihre berühren.
„Nicht.", hauchte Henry mir zu. Das Mitleid schwang zu Wut um. Wie kann er mir verbieten, ihr mein Mitleid durch eine Berührung zu zeigen?!
Ruckartig stand ich auf und entschuldigte mich, ich müsse an die frische Luft. Unachtsam stampfte ich durch den Raum auf den Flur und folgte dort dann den Schildern auf die Raucherterasse.

Ein Kloß, mindestens so groß wie ein Tennisball, hielt mich am gleichmäßigen Atmen und Schlucken auf.
Henry war noch nie so zu mir!
„Nicht weinen, nicht weinen, nicht weinen.", flüsterte ich immer wieder als Mantra vor mich hin, bis ich die Tür zur Terasse erreichte.
Warum war ich nur so eifersüchtig?
Das ist keine Eifersucht!
Doch, das ist die blanke Eifersucht! Du bist erbärmlich!
Das stimmt nicht.
Ich legte meinen Kopf auf das Geländer ab und verschränkte meine Arme unter meinem Kinn.

„Er meint es nicht so."
Ich hätte mich erschrecken sollen vor ihrer Stimme, doch habe ich genau sie erwartet.
„Alice...geh.", flüsterte ich gen Himmel.
„Nein, ich verkrümle mich nicht einfach so wie manch andere."
Ihre Anspielung auf mein Verhalten von gerade eben ignorierte ich runter und stöhnte genervt auf. Ich drehte mich um und sah wie sich Alice in voller Ruhe an einem der Tische eine Zigarette drehte, ihr Stock lehnte dabei auf der Stirnseite des Tisches. Ich verschränkte meine Arme vor meinem Oberkörper und bedachte sie mit einem kritischen Blick.
„Irgendwann sterben wir alle und solange der hohe Rat kein Gesetz erlässt, was Rauchern den Zugang in das Himmelreich verwehrt ist doch alles in Butter.", konterte sie auf meinen stummen Vorwurf.
„Ich werde daran denken ihnen nächstes Mal den Vorschlag zu machen."
Langsam ließ ich mich auf die andere Seite des Tisches gleiten und schaute wieder hoch in den dämmernden Himmel.
"Ich weiß, dass du dich derzeit nirgends einzufügen weißt, aber das ist normal. Deiner Mutter erging es genauso. Sie fühlte sich am Ende im Himmel aber wohler und ich denke das ist das wovor Henry sich nun zu schützen versucht."
Ich schaute beim erwähnen meiner Mutter auf und sah genau in die Augen der Trainerin.
"Wie meinst du das?", ich wusste das meine Stimme zitterte. Sie zitterte vor Angst auf die Antwort.

"Weißt du, dass ist wie im Krieg. Du kannst die stärksten Männer vorschicken, die mächtigsten Tränke gegen den Feind zubereiten und die höchste Überlebensrate haben. Wenn der Wunder Punkt der Allianz getroffen wurde, dann wird dir das alles nichts bringen. Du bist getroffen. Also was macht man? Man lässt keinen Wunden Punkt entstehen.
Das habe ich Henry vor Jahren geraten und nun tue ich es bei dir ebenfalls.", sie zog stark an ihrer Zigarette und pustete den Rauch dann in meine Richtung, "Lass niemanden in deiner umstehenden Nähe dein Wunder Punkt sein. Es könnte dein Leben retten."

1492 Wörter

EngelsmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt