6. Dezember

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Ich schrecke auf und sehe instinktiv neben mich. Finn schläft seelenruhig. Gott, war das ein dummer Traum. Ich sehe zur Uhr. 4:50 Uhr. In zehn Minuten klingelt der Wecker für Finn. Ich könnte noch eine ganze Stunde länger schlafen. Aber jetzt bin ich ohnehin wach. Also greife ich nach der Orthese und gehe dann nach unten in die Küche.

Eine halbe Stunde später kommt Finn angezogen in die Küche "Guten Morgen. Was machst du denn schon hier unten? Oder besser gefragt...seit wann bist du wach?" "Ich bin vor einer halben Stunde aufgestanden. Ich hatte einen blöden Traum." "Was war denn in dem Traum?" "Du warst weg. Und ich war voll einsam und traurig." Finn gibt mir einen Kuss "Wie gut, dass das nur ein Traum war. Ich will nicht ohne dich sein. Und ich will nicht, dass du ohne mich bist." Ich greife nach der Tasse mit Kaffee, die ich Finn gerade gemacht habe und halte sie ihm hin "Hier. Hast du gut geschlafen?" Finn trinkt einen Schluck Kaffee "Danke. Naja. Ich hab irgendwie Rückenschmerzen." Ich streiche über seine Wirbelsäule und verharre an einem Punkt "Da?" Finn nickt "Ja. Ist da was?" "Stell dich mal gerade hin." "Oh Gott, renkst du mich ein?" "Das war der Plan. Keine Angst, ich weiß wie das geht." Robin kommt natürlich genau in dem Moment in die Küche, in dem ich Finn gerade nach hinten ziehe, was vermutlich ziemlich brutal aussieht. Sie sieht uns an "Was macht ihr da?" Das Knacken lässt Robin kurz zusammenzucken. Finn sieht mich an "Danke. Er hat mich eingerenkt. Was machst du schon hier?" "Ich wollte nur was trinken. Warum seid ihr beide hier?" Finn zuckt mit den Schultern "Ich muss arbeiten und Dad konnte nicht mehr schlafen." Robin lacht "Ja gut. Wenn jetzt noch Brandon kommt dann sind wir komplett irre. Sagt mal, ist grandpa jetzt mittlerweile eigentlich endlich offiziell bei Lena eingezogen? Die sind schon zehn Jahre zusammen. Das ist weird." Finn grinst "Ja. Also er behauptet ja nein...aber hast du ihn mal hier gesehen?" "Wann war er das letzte Mal länger als einen Nachmittag da?" Ich überlege einen Moment "Keine Ahnung...ist eine Weile her." Robin nimmt sich ein Glas Wasser und seufzt "Toll, jetzt lohnt es sich auch nicht mehr nochmal schlafen zu gehen." Finn nimmt das Toast aus dem Schrank während ich einen Blick in meinen Kalender werfe "Oh. Morgen ist der 7. Dezember." Finn braucht einen Moment bis er begriffen hat, was das heißt. Robin sieht mich an "Onkel Brandon hätte Geburtstag. Wie alt wäre er geworden?" "Vierunddreißig. Wir sollten zu seinem Grab gehen." Robin nickt "Ja. Weiß Brandon eigentlich mittlerweile, dass er nach seinem Onkel benannt ist?" Finn seufzt "Nein. Wie sollen wir ihm denn erklären, dass er nach Nathans Bruder benannt ist, weil er kurz vor seiner Geburt Selbstmord begangen hat?" Robin runzelt die Stirn "Okay...vielleicht solltet ihr damit echt noch warten. Dann muss Brandon morgen aber irgendwo anders hin." "Jaja, das passt schon irgendwie."

Ich setzte Robin und Brandon an der Schule ab "Tschüss meine Süßen. Viel Spaß. Wir sehen uns später. Dad holt euch ab." Robin zeigt mir einen Daumen nach oben und küsst mich auf die Wange "Bis heute Abend." Brandon stöhnt "Ich hab keine Lust. Schule ist langweilig." "Du musst da leider durch." "Ja ja. Bis nachher."

Als ich in die Notaufnahme komme ist es schon wieder komplett überfüllt. Ich höre Finn durch die Gegend schreien "Ich brauche einen verantwortungsbewussten Traumachirurgen, der hier die Leitung übernimmt! Dr Andrews ist krank." Eine Schwester hält mir ein CT-Bild hin "Der Mann da vorne soll ein Neurokonsil bekommen." "Okay, alles klar."

Finn tritt neben mich, während ich gerade auf die Laborwerte von meinem Patienten warte "Hey Schatz. Alles okay?" "Ja. Denk drank, die Kinder abzuholen." "Ich würde niemals unsere Kinder vergessen. Brandon schreibt heute übrigens eine Arbeit über das Gehirn. Hab ich dir schon erzählt, dass er jetzt Traumachirurg werden will?" "Trauma? Wie konnte das passieren?" "Er will anscheinend Action." In dem Moment bekomme ich endlich die Laborwerte. Finn schaut mit drauf "Das sind aber niedrige Werte." "Ja. Und das...ach du scheiße. Bis später."

Als ich während der OP einen Blick zur Galerie werfe, sehe ich Finn. Als unsere Blicke sich treffen beginnen wir beide zu Lächeln. Finns Augen sind so schön...ich könnte sie die ganze Zeit anschauen. Wäre da nicht mein Patient, dessen Hirndruck gerade gefährlich hoch wird. Ich löse den Blick von Finns Augen und konzentriere mich schnell wieder auf die OP. Es wäre ganz schön dämlich wenn hier jemand stirbt, weil ich die Augen nicht von meinem Mann lassen kann, der ja auch noch Chefarzt der Chirurgie ist.

Als ich aus dem OP komme ist es vier Uhr. Ich stütze mich an der Wand ab. Das lange Stehen ist doch manchmal zu anstrengend für mich. Mein Körper versucht mir vermutlich gerade genau das mitzuteilen, denn mein Kopf tut weh und von meinem Rücken muss ich gar nicht erst anfangen. Dr Sanchez, ein Assistenzarzt, tippt mir auf die Schulter "Geht es ihnen gut?" "Ja, passt schon." "Ähm...ich hab da ein Problem. Ich hab einen dummen Fehler gemacht und jetzt muss ich das erklären und ich brauche Hilfe. Sie sind halt irgendwie der netteste von den Oberärzten und schreien einen nicht immer gleich an, deswegen frage ich Sie." Ich weiß nicht, ob ich das jetzt als gut oder schlecht empfinde. Also ein bisschen Autorität will ich als Oberarzt der Neuro schon aufweisen...aber es freut mich irgendwie auch, dass er zu mir kommt. "Was haben Sie angestellt?" "Erklär ich Ihnen auf dem Weg." "Na dann mal los."

***

Als ich Abends nach Hause komme geht es mir überhaupt nicht gut. Finn sieht mir das natürlich wieder sofort an "Schatz, was ist los? Ist dir nicht gut?" "Ich hab nur Kopfschmerzen. Und mein Rücken... Überanstrengt." Finn gibt mir einen Kuss und schlingt die Arme um meinen Nacken "Isst du trotzdem mit uns?" Ich ziehe ihn enger an mich "Ja. Hunger hab ich. So dramatisch ist es nicht." Finn lacht "Wenn du keinen Hunger hast ist es ja eh ganz ernst. Ich war übrigens zu faul zu kochen und hab Essen bestellt. Chinesisch. Dann geht es dir bestimmt auch gleich besser." Ich küsse Finns Stirn "Du weißt wie man mich glücklich macht. Danke mein Schatz."

Der Abend verläuft ziemlich ruhig. Nach dem Essen schauen wir gemeinsam Fernsehen, wobei ich schon relativ früh nach oben gehe und mich hinlege. Ich werde wach als Finn sich neben mich legt und das Licht ausmacht. Ich ziehe ihn an mich und flüstere ihm ein "Gute Nacht mein Schatz" ins Ohr. Er seufzt leise "Gute Nacht. Schlaf schön Schatz."

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