9. Dezember

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Für mich klingelt der Wecker um fünf Uhr. Finn geht erst heute Nachmittag arbeiten und ich dafür heute morgen schon früher. Im Krankenhaus ist es heute mehr oder weniger ruhig und so verläuft der Morgen und Mittag auch dementsprechend normal.

Ich mache mich gerade auf den Weg nachhause als Finn an mir vorbei läuft. Er bleibt stehen und küsst mich kurz auf die Wange "Hey. Gehst du?" "Nee...ich arbeite jetzt in meinen normalen Klamotten." Finn verdreht die Augen "Ja okay...vielleicht war die Frage dumm. Ich liebe dich trotzdem." "Ich dich auch."

Ich sitze gerade im Wohnzimmer am Klavier als Robin ins Wohnzimmer kommt und mir über die Schulter schaut. Als sie das Notenpapier sieht, sieht sie mich überrascht an "Schreibst du etwa einen Song?" Ich spüre, wie meine Wangen rot werden "Ähm...vielleicht." "Krass...warum?" "Okay. Das ist ein Teil des Weihnachtsgeschenkes für deinen Dad." Robin quietscht begeistert auf "Oh mein Gott! Wie süß bist du denn?! Was kriegt er denn noch?" "Einen Ring. Weil...keine Ahnung." "Dann hat er drei Ringe von dir." "Ja und? Ich hab zwei von ihm." "Wofür ist eigentlich der zweite gewesen?" "Das ist der berühmte 'Das ist kein Antrag'-Ring. Den hab ich zum Geburtstag bekommen. Weil dein Dad mir zeigen wollte wie sehr er mich liebt obwohl er...naja...mit-" "Dieser seltsamen Schlampe gevögelt hat?" "Ja. Exakt." "Und die hatte eine Schwester, die auf eurer Hochzeit war, richtig?" "Meine Ex, ja." "Und die wurde dann verhaftet. Warum eigentlich? Das wollte ich schon immer mal fragen." Ich sehe an Robin vorbei an die Wand "Man könnte sie auch als kranke Terroristin bezeichnen." "Oh. Die Explosion?" Ich nicke und Robin sieht mich nachdenklich an "Du hast die Frau gevögelt wegen der du fast gestorben wärst." "Ach du scheiße...ja." "Wie ist das eigentlich so...wenn man fast stirbt?" "Naja. Scheiße ist, wenn du dann deiner toten Frau begegnest. Und hin und her gerissen bist zwischen einfach loslassen und bei ihr zu bleiben oder weiter zu kämpfen...für deinen Verlobten und seine Tochter." "Ist das nicht richtig seltsam deiner Frau irgendwie begegnet zu sein?" "Ja...aber irgendwie auch schön. Sie hat mir gesagt, ich soll weitermachen. Es gibt zu viele, die mich lieben...sie könnte ich ja dann wenn ich ganz alt bin und an Altersschwäche sterbe wieder haben." Robin schlingt ihre Arme um mich "Bin ich froh, dass sie das gesagt hat. Wie war es eigentlich als du aufgewacht bist?" Ich sehe sie an "Warum willst du das auf einmal alles wissen?" "Weil es mich irgendwie interessiert." "Okay. Dann lass uns uns aber irgendwie gemütlicher hinsetzen, dann erzähle ich dir alles was du willst."

"Also?" "Dein Dad war da. Das ist das erste, an das ich mich erinnere. Und ich hab meine Beine nicht gespürt und irgendwie hat sich alles ganz seltsam angefühlt. Ich wusste gar nicht was passiert ist. Ich hab nur deinen Dad gesehen und bemerkt, dass er ganz furchtbar verletzt war. Alter, dass hat mir alles voll Angst gemacht." "Wie ist das eigentlich mit dem Bein? Also...stört dich das sehr? Du redest da nie drüber." Ich seufze "Naja. Im Prinzip komme ich damit ja gut klar. Am Anfang war es halt echt scheiße, weil alles so weh getan hat und es war einfach fucking anstrengend. Außerdem hat mich das irgendwie voll genervt. Weißt du...Du stehst morgens auf und kannst halt nicht einfach so laufen. Aber mir ist klar, dass ich es eigentlich ziemlich gut habe. Ich meine, es hätte viel, viel schlimmer kommen können. Klar, es ist kacke, dass ich wenn ich zu lange im OP stand oder so, am nächsten Tag kaum was machen kann." Robin nickt nachdenklich "Wie kürzlich erst. Was genau hast du dann immer für Probleme?" "Naja mein Rücken tut halt ziemlich weh, wobei das ohnehin mal häufiger vorkommt. Mir ist halt dann oft einfach voll schwindelig und übel." "Das tut mir leid. Gott, es ist so awkward wenn ich dir hier auf einmal so viele Fragen stelle, aber es interessiert mich halt. Deswegen...ist dir das irgendwie unangenehm wenn andere Leute die Orthese bemerken?" Ich lächle ungewollt "Nein. Es gab nur einen Tag an dem es mir nicht egal war und das war als ich deinen Dad geheiratet habe. Aber ganz ehrlich...mir ist es so egal, was irgendwelche Leute denken, wenn ich nun mal im Sommer kurze Hosen trage und man die Orthese sieht. Und das ist generell so eine Sache...scheiß doch einfach auf das, was die anderen von dir denken. Sei immer du selbst. Und Leute die dich so nicht akzeptieren gehören ehrlich gesagt nicht in dein Leben." Robin nimmt mich in den Arm "Du hast so recht. Ich hab dich lieb. Und ich finde es wirklich bewundernswert, wie du mit all dem umgehst. Du musstest echt schon viel durchmachen. Und Dad auch." "Ich wäre aber nicht so hier mit dir, wenn nicht alles so gekommen wäre, wie es nunmal kam." "Eigentlich krass...wenn nur ein Ereignis fehlen würde, wäre einfach alles anders. Stell dir mal vor, die Lunge von meinem Daddy wäre nicht in so einem ungünstigen Moment kollabiert. Dann hätte er vielleicht rechtzeitig ausweichen können und wäre nicht mit dem Lkw zusammengestoßen." "Dann wäre ich einfach ganz normal eingestellt worden und hätte mich vermutlich trotzdem in deinen Dad verliebt und wäre ganz furchtbar unglücklich, weil er mir ständig von seinem tollen Ehemann erzählt." "Und Brandon wäre gar nicht auf der Welt. Und wir würden uns vielleicht nur kennen, weil du irgendwann mal bei uns zum Essen eingeladen warst." "Wer weiß, ob ich meinen Bruder kennengelernt hätte." "Aber die Explosion wäre nie passiert." "Dann hätte ich jetzt zwei gesunde Beine. Und wäre unglücklich." "Wow." "Ich bin aber lieber glücklich und hab halt dafür nur ein gesundes Bein. Ich kann mir kein Leben mehr ohne euch vorstellen." "Ich könnte auch nicht mehr ohne dich. Und auch nicht ohne Brandon. Auch wenn er manchmal nervt, weil er alles besser weiß." "Gott, ich hab dich so sehr lieb." "Ich dich auch."

Jetzt sieht Robin mich an und ein Grinsen umspielt ihre Mundwinkel "Dad? Ich habe ein Date. Morgen. Ich weiß, Lucas und Mia kommen mit Benny, aber-" "Ist egal. Oh mein Gott. Du hast ein Date!" Robin sieht mich ganz aufgeregt an "Ja. Oh Gott...was zieh ich an? Und was mache ich mit meinen Haaren? Dad, hilfe!" "Ganz ruhig. Wir kriegen das hin. Ich hab übrigens morgen auch ein Date mit deinem Vater. Auf der Eisbahn...weil er nicht Schlittschuh fahren kann." "Ach deswegen drückt er sich immer davor. Das ist süß." "Und was macht ihr schönes?" "Wir gehen erst essen und dann auf den Weihnachtsmarkt." "Oh wie schön. Süße, das wird toll."

***

Ich liege auf unserem Bett und schaue Fernsehen als Robin rein kommt. Brandon ist schon eine Weile im Bett und Robin kommt jetzt vermutlich auch um Gute Nacht zu sagen. Sie zeigt auf die leere Betthälfte "Wann kommt Dad heim?" "Kann noch dauern. Er musste in den OP." "Achso, okay. Na dann...ich geh schlafen. Gute Nacht Dad." "Schlaf schön meine Süße."

Ich werde wieder wach, als irgendwas zu Boden fällt und ein leises "Fuck" von Finn zu hören ist. Ich reibe mir übers Gesicht und stöhne auf. Finn streicht mir über die Haare und gibt mir einen Kuss "Sorry. Ich bin gegen den Nachttisch gestoßen und dann ist das Buch runter gefallen. Jetzt kann ich ja auch Licht anmachen." Ich vergrabe meinen Kopf in meinem Kopfkissen und höre Finn lachen "Okay, du willst schlafen. Verständlich. Es ist zwei Uhr morgens. Ich halte meine Klappe. Gute Nacht Schatz." Ich hebe meinen Kopf kurz an "Ich liebe dich. Schlaf schön." 

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