Kapitel 8

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Josephine schrieb die letzten Einladungskarten für ihre bevorstehende Hochzeit, als sie durch ein zartes Klopfen unterbrochen wurde.
„Herein!", rief sie, in einem etwas groben Ton, bevor sie sah, wer an der Tür stand.
„Oh, du bist es meine Süße, entschuldige bitte, ich dachte es wäre wieder unsere Mutter, um erneut die Sitzordnung der Hochzeitsgäste mit mir durchzugehen." Sie lächelte Mia an und winkte ihr zuvorkommend zu.
„Bitte, komm ruhig näher, ich kann eine kleine Pause wirklich gebrauchen."
Mia ging langsam auf ihre Schwester zu, die weiterhin am großen Schreibtisch ihres Zimmers sitzen blieb. Sie brauchte jemanden zum reden, jemanden, der vielleicht die Erfahrung in solchen Angelegenheiten hatte. Und da ihre Schwester kurz vor der Hochzeit stand, erschien sie ihr die richtige Person zu sein.
„Was kann ich für dich tun? Belastet dich etwas, meine Kleine? Du siehst etwas besorgt aus", bemerkte Josephine, als sie sah, wie Mia unsicher vor ihr stand und aus dem Fenster schaute.
„Können wir uns ans Fenster setzen, wie früher, als wir noch jünger waren?", sie zeigte auf das gemütliche, erweiterte Fensterbrett, welches mit einer weißen Decke und schönen großen Kissen ausgelegt war.
„Natürlich, gerne. Das haben wir schon lange nicht mehr getan, schade eigentlich."
Josephine folgte ihrer Schwester und nahm gegenüber Platz.
„Möchtest du vielleicht einen frischen Tee trinken? Ich habe ihn erst vor ein paar Minuten aufgebrüht. Es ist sogar Jasmintee, den magst du doch so gerne." Sie reichte Mia eine, mit Rosenmuster verzierte, Porzellantasse und schaute sie fragend an.
„Komm schon, rück ruhig raus mit der Sprache, ich sehe doch, dass dir etwas auf der Seele brennt."
Mia nahm einen kleinen Schluck von dem noch sehr heißem Getränk und zupfte sich ein besticktes Kissen, in ihrem Rücken, zurecht.
„Ich weiß eigentlich nicht so richtig, wie ich beginnen soll, denn eigentlich ist es viel zu früh, um so ein Gespräch überhaupt zu führen".
„Viel zu früh?", fragte Josephine, „Wir haben schon fast Mittag."
Beide Schwestern mussten lachen und die Atmosphäre lockerte sich etwas auf.
„Ich könnte mir vorstellen, es geht um den jungen Mann, den du erst vor Kurzem kennengelernt hast, oder?" Josephine hatte in letzter Zeit zwar viel um die Ohren, aber diese Tatsache blieb auch nicht verborgen.
Mia wandte ihren Blick nach oben und lächelte, als sie feststellen musste, dass es anscheinend jedem im Haus aufgefallen ist, was sich in ihrem Leben verändert hat.
„Ich denke ja, nein, also ja, du hast schon recht mit deiner Annahme."
Josephine stand erneut auf, nahm ihre vergoldete Haarbürste und sagte Mia, sie solle sich mit dem Rücken zu ihr drehen, damit sie ihr die Haare bürsten kann, wie Nana es früher immer getan hat, bei den beiden Mädchen.
Mia hielt ihre großen Augen kurz geschlossen und genoss die ersten Bürstenstriche, die durch ihr langes Haar wanderten, bevor sie erneut anfing zu sprechen: „Woher hast du gewusst, oder besser gesagt, wann hast du gewusst, dass Tom der Richtige für dich ist?"
Josephine bürstete noch etwas länger, bevor ihr die Antwort auf diese Fragen richtig erschien.
„Er ist ein angesehener Mann, der höflich und zuvorkommend ist, der sich um mich sorgt, der mir beistehen und helfen kann, wenn ich ihn brauche. Zusätzlich sind er und seine Familie betuchte Leute, die einen guten gesellschaftlichen Rang haben und mit unserer Familie befreundet sind.."
Mia unterbrach ihre Schwester, mitten in ihrem Vortrag: „Ja, das sind für dich bestimmt Vorteile, aber woher hast du gewusst, dass du ihn heiraten willst, dass du ihn liebst?"
Josephine schwieg einen Moment lang, bevor sie weiter reden konnte.
„Ich habe gelernt ihn zu lieben, meine Kleine. Er ist ein guter Mann für mich, deshalb liebe ich ihn. Als er mir den Antrag gemacht hat, war es ganz selbstverständlich für mich gewesen ihn anzunehmen, denn das war es, was ich wollte."
„War es das, was du wolltest, oder das, was unsere Eltern wollten?", fragte Mia gezielter nach,"Ich meine, hattest du kein Kribbeln im Bauch, als du ihn angesehen hast, wolltest du ihn nicht ständig berühren oder küssen, wenn er dir nahe genug war, hast du nicht jede Nacht von ihm geträumt, ihn vermisst, wenn er nicht da war, dich nach ihm gesehnt?"
„Jetzt ist es tatsächlich so, dass ich das ebenfalls will. Ich habe mich wirklich in diesen Mann verliebt, worüber ich sehr froh und glücklich bin."
„Das ist schön. Das ist eigentlich auch das, was wirklich zählen sollte."
„Das stimmt, aber das kam erst mit der Zeit bei mir. So ein Gefühl, wie du es beschreibst, hatte ich leider nicht von Anfang an, aber jetzt, wenn ich in seine Augen schaue, fühle ich so ähnlich."
Anscheinend hatte sich Mia getäuscht in der Annahme, ihre Schwester könnte ihr helfen und wollte sich gerade für das nette Gespräch bedanken und Josephine ihren Aufgaben überlassen, als diese Unterhaltung eine unvorhergesehene Wendung nahm.

„Mia, ich habe hier etwas für dich, ich bewahre es schon länger auf, mit der Bitte es dir erst dann zu übergeben, wenn ich denken würde, es ist der richtige Zeitpunkt". Josephine ging zu ihrem Nachttisch, öffnete eine der prunkvoll verzierten Schubladen, nahm ein kleines Kästchen, in dem ein Brief versiegelt lag, hervor und überreichte diesen ihrer Schwester.
„Was ist das?" , fragte Mia mit einem überraschten Gesichtsausdruck und musterte das rote Siegel, welches den Inhalt verborgen hielt.
„Schau doch genauer hin, dann sollte es dir eigentlich klar werden."
Mia drehte den Umschlag auf dem 'Für meine kleine Prinzessin' geschrieben stand erneut auf die Rückseite und begutachtete, etwas im Gegenlicht, das Siegel.
„Da ist ein Drache rein gepresst, oder? Ist das ...", Mias Herzschlag beschleunigte sich,".. ist es.. kann es sein? Ist das ein Brief von Nana? An mich? Jetzt?"
„Ja, das ist es. Ein Brief, von unserer Großmutter. Ich musste ihr versprechen, dir diesen Brief erst dann zu übergeben, wenn ich sicher bin, dass du ihn brauchst."
„Und woher weißt du, dass ich ihn brauche? Ausgerechnet jetzt?", fragte Mia fast schon verärgert darüber, dass ihre Schwester, zwar eine Nachricht von Nana für sie hatte, ihr diese aber vorher nicht gegeben hat, nach.
„Ich war mir bislang noch nie so sicher wie heute. Ich weiß auch nicht was drin steht, bevor du das von mir wissen willst. Ließ ihn, dann weißt du mehr".
„Ich ... ich muss jetzt alleine sein." Sie nahm den Brief und verließ, ohne weitere Fragen zu stellen, Josepines Zimmer und rannte damit in den Garten.
In den Teil des Gartens, den ihre Großmutter immer so mochte, wo sie des Öfteren in der großen Hollywoodschaukel, neben den alten Rosenstöcken, anzutreffen war. Mia nahm Platz an dieser Stelle und drückte das Stück Papier an ihre Brust. Sie war so neugierig was in diesem Brief stand, hatte aber genauso große Angst, diese wahrscheinlich letzte Nachricht, von ihrer Nana zu lesen. Erst nach mehreren Minuten begann sie langsam das Siegel vorsichtig zu öffnen und fing an zu lesen.


Meine liebe, süße Mia,
anscheinend konnte ich diesen Tag nicht mehr persönlich erleben, denn du hältst nun diese Nachricht von mir in deinen Händen. Deine Schwester Josephine hatte den Auftrag von mir bekommen, dir diese Nachricht zu übergeben, wenn du das erste Mal in deinem Leben von Liebe sprechen würdest.
Ich freue mich für dich mein Kind, dass du diese Liebe anscheinend gefunden hast, dass du wahrscheinlich deinem Seelenverwandten begegnet bist.
Du hast Zweifel, ob er tatsächlich der Richtige ist? Das kann ich mir vorstellen.
Aber diese Frage kann ich dir mit Sicherheit nicht beantworten, das musst du fühlen, es muss aus dir selbst kommen.
Was ich dir allerdings sagen kann, wäre, dass der Erbauer euch wieder zusammengeführt hat und wenn das sein Wille ist, dann wirst du das früher ober später erkennen.

Ich liebe Dich meine kleine Prinzessin

Deine Nana
Ps: Gehe in mein Zimmer und entferne den Kopf der Drachenstatue, darin findest du ein zusammengerolltes Gemälde von meiner Mutter und ihrem Mann, vielleicht ist das der entscheidende Hinweis, den du brauchst.


Mia liefen stumme Tränen der Rührung über ihre Wangen, sie las diesen Brief immer und immer wieder durch. Es stand so viel und doch so wenig darin, was ihr momentan helfen würde. Trotzdem war sie sehr glücklich und zutiefst dankbar für diese Nachricht, aus dem Jenseits, von ihrer Großmutter. Wie merkwürdig und wundervoll zugleich diese Botschaft doch war. Und wer oder was ist Der Erbauer ?!

Die Drachenstatue, die ihre Großmutter erwähnt hat, war wahrscheinlich Mistral. Mia lief nach weiteren vergangenen Minuten, die Treppe zum Turmzimmer ihrer Nana hoch. Sie war schon länger nicht mehr hier oben gewesen, denn zu sehr schmerzte sie der Anblick, dieses verlassenen Zimmers. Es war noch alles so, als hätte ihre Nana, diesen Raum erst vor einer Stunde verlassen, denn ihre Mutter war noch immer dagegen, den Raum wieder freizugeben. Ihr Blick suchte direkt nach der Statue des Drachens, der mit ausgebreiteten Flügeln dargestellt worden war. Bislang hatte sie keine Ahnung gehabt, dass man den Kopf der Figur entfernen konnte und musterte die schwere Skulptur genau, bevor sie ein Spalt bemerkte. Ihr Herz raste und ihre Finger zitterten beim Versuch, den großen Kopf von dem Rest des Körpers zu trennen. Erst beim dritten Anlauf gelang es ihr, den Drehmechanismus zu lockern und den Kopf abzunehmen.
Was würde sie darin für ein Gemälde finden, und warum hing es nicht öffentlich an der Wand?
Sie zog ein zusammengerolltes Stück Leinwand hervor und pustete grob die Staubschicht weg, bevor sie es langsam auseinander rollte. Sie dachte daran, dass sie ihre Urgroßmutter noch nie gesehen hat, denn von ihr gab es keine weiteren Porträts im Haus. Bislang dachte sie immer, dass es eben keine Abbildungen von dieser Generation gab, aber die Wahrheit war viel aufregender.

Der Anblick des Porträts ihrer Urgroßeltern war ihr sehr vertraut und unheimlich zugleich, denn sie ähnelten sehr stark ihr selbst und Stanton. Als ob man die beiden in einer anderen Zeitepoche gemalt hätte. Ihre Urgroßmutter trug sogar einen ähnlichen Mantel wie sie, mit definitiv demselben Kragen. Was hatte das alles zu bedeuten? Und warum ähnelte ihr Urgroßvater Stanton? Sie selbst könnte sich die Ähnlichkeit, durch den Verwandtschaftsgrad zu ihrer Urgroßmutter erklären, aber mit welchem Zufall glich ihr Urgroßvater ihm? Sie entfernte die letzten Staubpartikel aus dem Gesicht des abgebildeten Herren und stellte fest, dass auch er dieselbe Narbe am Mund hatte.
Mias Gedanken überschlugen sich wirr in ihrem Kopf, das konnte doch alles nicht möglich sein, nicht real sein, es war unerklärlich für sie. Sie drehte das Porträt um und las eine Inschrift: Ewig Dein, Ewig Mein, Ewig Uns.

Die einzige logische Erklärung, die ihr einfiel, war, dass ihr Urgroßvater ebenfalls mit der Familie Rutherford verwandt war, aber das wäre ein seltsamer Zufall.
Zumindest sahen beide sehr glücklich und verliebt aus, auf diesem Gemälde, welches sie nie wieder zurück in der Statue verschwinden lassen, sondern es erneut rahmen lassen wollte, um es aufzuhängen. Wenn auch vorerst nur in Nanas Zimmer um nicht weitere Diskussionen darüber, im Haus, zu wecken. Dieses kleine Geheimnis würde sie zunächst für sich behalten und hoffte, irgendwann ihre Fragen beantwortet zu bekommen.


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In einem anderen LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt