Kapitel 34

11 3 0
                                    

Rauschend wälzte sich das Blut durch ihre Ohren. Der Gestank von verbranntem Fleisch, Verwesung und Tod breitete seine kalte Hand nach ihr aus und streichelte zähnefletschend über ihren schweißnassen Rücken. Müde, fast völlig erschöpft und doch getrieben durch die letzten Reserven des siedendheißen Adrenalins in ihren Venen kämpfte sie weiter. Weiter gegen die langsam schwindende Übermacht von Venatori, Dämonen und durch rotes Lyrium entstellten Monster, die früher, ganz früher einmal Menschen gewesen waren - bevor sie sich der Verführung hingaben, den falschen Versprechen des selbst ernannten Übergottes Corypheus zu folgen. Sie war es leid, so leid, es immer und immer wieder gegen diese Feinde aufzunehmen, aber nur sie, sie allein, hatte den Anker - die Hoffnung, das göttliche Zeichen, das Mal auf ihrer linken Hand, welches die Risse und die Bresche schließen konnte. Von ihrem Sieg hing das Überleben einer ganzen Welt ab, ihrerWelt, und bei ihrem Scheitern würde sie für immer verloren sein.

Die Luft war erfüllt von Magie, knisterte förmlich vor Spannung, vor Elektrizität, sobald Dorian den nächsten Zauber gewirkt und damit seine Begabung und sein Können auf das Meisterhafteste demonstriert hatte, um entweder Feinde abzuwehren oder einen Schildzauber zu erschaffen, der sie alle für wenige Augenblicke unter einen schützenden Mantel stellte.
Sie war dankbar - trotz allem was war, war sie dankbar, diesen Kampf, der ihr endlos und fast aussichtslos vorkam, nicht alleine austragen zu müssen. Dankbar dafür, Begleiter an ihrer Seite zu haben, die viel mehr als nur helfende Hände waren, die für sie in den Tod gegangen wären, jederzeit, ohne ihre Befehle zu hinterfragen, denn sie waren nicht nur ihre Gefährten, sondern auch ihre Freunde.
Freundschaft - etwas, das gerade in schweren Zeiten mehr denn je auf dem Prüfstand war. Zusammenhalt, Opferbreitschaft und der Wille, dieser enorme Wille, es zu schaffen, ihn zu besiegen, ihn, den Unbesiegbaren, den alten Gott, der diese Welt an sich reissen wollte, um darüber zu herrschen.
Viele kleine Siege lagen schon hinter ihnen, die mit vielen Leben bezahlt worden waren, und auch dieses Mal würden sie es schaffen, auch wenn sie in der Minderheit waren, nicht mal eine Handvoll, nur vier.
Drei tapfere Herzen, die ihr in dieser Schlacht zu Seite standen und die im gleichen Takt schlugen. Für sie, den Inquisitor und für alles, was damit verbunden war.
Sie war die Auserwählte, die Hoffnung, der Herold Andrastes, diejenige, die alles auf ihren Schultern trug. Eine Aufgabe, um die sie niemals gebeten hatte und die mit einer so großen Last verbunden war, dass sie jeden Tag damit beginnen musste, den inneren Krieg gegen sich selbst auszufechten, um überhaupt aufstehen zu können. Trotz der Bürde musste sie es tun, denn sie hatte keine Wahl, keine Alternative, umso dankbarer war sie für die gesponnenen Bande zwischen ihr und ihren Begleitern, engsten Vertrauten, ihren Soldaten und allen, die ihr beistanden, und natürlich über das feste und unzertrennliche Band zu dem Kommandanten ihrer Truppen.
Er war ihr Fels in der Brandung, ihre Flamme in der Dunkelheit, ihr Halt und das größte Geschenk, welches dieser Krieg ihr unfreiwillig gegeben hatte. Einer ihrer drei wichtigsten Berater, einer, der sie immer auffing, sobald sie gestolpert war, sobald sie wieder Menschen in den Tod schicken musste, jemand, auf den sie immer zählen und auf den sie nie wieder hätte verzichten wollen. Nur ein Blick in seine bernsteinfarbenen Augen gab ihr Trost, Frieden, und vor allem die Kraft, weiterzumachen.


Milena schaute wie durch einen Schleier in die durch Gefangenschaft und Folter gekennzeichneten Gesichter ihrer Freunde, die trotzdem bereit waren, ihr beizustehen, an ihrer Seite zu kämpfen, zu töten, und, wenn es sein musste, ihr fast ausgehauchtes Leben zu geben.
Cassandra hatte gerade mit Schild und Schwert einen roten Templer abgewehrt, der keuchend und Blut spuckend zu Boden fiel, und das, obwohl sie selbst nur noch ein Schatten ihrer selbst war.

Der nächste Pfeilhagel fegte über ihren Kopf hinweg, zischend schnitten die scharfen Geschosse durch die Luft, gekonnt gesetzt von Sera, die so dürr und abgemagert war, dass sie sich selbst hätte in ihren Bogen spannen können. Und doch waren sie beide nur Spiegelbilder der anderen Gefangenen sowie von vielen Menschen, Qunari, Elfen und Zwergen, die diese Zeit am eigenen Leib erfahren hatten. Echos längst vergangener Tage, die sie durchleiden und erleben mussten. Ein Jahr, ein Jahr war für den Rest der Welt vergangen, für jeden von ihnen, außer für sie und für Dorian.

Ihr Schwert glitt widerstandslos durch den Körper eines Venatori, dessen Leib sich ebenfalls in die Masse der frischen Leichen am Boden einreihte. Wie viele dort lagen, hätte sie nicht sagen können – zu viele, aber noch nicht genug, dass es aufgehört hätte.
Ein weiterer Riss materialisierte sich in der stickigen Luft der großen Halle.
Auch diesen würde sie schließen, dessen war sie sich bewusst, und doch hob sie nur zögernd ihre Hand an, denn es kostete sie Kraft, viel Kraft, von der sie fast nichts mehr übrig hatte.
Diese teuflisch-göttliche Falle, die Alexius für die beiden im Namen von Corypheus bereitet hatte, diese Manipulation der Zeit schickte die Zwei ein Jahr in die Zukunft. Binnen Sekunden verloren sie nicht gelebte Zeit, während der Rest der Welt unter der sich immer weiter ausbreitenden tödlichen Hand des alten Gottes gelitten hatte.




Ihre Glieder fühlten sich taub an, Schmerzen breiteten sich wie brennendes Gift in ihrem Körper aus, aber es waren nicht mehr viele, die es noch zu besiegen gab. Cassandra schwang unermüdlich ihr Schwert und Dorian schmetterte die restlichen anwesenden Feinde durch seine Magie nieder, die ihre letzten Atemzüge auf dem steinernen Boden aushauchten.


Stille.



Erlösende Stille, für wenige Augenblicke.



Doch wie sollte es weitergehen?
Sie war verloren. Ihre Gedanken pudrig wie verbrannte Asche, keine Idee wollte in ihrem dröhnenden Schädel haften bleiben.
Was würden sie jetzt noch machen können?
Ein Jahr war vergangen, ein Jahr ohne sie, ohne dass jemand dem ganzen Chaos Einhalt gebieten konnte. Niemand war da, um die Bresche zu schließen, den Himmel zu reinigen, von dieser grünen, sich fortwährend ausbreitenden Pest.
War alles umsonst gewesen? Alles, wofür sie gekämpft hatten? Alles, wofür so viele gestorben waren?
Mia sammelte soviel Luft, wie sie nur konnte, in ihre Lungen und stieß einen verbitterten Schrei aus, bevor ihre Beine ihr die Dienste versagten und sie zusammensacken ließen. Trockene Tränen der Verzweiflung liefen über ihre Wangen.

In einem anderen LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt