Kapitel 24

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Am nächsten Tag, eine gute Stunde vor der geplanten Trauung, die gegen vierzehn Uhr im Garten des Trevelyan - Anwesens stattfindenden sollte, stand Stanton sichtlich nervös, in einen eleganten schwarzen Smoking gekleidet, vor dem Eingang des Hauses und bat um Einlass. Das gesamte Hauspersonal schien in Aufruhr zu sein und lief, überall auf dem Anwesen verteilt, wie aufgeschrecktes Geflügel umher. Die letzten Vorbereitungen waren im Gange und die geladenen Gäste trafen, fast im Minutentakt, nach und nach ein. Ein aufgeregtes, junges Dienstmädchen öffnete ihm die Tür, bat ihn höflich herein und verschwand wieder sehr schnell, nachdem er die Empfangshalle betreten hatte.
Er fühlte sich nicht gerade wohl, inmitten der vielen fremden Gäste, die schon sehnlichst auf den Auftritt des Brautpaares warteten. Mia war zwischen den unzähligen Personen nicht ausfindig zu machen, die teilweise drinnen oder schon im Außenbereich standen. Stanton ließ sich die nächste Gelegenheit nicht entgehen, ein Glas Champagner, von einem mit Tablett ausgestatteten Kellner, entgegen zu nehmen. Er brauchte in diesem Moment wirklich etwas zu trinken, etwas, dass ihn die ganze Situation besser überstehen lassen würde und nicht zuletzt etwas, woran er sich festhalten konnte. Die feinen Damen, in ihren schicken Cocktailkleidern, Hüten, beladen mit Schmuck und teilweise mit Fächern ausgestattet, mit denen sie sich nicht nur frische Luft zuwedeln, sondern auch sehr gut dahinter tratschen konnten, warfen ihm nicht selten genau diese Blicke zu, die er so verabscheute. Diese Feier war das komplette Gegenteil zu der lockeren Party von vor einer Woche. Eigentlich wollte er ohne Vorurteile in diese Veranstaltung reingehen, aber schon nach wenigen Minuten wurde ihm wieder all zu deutlich vor Augen geführt, warum diese Art von Gesellschaft niemals die sein würde, der er sich freiwillig aussetzen wollte.
Nachdem er deutlich zwei jüngere Damen darüber diskutieren hörte, ob er denn noch zu haben wäre, entfernte er sich wenige Schritte von den beiden, in der Hoffnung sie würden nicht auf die Idee kommen ihn persönlich danach zu fragen.
Der große, sehr festlich dekorierte Empfangsraum glich einem gigantischen Ballsaal, von dem man sowohl über zwei gebogene sich rechts und links von der Mitte ausgehende Treppenaufgänge nach oben begeben konnte, wie auch den Außenbereich, zunächst über eine Marmorterrasse von der ebenfalls Treppen an beiden Seiten nach unten führten, erreichen konnte. Im parkähnlichen Garten war ein sehr großes Zelt für die Feierlichkeiten nach der Trauung aufgebaut worden, welches sich unweit des Platzes befand, an dem die eigentliche Trauung, im Freien, stattfinden sollte.
Es war fast unangenehm heiß an diesem Nachmittag und Stanton wünschte sich diesen Tag lieber alleine mit Mia am Meer genießen zu dürfen, als dort zu sein.
Nach einer Weile, die ihm persönlich endlos lang vorkam, erblickte er Dorian, der sich gerade mehr oder weniger angeregt in einem Gespräch befand. Auch Mias Bruder schien ihn im gleichen Moment gesehen zu haben, denn er unterbrach einfach kurzerhand sein Gespräch und ging auf ihn zu.
„Stanton, willkommen in unserer bescheidenen Hütte", begrüßte ihn Dorian mit einem ironischen Unterton, „Du siehst genauso aus, wie ich mich gerade fühle." Dorian, der ebenfalls sehr festlich und elegant gekleidet war, stieß sein Champagnerglas gegen das Seine. „Furchtbar, nicht wahr? Da hilft es nur noch sich zu betrinken", er lachte, „Das ist schon mein drittes oder viertes Glas für heute und ich habe noch nicht viel gegessen."
„Du hast zumindest den Vorteil, dass du hier viele oder sogar alle Gäste kennst. Ich hingegen warte sehnsüchtig auf deine Schwester und darauf, dass die Zeit schneller vergeht", gestand er.
„Ob das ein Vorteil oder eher ein sehr großer Nachteil ist, diese feinen Leute zu kennen, darüber lässt sich streiten. Für mich ist es eindeutig ein Nachteil." Dorian nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas und musterte die vorbeigehenden Gäste, denen er aufgesetzt freundlich zunickte.
„Ich will eigentlich gar nicht hier sein, das kann ich dir schamlos offenbaren, weil es dir wahrscheinlich nicht anders ergeht."
Stanton lächelte. „Ich werde dich nicht verraten. Ist Zevran eigentlich auch hier?"
„Selbstverständlich. Irgendwo dort draußen wird er sich wohl gerade aufhalten. Ich habe darauf bestanden, sogar darum gekämpft, dass er hier sein darf. Du kannst dir wohl sehr gut vorstellen, wie begeistert mein Vater darüber war, der es natürlich viel lieber sehen würde, dass ich hier einige alleinstehende, junge Damen bespaße." Für eine Millisekunde schien die gerade noch vorhandene Fröhlichkeit aus seinem Gesicht gewichen zu sein. „Ich musste versprechen für keinen Skandal zu sorgen."
„Einen Skandal? Was meinst du genau?", fragte Stanton leicht irritiert über diese Aussage.
Ein schiefes Lächeln schlich sich wieder langsam zurück auf Dorians Gesicht. „Ich könnte zum Beispiel in aller Öffentlichkeit meinen Partner küssen", er hielt sich eine Hand vor den Mund, „Oh mein Gott! Was wäre das für ein Fehltritt! Stell dir mal die Blicke der Herrschaften hier vor", er lachte gehässig, „Mal sehen, ob ich später noch in der Lage sein werde mich zu beherrschen. Prost!"
„Vielleicht solltest du dann doch lieber etwas langsamer trinken. So reizvoll mir die Vorstellung auch erscheint, die entrüsteten Gesichter der gesamten Gäste in so einem Moment zu sehen, solltest du vielleicht an deine Schwester Josephine denken. Sie und ihr Mann sollten hier heute im Mittelpunkt stehen."
„Spielverderber, aber natürlich hast du recht. Mich ausgerechnet heute öffentlich zu outen wäre sehr unangebracht. Zudem steht mir danach auch nicht gerade der Sinn, meine persönlichen Vorlieben der gesamten High Society unter die Nase zu reiben. Das ist meine Privatsache."
„So sehe ich das auch. Apropos Privatsache, wo ist eigentlich Mia? Ich kann sie nirgends ausfindig machen", fragte Stanton, während er seinen Blick umherschweifen ließ.
„Eben war sie noch hier unten, aber Josephine hat anscheinend nach ihr verlangt und sie musste nach oben, zu ihr gehen. Keine Ahnung, worum es geht, wahrscheinlich bekommt sie jetzt doch kalte Füße."
„Ich hoffe so schlimm wird es nicht sein." Stanton spürte neugierige Blicke in seinem Rücken und konnte nicht widerstehen, sich umzudrehen. Kurz darauf bereute er schon seine Entscheidung, als er sah, dass zwei junge Damen ihre Gläser in seine Richtung erhoben hatten.
Dorian entging diese Geste ebenfalls nicht. „Ja, damit musst du hier rechnen. Sie kennen dich nicht, du bist quasi Frischfleisch, zudem gut aussehend, noch ohne Begleitung und du hast auch keinen Ring am Finger."
„Als könnten die beiden sehen, ob ich einen Ring trage", entgegnete er leicht entrüstet, während er auf seine Hand starrte.
„Glaub mir, die sehen alles, und wenn du hier weiterhin alleine gestanden hättest, dann hättest du höchstwahrscheinlich eine ganze Traube von willigen, hochgeborenen Damen um dich herum versammelt."
„Darüber möchte ich mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen müssen. Darf ich dich um etwas bitten?"
„Selbstverständlich, worum geht es denn?", Dorian schenkte ihm seine volle Aufmerksamkeit, nachdem er wieder ein paar vorbeigehende Gäste begrüßt hatte.
„Kannst du mir zeigen, wer dein, beziehungsweise euer Vater ist, oder mich ihm vorstellen?"
Ein überraschter Blick war Dorians erste Reaktion darauf. „Wieso, wenn ich fragen darf?"
„Ich würde gerne mit ihm sprechen, es geht um Mia."
„Das konnte ich mir fast schon denken, aber geht es auch etwas genauer?"
Stanton atmete tief durch und konnte seine Hand nicht davon abhalten, sich in seinen Nacken zu legen. Mias Bruder versuchte, ihn währenddessen zu durchschauen.
„Ich würde ihn gerne um ein persönliches Gespräch bitten?", gestand er etwas aufgeregt.
„Wieso?" Dorian schien nicht wirklich zu begreifen, was er jedoch getrieben durch seine Neugier nicht einfach hinnehmen wollte. Stanton stand, wie angewurzelt da und war weiterhin nicht dazu bereit sich zu erklären.
„Moment! Das kann nur eines bedeuten", anscheinend hatte Dorian einen kurzen Augenblick der Erleuchtung erfahren, „Ist es das, was ich vermute? Ist es das?"
Stanton musste lachen, „Ich habe doch keine Ahnung, was du gerade vermutest."
„Du willst um ihre Hand anhalten! Habe ich recht?", er schaute ihm dabei tief in die Augen, in denen er die Antwort schon ablesen konnte, bevor Stanton sie ihm gab, „Mach es am besten heute", fügte er sehr sicher hinzu.
„Heute? ... Aber heute hat dein Vater bestimmt keinen Sinn und keine Zeit dafür."
„Doch, doch. Heute ist es perfekt. Warte, bis er etwas getrunken hat, nicht zu viel natürlich, dann hat er beste Laune. Außerdem würde er sich heute, vor den vielen Gästen niemals abfällig äußern", Dorian klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter, „Glaub mir, es wird keinen besseren Zeitpunkt geben."
„Du kennst ihn besser. Ich werde dir vertrauen müssen."
„Sehr schön, sehr schön. Ich werde ihn beobachten, und sobald ich denke, dass er bereit für so ein Gespräch ist, dann werde ich dir ein Zeichen geben", Mias Bruder schien sehr enthusiastisch zu sein, „Das schaffen wir!"
„Wir?!?", fragte Stanton sichtlich erstaunt.
„Natürlich wir. Ich werde dir beistehen, also nicht direkt, aber ich könnte eingreifen, falls er wanken sollte. Dann lege ich ein gutes Wort für dich ein", versicherte Dorian sehr selbstzufrieden.
Mit so viel Unterstützung von Mias Bruder hätte Stanton niemals gerechnet, wenn man bedachte, wie er sich anfänglich verhalten hatte, aber schaden konnte es nicht.
„Ich danke dir."
„Keine Ursache. Ich weiß, dass Mia dich liebt und ich bin mir sicher, dass sie dich auch ohne den Segen meiner Eltern, oder speziell meines Vaters, heiraten würde. Aber so wäre es natürlich besser, für uns alle. Du willst sie also wirklich heiraten?"
Stanton nickte, „Ja, das will ich."
„Obwohl sie keine Jungfrau mehr ist?", fragte Dorian und lachte im selben Augenblick herzhaft über seinen eigenen Witz, der ihm selbst als der Beste des Tages vorkam.
Stanton schnaubte, kopfschüttelnd, durch. „Du solltest jetzt wirklich etwas essen, oder besser noch, eine kurze Trinkpause einlegen."
Dorian blickte in sein leeres Glas, „Vielleicht hast du recht. Ich werde mich mal kurz verabschieden, außerdem ...", er machte eine Kopfbewegung, die Stanton dazu animieren sollte sich umzudrehen, „sieh sie dir an! Sie strahlt, wie die aufgehende Sonne."

Dorian hatte recht. Sie strahlte, während sie die gebogene Treppe hinunter lief und ihren Blick dabei über die Menge der Gäste suchend schweifen ließ. Sie sah im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend aus.
Als sie ihn, inmitten der wartenden Menge erblickt hatte, blieb sie kurz stehen und schenkte ihm ein süßes Lächeln. Ihre Hand ruhte dabei leicht auf dem vergoldeten Treppengeländer. Bei jedem ihrer weiteren Schritte tanzten die feinen Fäden, die ihr zartrosa Charlestonkleid der Länge nach umrundeten. Ihre Schulterpartie war, bis auf die schmalen Träger frei. Dazu trug sie eine, zweimal um den Hals gewickelte Perlenkette, champagnerfarbene, seidig schimmernde, lange Handschuhe und ein farblich passendes Stirnband, mit einer feinen Marabufeder an der linken Seite. Ihre Haare waren hinten hochgesteckt und mit einem feinen Netz überzogen.

Mia hielt seinen Blick fest, während sie sich durch die Menge hindurch, auf ihn zubewegt hatte. Die Gäste, die sie erblickt hatten, bildeten einen kleinen Gang und schauten ihr hinterher. Die jungen Kavaliere starrten sie schamlos an, während die Damen sie neidisch musterten.

„Da bist du endlich, ich habe dich gesucht", sagte Mia, als sie ihm nahe genug war.
Stanton reichte ihr, bei ihren letzten beiden Schritten, die Hand. „Ich bin hier schon eine ganze Weile, aber ...". Er konnte seinen Satz nicht mehr beenden, denn sie küsste ihn auf den Mund. Lange, zu lange, als dass es unbemerkt blieb. Stanton fragte sich, ob das akzeptabel wäre, aber sie schmeckte so süß und schmiegte sich dabei ganz eng an ihn heran, dass es ihm gleichgültig wurde und er ihren Kuss einfach erwidern musste.
„Ich habe dich vermisst", flüsterte sie ihm zu, sobald sie wieder dazu bereit war seinen Mund freizugeben. Er stimmte ihr lächelnd zu.
„Du bist hier mit Abstand die schönste Frau und ich bin froh, dass du den Abend an meiner Seite verbringen wirst." Nur langsam bemerkte er wieder die staunende Menge um ihn herum. Die eifersüchtigen Blicke der feinen Damen, die sich direkt wieder hinter ihren Fächern versteckt hatten, um über dieses skandalöse Verhalten zu diskutieren. Sie waren nicht verheiratet, nicht einmal verlobt, und ein solcher Kuss, in der Öffentlichkeit, war anscheinend zu viel für die gehobene Gesellschaft, die wahrscheinlich viel schlimmere Dinge hinter verschlossenen Türen trieb.
„Das trifft sich doch gut, denn du bist hier der attraktivste Mann", sie richtete seine schwarze Fliege, „Komm, die Trauung wird gleich beginnen und vielleicht kann ich dich vorher noch meinen Eltern vorstellen." Sie nahm ihn an die Hand und führte ihn in den Garten. Draußen war nicht weniger los, eher im Gegenteil. Ein Streichquartett spielte klassische Musikstücke ein und probte ein letztes Mal für die bevorstehende Trauung. Die erste Begegnung mit Mias Eltern bereitete ihm Unbehagen. Natürlich wollte er einen guten Eindruck hinterlassen, denn dafür gab es keine zweite Chance. Abgesehen davon waren es ihre Eltern, über die er leider nicht viel wusste. Nicht einmal, wie sie aussehen und würden, wenn alles gut geht, seine Schwiegereltern werden.
„Wie geht es deiner Schwester?", fragte er, während sie ihn langsam durch die Menge führte.
„Sie ist sehr nervös. Komischerweise nicht, weil sie heiratet, sondern ob alles glatt verlaufen wird, ob das Essen den Gästen schmecken wird, ob die Musik passend gewählt ist und ob ihr Kleid das Richtige ist ... um zu beeindrucken. Typisch Josy. Sie macht sich immer so viele Gedanken, die absolut nicht wichtig sind. Ich meine, sie haben das ewig geplant, es wird schon alles gut gehen."
Stanton schaute auf die Uhr. Bis zum Beginn der Zeremonie waren es nur noch zwanzig Minuten, und die Gäste wurden langsam dazu aufgefordert ihre Plätze einzunehmen. Der blaue Himmel war wolkenlos und bildete einen schönen Kontrast zu der frischen Grasfläche, auf der unzählige Stühle, bedeckt von zart golden schimmernden Hussen, aufgereiht standen. In der Mitte führte ein freier, langer Gang zu einem kleinen Podest, der über zwei Stufen zu erreichen war. Sowohl die kleine Bühne wie auch die Treppen und der dahin führende Gang waren mit einem cremefarbenen Teppich ausgelegt. Ein großer, vergoldeter Metallbogen, der mit unzähligen Rosen, in beige, gelb und weiß dekoriert war, zeigte den Platz an, unter dem sich das Brautpaar das Ja - Wort geben würde.
„Ich sehe weder meine Mutter noch meinen Vater. Er wird sowieso schon bei meiner Schwester sein, denn schließlich führt er sie zum Reverent hin. Wir sollten auch unsere Plätze einnehmen."
Mia führte ihn weiter, an weiteren Gästen vorbei, in die erste Sitzreihe.
„Die Familie Trevelyan soll auf dieser Seite sitzen, auf der Seite der Braut", erklärte sie ihm, während sie selbst den vierten Sitzplatz für sich beanspruchte, „Du sitzt neben mir, an meiner linken Seite, denn rechts von mir sitzen Dorian, dann meine Mutter und am Anfang dieser Reihe wird Vater sitzen."
„Und ich darf hier mitten unter euch Platz nehmen?", fragte er sichtlich überrascht.
„Selbstverständlich. Warum auch nicht?"
„Für Zevran ist auch kein Platz neben Dorian vorgesehen, daher dachte ich ..."
Mia schaute ihn von der Seite an, „Es sind nicht alle so tolerant, wie du. Du kannst dir doch sicher vorstellen, dass diese Tatsache meinem Bruder auch nicht passt, aber er wollte deswegen keinen Streit lostreten. Alle übrigen Gäste würden sich direkt fragen, warum neben dem gut aussehenden, scheinbar freien Dorian, der ja eine tolle Partie für eine ihrer Töchter abgeben würde, ein Mann sitzt. Stanton, hier ist fast alles mehr Schein als Sein."
Natürlich hatte Mia recht, er hätte auch selbst darauf kommen können, aber sie beide waren auch kein offiziell anerkanntes Paar gewesen.
„Und mit welcher Berechtigung sitze ich hier?", fragte er sie leise ins Ohr und griff nach ihrer Hand.
„Ganz einfach, ich habe einen Streit losgetreten", erwiderte sie stolz mit einem Lächeln.
„Ernsthaft?"
Sie zuckte mit den Schultern. „Ja! Außerdem sollen sie doch alle wissen, von mir aus auch darüber tratschen, mit wem ich zusammen bin. Das meiste davon ist Neid, oder andere Gründe, die mich nicht interessieren", sie gab ihm ein Kuss auf die Wange, „Ich liebe dich und das tue ich auch in der Öffentlichkeit, zudem hat nur diese selbst ernannte, obere Schicht anscheinend ein Problem damit."

Nach und nach gesellten sich die anderen Familienmitglieder dazu, und die restlichen Reihen füllten sich ebenfalls. Das Streichquartett spiele eine klassische, ruhige Melodie und Stanton konnte zum ersten Mal einen Blick auf den Bräutigam werfen, der seinen Platz unter dem geschmückten Torbogen eingenommen hatte. Ein stattlicher, leicht an den Schläfen ergrauter, dunkelhaariger Mann, mit einem Bart, stand sichtlich nervös vor dem Reverent. Er trug einen eleganten, schwarzen Frack mit Zylinder, eine passende Weste und ein weißes Hemd. Die einzigen Farbakzente waren seine goldfarbene Krawatte, die zum größten Teil von der Weste überdeckt wurde und ein dazu passendes Stecktuch, in seiner Jackentasche.
„Eine goldene Krawatte?", fragte Stanton leise.
„Josys Lieblingsfarbe. Gold aber auch Gelbtöne, das ist ihre Welt. Sie wollte mich auch in ein gelbes Kleid stecken, aber ich habe mich geweigert."
„Wieso wollte sie dir die Kleidung vorschreiben?"
„Weil ich auch eine Brautjungfer sein sollte, aber ich habe ihr Ersatz besorgt, weil ich keine Brautjungfer werden wollte, schon gar nicht in einem gelben Kleid."
„Sie war damit einverstanden? Du bist schließlich ihre Schwester."
„Sie musste. Sera ist für mich eingesprungen. Nach dem ganzen Disaster vor vierzehn Tagen musste ich sie auch nicht lange dazu überreden."

Der Bräutigam kontrollierte zum wiederholten Male die Zeit auf seiner Taschenuhr und blickte aufgeregt, in Richtung der Villa, aus der in wenigen Minuten Josephine mit ihrem Vater hinauskommen würde. Währenddessen nahm eine blonde, gut gekleidete, sehr sympathische Frau den Platz neben Dorian ein.
„Mutter, da bist du ja", war Mias Reaktion darauf, „Ich habe dich überall gesucht. Ich wollte dir eigentlich noch vor der Zeremonie jemanden vorstellen."
Mias Mutter lächelte sanft, „Ich weiß Milena, es tut mir auch furchtbar leid, aber Josephine wollte mich nicht früher entlassen. Du kennst sie, sie musste alles noch einmal mit mir durchsprechen, aber sie wird in wenigen Augenblicken hier sein, daher müssen wir unser Kennenlernen auf später verschieben", sie nickte Stanton freundlich zu.
Dorian, der zwischen den beiden Frauen saß, kommentierte es nur durch ein Kopfschütteln. Stanton war es etwas unangenehm, dass er ihrer Mutter nicht einmal die Hand schütteln konnte, da im selbigen Moment die Musik schon eingesetzt hatte und die Ankunft der Braut damit ankündigte.
„Das ist jetzt etwas schief gelaufen", flüsterte er Mia ins Ohr, „Ich hoffe deine Mutter nimmt es mir nicht übel."
„Mach dir keine Sorgen, es war ja nicht deine Schuld. Sie wird das verstehen", versuchte sie ihn zu beruhigen, „Die Trauung wird nicht sehr lange dauern, und später ist noch genügend Zeit dafür."
Das Quartett spielte zum Einzug der Braut, die klassische Melodie von Richard Wagner – Brautchor aus Lohengrin


Nachdem alle fünf Brautjungfern, samt männlicher Begleitung, ihren Gang durch die Mitte absolviert und ihre Plätze eingenommen hatten, folgte die Braut mit ihrem Vater am Arm. Alle Gäste standen auf und schauten gespannt auf die junge Frau, die sehr langsam und bedächtig auf ihren zukünftigen Mann zuging. Josephine strahlte, wie es sich für eine Braut gehörte, und klammerte sich bei jedem ihrer Schritte immer mehr an ihren Vater, der voller Stolz seine Tochter geführt hatte. Sie trug ein weißes Kleid, mit kurzen, leicht aufgebauschten Ärmeln. Es war mit Stickereien, Strasssteinen und Perlen, ausgestattet, funkelte dadurch bei jedem ihrer Schritte in der Sonne und hatte eine sehr lange Schleppe. Dazu ein passender, langer Schleier und ein Blumenstrauß aus gelben und weißen Rosen im Wechsel.
Stanton konnte die Blicke einiger Gäste nicht wirklich nachvollziehen, denn es sah teilweise nicht so aus, als würden sie sich für die beiden freuen. Man konnte Tränen der Rührung beim Bräutigam erkennen, als er ihr die zwei Stufen entgegen kam und ihm die Braut kurz darauf, durch ihren Vater, übergeben wurde.

Stanton fragte sich die gesamte Zeremonie über, ob Mia auch so eine Trauung möchte. Oder, ob man so eine Feier ebenfalls von ihr erwartet, denn das wäre zwar nicht in seinem Sinne, aber natürlich würde er sich ihrem, oder besser gesagt dem Wunsch ihrer Familie beugen, falls es nötig wäre.
Das Brautpaar sah sehr glücklich aus, was ihn persönlich sehr gefreut hatte. Als der lang ersehnte Hochzeitkuss folgte, schmiegte sich Mia näher an ihn heran und schenkte ihm ein verträumtes Lächeln. Die Menge applaudierte, als das frisch vermählte Paar gemeinsam die Stufen wieder hinabstieg und das Ende der Trauung damit verkündet hatte.

In einem anderen LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt