Kapitel 26

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„Lebt er noch?", fragte ein jüngerer Mann, in dessen Stimme ein heller, quietschender Unterton lag.
„Na ich hoffe doch! Sonst wäre die ganze Mühe vergebens gewesen", antwortete ihm ein älterer Typ, dessen Stimme tief und kratzig klang.
„Ich verstehe nicht, warum ihn der Boss unbedingt lebend haben will. Ich meine, wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte ich ihm schon längst eine Kugel in den Kopf gejagt. Was will er mit ihm machen? Das ist doch ein Niemand!"
„Befehl ist Befehl, Martin! Daran solltest du dich gewöhnen, wenn du weiterhin bei uns mitmachen willst. Der Boss duldet keine Widerrede und schon gar keine kleinen Klugscheißer, wie du einer bist!", zischte ihn der Ältere an.
„Ist ja schon gut. Jetzt beruhige dich wieder. Ich finde es trotzdem beschissen, dass wegen ihm zwei unserer Männer tot sind. Er hat sie mit einem Schwert massakriert. Unfassbar! Mit einem Schwert! Wie zum Henker kommt er an ein Schwert? Und warum führt es auch noch mit sich?! Blödes Arschloch!" Der Jüngere spuckte auf den Boden und lief aufgeregt durch den Raum.
„Martin, setz' dich hin! Du machst mich nervös!", befahl ihm der Ältere und zündete sich eine Zigarette an, „Der Boss wird bestimmt noch weitere Anweisungen geben, vielleicht sogar bald persönlich hier auftauchen. Solange will ich aber meine Ruhe haben."
„Und wenn er tot ist? Vielleicht ist er einfach still und leise abgekratzt und wir haben es nicht bemerkt, denn wir haben ihm schon ganz schön zugesetzt, vielleicht hat er innere Blutungen", er lachte verhöhnend.
„Dann geh zu ihm hin und wecke ihn auf! Kipp ihm von mir aus einen Eimer Wasser ins Gesicht, wenn du dich nicht traust näher an ihn heranzutreten. Er ist zwar gefesselt, aber wer weiß, vielleicht kann er zaubern und verwandelt dich in eine hässliche, kleine Kröte", spottete der Ältere, „Obwohl, das bist du ja schon!"
„Sehr witzig, John! Vielen Dank, aber du siehst auch nicht viel besser aus! Woher soll ich jetzt einen Eimer nehmen?", fragte Martin hörbar überfordert.
„Mensch, dann piss ihm ins Gesicht. Ist auch nass", antwortete John mit einem dreckigen Lachen.
Martin wollte den Vorschlag scheinbar wirklich in die Tat umsetzen. „Spinnst du?! Das war nur ein Scherz!! Bist du irre?! Wie willst du später dem Boss erklären, dass er nach Pisse riecht?!", er atmete resigniert durch, „Du bist aber auch zu nichts zu gebrauchen. Ich wünschte das feine Kerlchen hätte dich anstatt Frank erledigt! Der hatte wenigstens noch etwas mehr Grips in der Birne. Bei dir kann ich bislang noch keinen Krümel Weisheit erkennen."



Stantons Schädel dröhnte. Die Kopfschmerzen waren so stark, dass es ihm schon alleine davon übel wurde. Jede Faser seines Körpers tat ihm weh. Er war nicht einmal in der Lage zu lokalisieren, woher die schlimmsten Schmerzen kamen, und der Geschmack seines eigenen Blutes drang unverkennbar bei jedem Schlucken zu ihm durch. Er hatte keine Ahnung, wo er war, wie er dorthin kam, oder was genau passiert ist. Erst langsam erlangte er wieder das Bewusstsein und spürte nach und nach diesen quälenden Schmerz, der sich durch seinen gesamten Körper zog. Die Luft im Raum, indem er sich befand, war drückend heiß und sehr stickig. Der Geruch von kaltem Rauch, Schweiß und Blut vermischte sich zu einer übel riechenden Dunstwolke, die ihm gnadenlos in die Nase stieg. Nur ganz schwammig erinnerte er sich bruchstückhaft noch an die letzten Geschehnisse am Freitagabend. Er war auf dem Weg nach Hause gewesen, kam gerade von François, bei dem er sein repariertes Schwert und die Ringe abgeholt hatte. Der Künstler hatte ihm voller Stolz sein neu geschmiedetes Schwert übergeben und zusätzlich dazu noch eine passende Schwertscheide, die er als Überraschung für ihn besorgt hatte. Zudem nahm er die Ringe entgegen, die so perfekt ausgearbeitet waren, dass es ihm fast die Sprache verschlagen hatte. Dieser Glücksmoment, als er beide Schmuckstücke zum ersten Mal in seinen Händen halten durfte, war unbeschreiblich emotional für ihn gewesen.

Es war schon dunkel, als er den Wagen in der Nähe seiner Wohnung geparkt hatte. Stanton erinnerte sich daran, dass er gerade die Sachen aus dem Auto genommen hatte und die Tür des Wagens wieder verriegelte, als er ein Schreien hörte. Ein Schreien, welches aus einer dunklen Nebengasse kam, ein Rufen nach Hilfe, von einer Frauenstimme.
Selbstverständlich zogen diese Hilfeschreie seine Aufmerksamkeit auf sich, und er eilte dem vermeintlichen Opfer zur Hilfe. Als er jedoch in der Gasse, die nur in einer Richtung eine Fluchtmöglichkeit anbot, angekommen war, verstummte die Frau wieder, rannte davon und die ganze Angelegenheit entpuppte sich als eine Falle. Er wurde schlagartig von fünf Männern umstellt und kurz darauf auch schon angegriffen. Einer der Maskierten schrie immer wieder sehr laut dazwischen, dass sie ihn nicht töten dürften, während die anderen versucht hatten ihn zu überwältigen. Da er sein Schwert in der Hand hielt, benutze er es auch. Warum er nicht seine Pistole gezogen hatte, daran konnte er sich nicht mehr erinnern. Es war eine instinktiv impulsive Handlung, das Schwert zu ziehen. Zwei der Angreifer, die mit Holzschlägern bewaffnet waren, erlitten dabei tödliche Verletzungen. Einen hatte er sogar in der Mitte halbiert. Das Gefühl, als die frisch geschärfte Klinge, wie durch warme Butter, durch den Körper schnitt, war für ihn merkwürdig vertraut und befriedigend zugleich. Während er sein zweites Opfer durch einen tiefen Bauchschnitt tödlich verwundet hatte, wurde er von einem anderen Angreifer mit Sand oder Dreck beworfen, was ihm für wenige Sekunden die Sicht nahm. Nur einen Augenblick später spürte er einen heftigen Schlag gegen seinen Hinterkopf. An den Rest konnte er sich nicht mehr erinnern, da er ab diesem Zeitpunkt sein Bewusstsein verloren hatte.

Stanton wusste nicht wie lange er schon mit verbundenen Augen, an einen Stuhl gefesselt, in diesem Raum eingesperrt war. Er wusste nicht, ob es noch Nacht oder schon Tag war, oder ob er sogar schon länger, als er dachte, dort festgehalten wurde. Die Stimme einer seiner Geiselnehmer war dieselbe Stimme, die auch den anderen Männern befohlen hatte ihn nicht zu töten. So, wie er sich allerdings gefühlt hatte, haben sie im Nachhinein ihre Wut und ihren Frust darüber an seinem ohnmächtigen Körper ausgelassen. Vermutlich durch Tritte in den Bauch und Schläge gegen seinen Kopf sowie andere Körperteile.
Er ging ihm miserabel.
Zu den körperlichen Schmerzen, derer er sich immer bewusster wurde, kam noch eine wahnsinnige Wut hinzu. Nicht nur auf diese Männer, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu Cory Pheus gehört hatten, sondern vor allem auf sich selbst. Darauf, dass er so leichtsinnig in diese Falle getappt war, dass er nicht besser aufgepasst hatte, und darauf, dass er sich nicht wieder daraus befreien konnte.
Sie hatten ihn, und es war seine eigene Schuld, seine Dummheit, seine Unachtsamkeit, die ihn in diese verheerende Lage gebracht hatte.
Er war unfähig sich überhaupt nur einen Zentimeter zu bewegen, denn zu stark waren die Fesseln an seinen Hand und Fußgelenken befestigt worden, zudem konnte er nichts sehen, war somit gnadenlos ausgeliefert und völlig machtlos. Die Situation schien hoffnungslos zu sein, denn niemand wusste, wo er war. Nicht einmal er selbst konnte sich orientieren. Das Einzige, was er vernahm, waren die Stimmen der zwei Männer. Stanton beschloss still zu bleiben, in der Hoffnung, sie würden ihm zumindest ein paar Informationen liefern, solange sie nicht ahnten, dass er wieder bei Bewusstsein war.


„Und was machen wir jetzt John?", fragte der Jüngere, dessen Stimme Stantons Kopfschmerzen nur noch intensivierte.
„Das habe ich dir eben schon gesagt. Wir warten. Wir warten auf neue Anweisungen und wir warten darauf, ob die Anderen auch die Kleine ausfindig machen konnten, denn leider war sie ja nicht bei ihm. Der Boss wollte sie beide haben, aber besser einer, als keiner der beiden", brummte John hörbar mies gelaunt.
Stanton biss sich fest auf den Unterkiefer, denn er wusste direkt, über wen sie sprachen.
„Wer ist denn die Kleine? Ist sie eine hübsche, süße Tanzmaus, die man hier, nach getaner Arbeit, vernaschen kann?" Martins Stimme klang naiv aber lüstern.
„Vielleicht. Sie ist eine aus gutem Hause. Die sind anderes, weißt du - das sind Frauen mit Stil, die ficken nicht mit jedem. Mit so einem wie dir schon dreimal nicht. Blöd, dass wir nur ihn schnappen konnten. Die Kleine wird wahrscheinlich sehr gut bewacht werden, da kommen die Anderen auch nicht nahe genug heran. Schade eigentlich. So junge Dinger sind noch unschuldig und unverbraucht. Denen kann man noch zeigen, was ein richtiger Mann alles so drauf hat, verstehst du? Ich meine so eine feine Dame hat doch keine Erfahrung mit einem richtigen Kerl, die ist wahrscheinlich noch Jungfrau, die muss noch richtig durchgevögelt werden!"
„Das wäre ein Spaß, wenn wie sie hier hätten", bestätigte Martin, „Wahrscheinlich dürften wir erst, nachdem der Boss mit ihr fertig wäre, aber was soll's, etwas würde er uns doch bestimmt übrig lassen, oder?"
„Vielleicht, aber sie ist nun mal nicht hier. Ich weiß nicht, was der Boss mit ihm vorhat, er hat es mir leider nicht verraten. Aber als Lohn für unsere Mühen wäre sie natürlich eine nette Abwechslung. Mir würden direkt einige schmutzige Dinge einfallen, welche ich mir ihr anstellen würde." Beide Männer fingen an obszöne Laute von sich zugeben.

Stanton holte tief Luft und konnte einfach nicht mehr länger still bleiben, „Ich bring euch um, wenn ihr etwas passieren sollte, wenn nur einer von euch ihr zu nahe kommt, dann reiß ich euch in Stücke!", zischte er die beiden an, die daraufhin kurz verstummten.
„John! Er lebt noch! Er hat gerade etwas gesagt", bemerkte Martin fast fröhlich.
„Das habe ich auch gehört, du Idiot!"
Stanton vernahm schwere, hastige Schritte auf ihn zukommen und eine Sekunde später wurde er ohne Vorwarnung von einer Faust mitten ins Gesicht getroffen. Sein Mund füllte sich rasch erneut mit frischem Blut, welches er ohne einen Laut von sich zu geben zu Seite ausgespuckt hatte.
„Halts Maul!", brüllte John ihn direkt an, „Du hast hier gar nichts zu melden. Vielleicht sollten wir ihn auch noch knebeln, damit er still ist!"
„Oder wir schneiden ihm einfach die Zunge heraus, mit seinem eigenen Schwert!", schlug Martin hörbar erregt vor, „Seine Zunge wäre doch wenigstens eine kleine Genugtuung für unsere Freunde."
„Finger weg!", brüllte der Ältere ihm entgegen, „Das sollten wir dem Boss überlassen, was er ihm alles ab oder herausschneiden will. Du entscheidest hier genauso viel, wie dieser Bursche!"
„Scheiße, ich hätte ihm so gerne seine Zunge herausgeschnitten."
„Was stimmt eigentlich nicht mit dir? Ich verstehe überhaupt nicht, wie du bei uns aufgenommen wurdest. Du bist ein blöder Hund, mit ganz blöden Ideen!"
Martin schnaubte durch die Nase, „Leck mich doch!"
„Was ist heute für ein Tag?", wollte Stanton wissen. Seine Kehle brannte bei jedem Wort, welches er heiser von sich gab.
„Der Tag, an dem du sterben wirst!", fauchte John ihn an.
„Wenn ich hätte sterben sollen, dann wäre ich schon längst tot!"
„Wo er recht hat, hat er recht", mischte sich Martin ein.
„Halts Maul! Verbrüderst du dich jetzt etwa mit diesem Subjekt? Ich kann dich gerne ebenfalls fesseln, dann könnt ihr nebeneinander sitzen und Händchenhalten", feuerte John ihm entgegen.
Martin ignorierte die Drohung, „Was ist das für ein Schwert?", fragte er neugierig, bei Stanton nach.
„Das ist das Schwert, welches euch beide töten wird! Schau er dir genau an, denn es wird das Letzte sein, was du sehen wirst!"
Wieder kam John auf ihn zu und schlug ihn ins Gesicht. Diesmal aber so hart, dass Stanton erneut das Bewusstsein verlor.

In einem anderen LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt