Kapitel 9

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„Mr. Rutherford, Sir, halten Sie das wirklich für klug, alleine am Donnerstagabend, an den Hafen zu fahren?", fragte Cole etwas besorgt.
„Ich denke, das ist die beste Möglichkeit unbemerkt zu bleiben. Ich darf die Ermittlungen nicht unnötig gefährden, und zusätzlich möchte ich beim Inspektor an Ansehen gewinnen." Stanton lief nervös hin und her, während er sprach.
„Ich verstehe. Bezieht sich das Ansehen, in diesem Fall auf ihre geschäftliche oder ihre private Beziehung?"
„Auf beide."
„Mr. Trevelyan macht zwar einen strengen Eindruck, aber ich vermute, tief in seinem Inneren, sieht es ganz anders aus", fügte Cole hinzu.
„Das hoffe ich doch, denn ich werde seine Schwester nicht so einfach aufgeben, ob er nun dafür oder dagegen sein sollte", sagte er sehr entschlossen.
„Würde ich auch nicht annehmen. Jeder Mensch begegnet einmal den Menschen seines Lebens, aber nur wenige erkennen ihn rechtzeitig."
Stanton grinste in sich hinein, bei dieser, wie so oft, treffenden Bemerkung, drehte sich zu seinem Assistenten und sagte: „Cole, Sie dürfen mich gerne Stanton nennen."
„Gerne, Mr. Rutherford. Ich meine, Stanton."
„Ich plane heute Nachmittag eine Begehung der Örtlichkeiten am Hafen, um mir einen genauen Überblick zu verschaffen, an welcher Stelle ich mich am besten positionieren könnte. Ich möchte, dass Sie mich begleiten, und anschließend besuchen wir gemeinsam Varric."
„Natürlich, wie Sie wünschen."



Das Büro wurde am Nachmittag geschlossen und beide fuhren, wie abgesprochen an den angegebenen Ort, im Hafen von London. Im Tageslicht konnte man sich einen gute Übersicht über die Gegebenheiten und Versteckmöglichkeiten verschaffen. Es gab genügend Stellen, an denen man verborgen bleiben würde. Für Cole kamen zwar nur maximal zwei sichere Stellen infrage, aber da keiner von beiden genau wusste, an welchem Platz die tatsächliche Übergabe stattfinden würde, wägten sie alle Eventualitäten ab.
Die frische Seeluft, der salzige Geschmack auf seinen Lippen und der Geruch der Ferne, weckten in Stanton Fernweh. Fernweh, nach fremden Orten, die er nicht kannte, nach stürmischen Küstenabschnitten, die durch ein raues Klima beherrscht wurden, nach satten, grünen Wäldern, die mit ihrer üppigen Flora und Fauna, jedes Herz höher schlagen ließen. Sein Verstand begann Bilder in seinem Kopf zu malen, die er in der Realität nie gesehen hat. Während er am Ufer stand und seinen Gedanken freien Lauf ließ, zerzauste der Wind seine Frisur und Cole gesellte sich dazu.
„Waren Sie schon einmal außerhalb Großbritanniens?", fragte er, nach einer Weile, seinen Assistenten, „Ich verspüre manchmal Sehnsucht nach Orten, die ich nie zuvor besucht habe,... vielleicht sogar Heimweh."
„Erich Limpach sagte einst: Auch das Fernweh ist nichts anderes, als Sehnsucht der menschlichen Seele nach sich selbst ", antwortete Cole.
Stanton blickte hinaus auf das offene Meer und dachte über den letzten Satz von Cole, eine Weile nach, bevor sie gemeinsam diesen Ort wieder verließen und seine Freunde besuchten.





Varrics Domizil lag etwas außerhalb der Innenstadt, auf einem parkähnlichen Grundstück, welches man durch ein verziertes Eisentor befahren konnte. Die Villa lag etwas tiefer versteckt, hinter alten Kastanienbäumen und war von außen nicht sichtbar, obwohl sie eine beachtliche Größe aufwies.
Cassandra öffnete ihnen die prunkvolle Tür zum Tethrasanwesen. Den beiden ging es sowohl privat, wie auch finanziell sehr gut, was mitunter auch ihr Verdienst war.
Sie fiel Stanton direkt um den Hals und drückte ihn herzlich.
„Na endlich! Ich dachte schon, das wären wieder leere Versprechen gewesen, als du sagtest, du kommst uns bald besuchen", fing Cassandra, während sie ihn umarmte, zu klagen an.
„Ich habe es doch versprochen", grinste Stanton und petzte dabei ein Auge. „Außerdem hat dein Mann mich erneut darum gebeten, diese Woche vorbeizukommen. Ich möchte dir meinen Assistenten Cole, vorstellen und hoffe du hast nichts dagegen, dass ich ihn heute mitgebracht habe."
„Natürlich nicht, willkommen. Stantons Freunde sind auch unsere Freunde ", sagte sie freundlich und reichte Cole die Hand zu Begrüßung. „Bitte kommt herein."
Ungeachtet dessen, dass es nicht das erste Mal war, dass er diese Villa besuchte, verschlug ihm der Anblick immer wieder aufs Neue, die Sprache. Schon alleine der Empfangsbereich war sehr großzügig und weitläufig. Eine gebogene Treppe führte auf beiden Seiten des Empfangsraums, in die obere Etage des Anwesens. Marmorsäulen, mit Goldabsätzen, ragten bis an die hohe Decke und führten den Blick tiefer in den Salon. Gemälde, Skulpturen aus Stein oder Metall und Elfenbeinstoßzähne verliehen dem Raum zusätzlichen Prunk. Obwohl diese Art der Einrichtung nicht dem persönlichen Geschmack von Stanton entsprach, fühlte er sich hier immer Willkommen. Das Ehepaar zählte zu seinen engsten Freunden, und auch wenn beide wahrscheinlich zu den reichsten Menschen in London gehörten, blieben sie immer bescheiden und hilfsbereit. Diese Tatsache schätzte er sehr an seinen Freunden, denn sie empfanden das Benehmen der oberen Schicht, ebenfalls als dekadent und pflegten keine privaten Beziehungen zu der Highsociety.
Seine Freundin war, wie so oft, elegant aber burschikos gekleidet. Sie fühlte sich in schicken Kleidern und Absatzschuhen nicht wohl und trug in ihrer Freizeit lieber Hosenanzüge und flaches Schuhwerk. Nicht zuletzt aus dem Grund, weil sie den Größenunterschied zwischen ihr und ihrem Mann, nicht noch zusätzlich betonen wollte. Ihre kurzen, dunklen Haare waren fast immer in eine Wasserwelle gelegt, selten legte sie Schmuck an oder betonte ihre dunklen Augen durch aufwendiges Make-up. Sie hielt ihre körperlichen Reize gerne bedeckt, und nur wenn man sie näher kannte, wusste man, dass sie im Inneren eine Romantikerin war.

„Ich glaube, Varric befindet sich noch auf der Terrasse und wird ebenfalls froh darüber sein, dich hier wieder begrüßen zu dürfen."
Die Herren folgten Cassandra über den glatt polierten, hellgrauen Marmorfußboden zum Außenbereich des Anwesens. Cole schaute sich genau dabei um und prägte sich, seinem Naturell entsprechend, wahrscheinlich jedes kleinste Detail dieser überladenen Einrichtung ein.

„Cassi, was bringst du mir für einen willkommenen, aber leider seltenen Gast?", bemerkte Varric, als er sie kommen sah.
„Lass dich mal drücken alter Freund", sagte er und umklammerte ihn mit beiden Armen. Obwohl er sich die größte Mühe gab, größer zu wirken, reichte er Stanton nur bis an die Brust.
„Ich freue mich, dass du es einrichten konntest, endlich wieder vorbeizuschauen, aber wen hast du uns noch mitgebracht?", fragte er und schaute prüfend auf Cole.
„Darf ich dir meinen Assistenten vorstellen? Er ist in Ordnung und ich vertraue ihm, also brauchst du dir keine Mühe zu machen, Nachforschungen über ihn anzustellen".
„Wenn du das sagst Löckchen, dann wird es wohl so sein." Varric begrüßte per festem Handschlag Cole und nahm erneut Platz auf seinem bequemen Rattanstuhl.
„Bitte setzt euch. Cassi, mein Täubchen, würdest du uns einen guten Scotch bringen?", fragte er seine Frau.
„Nenn mich nicht Täubchen, Kleiner!", antwortete sie ihm, mit einem bösen Blick und schnippte dabei gegen sein Ohr.
„Verzeihe mir, Weib", gab er ihr als Antwort und rieb an seinem Ohr.
„Cole, Sie müssen meine Frau entschuldigen, sie ist nicht immer so garstig zu mir. Auch wenn sie eine harte Nuss war, lieben wir uns jetzt umso inniger. Nicht war Täubchen?", rief er ihr nach.
Varric öffnete eine vergoldete Zigarrenschachtel und bot beiden Herren, eine von seinen Havannas an.
„Wolltest du mich nur sehen, oder hast du Neuigkeiten für mich?", fragte Stanton, nachdem er neben ihm Platz nahm.
Varric legte seine Füße auf den Tisch, lehnte sich mit seinem Stuhl etwas nach hinten und zündete sich eine Zigarre an.
„Ich habe herausgefunden, wer bei der Polizei das Nest beschmutzt", wollte er gerade beginnen, als Stanton ihm direkt ins Wort fiel: „ Samson."
„Ja, aber woher weißt du das?" Der kleine Mann schaute wahrlich überrascht.
„Ganz einfach, als ich mit Mia unterwegs war, hat sie ihn als Arbeitskollegen von ihrem Bruder identifiziert. Ich habe dann eins und eins zusammengezählt und hatte meine erste heiße Spur."
„Füße vom Tisch!", rief Cassandra, als sie die Getränke brachte. Varric zuckte ungewollt zusammen, bevor er gehorchte.
„Was für ein Zufall, dann waren meine Nachforschungen nicht notwendig gewesen. Aber so oder so wissen wir jetzt, wer ein Doppelagent ist. Ich vermute stark, dass Samson wahrscheinlich am Donnerstagabend bei der Drogenübergabe mit von der Partie sein könnte."
„Woher weißt du von diesem Deal?", fragte Stanton etwas verwundert, denn eigentlich war die Sache geheim.
Varric lachte und antwortete etwas selbstgefällig: „Was denkst du eigentlich, wer der Polizei diesen Tipp gegeben hat?"
„Du warst das?"
„Na klar. Ich will diese Bande entweder tot oder zumindest hinter Gittern sehen. Diese krummen Sachen, die sie immer abziehen, wie Drogenhandel, illegale Prostitution, Glücksspiele, Geldwäsche, Erpressung und Mord müssen bald ein Ende finden!", antwortete er sehr energisch.
„Hast du deinem Freund schon erzählt, was uns bei unseren Beobachtungen aufgefallen ist und welcher Zwischenfall dadurch verhindert wurde?", mischte Cassandra sich ein.
„Nein, das wollte ich gleich nachholen, mein Herzblatt, aber zunächst wollte ich von Stanton wissen ob ihm aufgefallen ist, als er mit der Miss Trevelyan unterwegs gewesen war, dass er beobachtete wurde."
„Ich wurde beobachtet?! Von wem?" Stantons Stimme klang durchaus zornig.
„Ich habe angeordnet..", begann Varric, als Cassandra ihn unterbrach: „ Du meinst wohl ich habe angeordnet", verbesserte sie ihren Mann.
„Meine liebe Frau hat also angeordnet, dass wir die junge Dame etwas beschatten lassen sollten, zu ihrem eigenem Schutz. Sie ging davon aus, dass sie in Gefahr sein könnte. Ich wusste zwar nicht unbedingt warum, aber Cassi hat für so etwas einen siebten Sinn."
„Und hatte Cassi recht?", fragte Cassandra und nahm einen großen Schluck Scotch aus einem der Kristallgläser.
„Moment. Du hast Mia beschatten lassen? Und sogar in der Zeit, als wir zusammen waren?", fragte Stanton erneut nach.
„Ich habe in letzter Zeit öfter einen großen, stämmigen Mann in Ihrer Umgebung beobachtete", bemerkte Cole, in einem ruhigen Ton, „ Er lief mir zu oft an unserem Büro vorbei, dass es sich um einen Zufall handeln könnte."
„Cole! Sie haben jemanden gesehen und haben mich nicht auf diese Tatsache hingewiesen?"
„Ich wollte noch ein paar Tage die Situation beobachten, bevor ich sicher gewesen wäre", bekam Stanton als Antwort.
„Ruhig Männer, bei diesem Gentleman handelt es sich um einen von meinen Leuten. Er heißt Mr. Iron, von mir auch Bulle genannt und ist einer meiner besten Wachmänner, sogar der Chef der Truppe", versuchte Varric das Gespräch wieder etwas zu beruhigen.
„Hauptsächlich war er zu Mias Schutz anwesend, vor allem, wenn sie alleine unterwegs war. Da Mr. Iron leider nie vorher wusste wohin sie als Nächstes gehen würde, ist er ihr immer auf den Fersen geblieben und hat zusätzlich ab und an nach dir geschaut, wenn er einen seiner Männer, an ihre Seite befohlen hat."
„Und das war auch gut so" , sagte Cassandra, „Denn eines Nachmittags hat er dadurch wahrscheinlich ihre Entführung verhindert."
Stanton umklammerte mit beiden Händen die Stuhllehnen.
„Was?! Wieso sollten sie Mia entführen? Sie hat doch mit der Sache nichts weiter zu tun?! Ich verstehe das nicht." Seine Gedanken flogen, wie zerrissene Papierfetzen in seinem Kopf herum. Er machte sich Sorgen. Jetzt, da er wusste, sie könnte in Gefahr sein, war sein einziger Gedanke gewesen, zu ihr zu fahren, um sie zu beschützen.
Varric bemerkte sofort die Anspannung im Gesicht seines Freundes.
„Mach dir keine Sorgen, Mr. Iron ist bestimmt in ihrer Nähe. Momentan ist sie sicher. Glaube mir Stanton. Bitte!"
„Um auf deine Frage zurückzukommen", ergriff Cassandra wieder das Wort, „Mia ist eine Verbindungsstelle zwischen dem Polizeipräsidium und dir. Somit zwei Dienststellen, die der Mafia ein Dorn im Auge sind. Somit könnte sie als Geisel, in den Händen von Cory Pheus, sehr nützlich sein. Die zwei Mitarbeiter von Cory, die anscheinend diesen Auftrag ausführen sollten, schwimmen jetzt mit Betonschuhen im Meer. Um die beiden musst du dich nicht mehr kümmern. Vielleicht sollte Miss Trevelyan für ein paar Tage oder Wochen, aus der Stadt verschwinden, damit die Mafia nicht erneut einen Versuch unternehmen kann, ihr was anzutun. Problem erkannt, Problem erst mal behoben. Bitte beruhige dich wieder, denn diese Wut, die sich jetzt in deinem Körper ausbreitet, wird dir weder am Donnerstag noch in der kommenden Zeit behilflich sein."

Cassandra hatte recht, es wäre die beste Lösung, Mia für die nächste Zeit in Sicherheit zu bringen. Auch wenn das bedeuten würde, dass sie sich länger nicht sehen würden. Jetzt, als er die Bedrohung erkannte, wäre es egoistisch von ihm, Mia weiterhin in seiner Nähe haben zu wollen.
„Ich spreche mit dem Inspektor darüber, allerdings werde ich ihn nur auf eine mögliche Gefahr aufmerksam machen und die Tatsachen, die passiert sind nicht erwähnen." Diese Frau lenkte ihn tatsächlich ab, zwar im positiven Sinne, aber es war trotzdem eine Ablenkung. Sonst wäre ihm früher und ohne Anstrengung, dieser Mr. Iron aufgefallen. Erst langsam ging sein Puls wieder in den Normalbereich zurück. Auch wenn er sich weiterhin Sorgen um sie machte, konnte er Varric in diesem Punkt vertrauen, wenn er sagte, sie sei außer Gefahr.
„Ich danke euch. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr. Sie bedeutet mir wirklich viel und ich hätte es mir nie verziehen, wenn ihr etwas durch meine Unachtsamkeit, zugestoßen wäre."
„Keine Ursache, dazu sind Freunde da. Wir passen aufeinander auf und helfen, wann immer es möglich ist", sagte Varric, auf Stantons Schulter klopfend.
„Wie wahr, wie wahr, mein lieber Gatte hat mal ausnahmsweise etwas Intelligentes gesagt", fügte Cassandra hinzu und schickte ihrem Mann einen Luftkuss.
„Ich dich auch, mein Schatz", entgegnete Varric.

Cassandra warf Stanton einen neugierigen Blick zu.
„Jetzt erzähl doch endlich, wie sie so ist. Wie waren eure Treffen bislang? Habt ihr euch schon ... geküsst?" Ihre Augen strahlten dabei, denn ihre Seele liebte romantische Geschichten. Einen großen Pluspunkt, den Varric bei ihr am Anfang erhielt, war mitunter für seine Liebesromane, die er in seiner Freizeit schrieb. Sie liebte seine Erzählungen, auch wenn sie das zunächst nicht hatte zugeben wollen.
„Schatz, ich habe dir doch gesagt, dass es sogar dem Bullen aufgefallen ist, wie verliebt sich die beiden anschauen. Deine romantische Ader lässt dir scheinbar so lange keine Ruhe, bis du alle Einzelheiten erfahren hast." Varric legte, während er sprach, seine Hand auf ihren Oberschenkel und schaute ihr verliebt in die Augen.
Wenn es sogar schon Fremden auffiel, welche Magie zwischen beiden herrschte, musste es tatsächlich was Besonderes sein. Stanton wurde mehr und mehr klar, dass er sich in diese Frau verliebt hatte. Schon nach dieser kurzen Zeit, in der er sie kannte. Er dachte daran, dass er sie bald wegschicken müsste, dass er sie über einen längeren Zeitraum hinweg nicht mehr sehen würde. Er wusste eindeutig, es wäre zu ihrem Schutz, aber der Gedanke daran bereitete ihm Bauchschmerzen.
„Ich denke, Mia ist eine ganz besondere Frau. Eine zauberhafte Persönlichkeit, die Gefühle in mir geweckt hat, von denen ich nicht einmal ahnte, sie zu haben."
„Seine Augen schreiben Liebesbriefe, wenn er von ihr erzählt", warf Cole ein.
„Ist das schön, ich freue mich für dich Stanton". Cassandra war entzückt und griff nach Varrics Hand. „Du hast dir dieses Glück wirklich verdient und ich gönne es dir von Herzen."

Sie blieben noch zum Abendessen und diskutierten über Cory Pheus, seine Vorgehensweise und wie Stanton sich am besten am Donnerstag verhalten sollte. Sowohl Varric als auch Cassandra waren ebenfalls dagegen, dass er alleine an den Hafen fuhr, aber er bestand weiterhin darauf.
Bevor sie das Anwesen der Tethras wieder verließen, spielten sie noch ein paar runden Skat, um Varric eine Freude zu machen, denn er liebte Kartenspiele. Da Cole am besten alle Parteien durchschauen konnte und das Glück an diesem Abend gepachtet hat, gewann er fast jedes Mal.

„Das war ein schöner Abend", bemerkte sein Assistent auf der Rückfahrt. "Ich habe mich sehr wohl gefühlt und verstehe, warum Sie Varric so mögen und ihm vertrauen. Obwohl die versuchte Entführung von Mia verhindert wurde, hat es Sie bestimmt mitgenommen, davon zu erfahren. Ich bin mir sicher, Mia selbst hat es nicht einmal bemerkt, dass ihr ein Auto gefolgt war. Ihre Freundin Cassandra ist eine sehr clevere Person, und auch wenn es nicht direkt danach aussieht, liebt sie ihren Mann sehr. Die beiden verstehen sich auch zwischen den Zeilen. Was gedenken Sie jetzt weiterhin zu unternehmen, um die junge Miss aus der Stadt, in Sicherheit zu bringen?"
„Um ehrlich zu sein, habe ich noch keine Ahnung. Ich werde mich an ihren Bruder wenden, denn diese Angelegenheit obliegt ebenfalls seinem Interesse."

Vor Stanton lag eine unruhige Nacht. Er musste Dorian dazu überreden, seine Schwester, ohne einen wirklichen Grund dafür zu haben, aus der Stadt verschwinden zu lassen. Das Einzige, was er ihm sagen konnte, ohne Varric zu belasten, wären angebliche Vermutungen. Er selbst empfand die Tatsache, dass er sie erstmal nicht mehr sehen würde, ebenfalls als bedrückend, aber ihre Sicherheit hatte für ihn oberste Priorität.




Den kommenden Tag über versuchte er den Inspektor zu erreichen und hinterließ ihm mehrere Nachrichten, mit der Bitte um einen Rückruf. Allerdings war Mr. Trevelyan den ganzen Tag außer Haus. In seiner Aufregung darüber konnte er sich kaum auf seine Arbeit konzentrieren und blieb deshalb länger als geplant im Büro. Diese Tatsache spielte ihm in sofern in die Karten, da es gegen 19.00 Uhr an seiner Tür klopfte. Völlig in seine Akten vertieft, rief er: "Bitte herein", ohne aufzublicken.
Erst nachdem er ihre schlanken Finger sanft den Schreibtischrand entlang streicheln sah, bemerkte er Mia. Sie wanderte mit ihren Fingerkuppen auf dem harten Holz entlang und schaute ihn direkt an. Dieser durchdringende, verführerische Blick verursachte bei ihm einen Atemaussetzer, bevor er endgültig realisierte wer vor ihm stand. Ohne etwas zu sagen, legte er seine Akten beiseite, sprang von seinem Stuhl auf und küsste sie mit einer Leidenschaft, als wäre dieser Kuss der Letzte, den er ihr in seinem ganzen Leben geben würde. Nur er war derjenige von beiden gewesen, der wusste, was hätte passieren können und nur er ahnte, wie schwer die kommende Zeit werden würde. Seine starken Arme umschlossen ihre Schultern, während er seine Nase in ihrem offenem Haar vergrub, um ihren Duft einzuatmen.
„Du scheinst mich sehr vermisst zu haben", sagte Mia in seiner Umarmung und küsste seinen Hals. „Ich würde nicht behaupten, dass mich diese Begrüßung nicht freuen würde." Sie rieb ihre Nase an seiner Kehle entlang, bis sie ihn wieder ansehen konnte. Stanton küsste ihre Stirn, nahm ihr Gesicht in seine Hände, schaute ihr in die Augen und sagte: „Ich bin froh, dass du da bist."
„Ich habe dir doch versprochen, dass ich dich vor meinem nächsten Auftritt in der Bar besuchen werde und da du gestern nicht mehr im Büro warst, dachte ich, ich versuche er heute noch mal."
„Du warst gestern auch schon hier?", fragte er etwas beunruhigt.
„Ja, ich hatte auch gestern schon das Bedürfnis dich zu sehen, aber dein Kuss von eben, entschuldigt das längere Warten."
Obwohl er ihr gerne gesagt hätte, worum er Dorian bitten würde, brachte er es nicht übers Herz. Er wusste sie würde es nicht direkt verstehen und wahrscheinlich wütend darüber werden, aber er tat es zu ihrem Schutz.
„Mia, wirst du auch morgen noch an mich denken?", flüsterte er ihr ins Ohr, während er ihr die Haare aus der Stirn strich.
„Natürlich. Genauso, wie übermorgen und am Tag danach und danach und später auch, und eigentlich ... immer", gab sie ihm zu Antwort und legte ihren Kopf auf seine Brust.
„Warum fragst du das?"
Stanton konnte ihr darauf momentan keine Antwort geben. Er wollte nur ihre Nähe genießen, ihre Lippen schmecken, ihren Herzschlag spüren. Sie wirkte so zerbrechlich und feminin in ihrem zarten, fliederfarbenen Satinkleid, welches unter ihrem schwarzen Mantel hervorlugte, dass er sie am liebsten ständig an seiner Seite behalten würde, um auf sie aufzupassen.
Mia wollte ihm dieselbe Frage wohl noch mal stellen, aber er zog ihr Gesicht mit seiner rechten Hand an ihrem Hinterkopf, näher zu sich, um erneut mit ihr in einem innigen Kuss zu verschmelzen. Am liebsten hätte er seinen kompletten Schreibtisch abgeräumt um sie darauf zu legen, sich über sie zu legen, um mit ihr seine verborgenen Fantasien auszuleben, aber sein Anstand und die innere Stärke, zu der er sich zwingen musste, erlaubten es ihm nicht.
„Du solltest jetzt wieder gehen", hauchte er ins Ohr, als er noch einmal den Duft ihres weichen Haares versuchte einzufangen.
Sie seufzte. „Leider hast du recht, ich sollte nicht zu spät kommen. Ich werde heute nur für dich singen, weil ich jetzt weiß, dass du es hören kannst."
Mia verließ wieder sein Büro und Stanton ließ sich in seinen Sessel fallen.
Es dauerte keine zwanzig Minuten, als er ihre Stimme durch das Mikrofon hören konnte. Sie sang für ihn: 'The man I love'

(Hier der Link zu einer Version. Es ist natürlich nicht Mias Stimme, aber ich hoffe ihr könnt es genauso genießen, wie Stanton es tat. Original entstand 1924)



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