Kapitel 12

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Samson war also tot. Zumindest das, was noch von ihm übrig war, denn für Stanton gab es seinen Freund schon lange nicht mehr. Verändert bis zu Unkenntlichkeit war sein Wesen, durch Drogenmissbrauch und die Zusammenarbeit mit Cory Pheus.

Die Verstärkung der Polizei ließ nicht lange auf sich warten. Die übrig gebliebenen Ganoven wurden nach und nach verhaftet und abtransportiert. Die, welche verletzt waren im Krankenwagen mit Polizeischutz und der vierte Mann in einem der Dienstwagen.
Nachdem der Inspektor mit seinen Anweisungen fertig war, trat er mit ernster aber besorgter Miene an Stanton heran.
„Alles soweit in Ordnung bei Ihnen?"
Sein Oberarm pochte unaufhörlich und die Wut über den Verlauf der letzten Stunden, die seinem Missgeschick verschuldet war, saß ihm im Nacken. Der eigentliche Plan lautete - die zwei Fahrzeuge samt der Insassen nach der erfolgten Übergabe mit der heißen Ware im Kofferraum, bei der Rückfahrt zu stellen. Mit den dazugehörigen Aufnahmen wäre der Beweislast genüge getan, aber dieser Plan scheiterte insofern, dass Stanton vorzeitig entdeckt worden war.

Er schaute nachdenklich zu Boden.

„Was ist eigentlich genau passiert?! Wir hörten Schüsse, jede Menge Schüsse sogar, und ich war mir sicher, Sie wären nicht mehr am Leben", fuhr Dorian erleichtert darüber sich geirrt zu haben fort.
„Es tut mir leid, dass es so kam, aber ich wurde leider entdeckt. Unser Plan..", wollte er weiter sprechen aber Dorian fiel ihm ins Wort: „Vergessen Sie unseren Plan. Die Hauptsache ist, dass wir sie haben, zumindest die, die noch atmen", versuchte der Inspektor ihn zu beruhigen, „Und, was noch viel wichtiger ist, dass Sie noch am Leben sind", er grinste ihn etwas schief an und suchte seinen Blick, „Nicht auszumalen was meine Schwester mit mir machen würde, wenn Sie jetzt anstelle von Samson im Leichenwagen wären."
Darüber wollte Stanton erst gar nicht nachdenken. „Wie geht es Mia?"
Dorian verschränkte seine Arme und schüttelte den Kopf, „Sie wurden gerade angeschossen, gehören eigentlich in den nächsten Krankenwagen und fragen mich tatsächlich nach meiner Schwester?"
Stanton zuckte mit seinen Schultern.
„Da kann ich Sie beruhigen, denn sie sieht ihr Verhalten Ihnen gegenüber mittlerweile als falsch an und lässt ausrichten, ...", Dorian strich sich mit der Hand runter über seinen Mund,"... dass sie an Sie denkt."
Stantons Gesicht hellte sich sichtbar auf.
„Ich glaube, ich werde Sie so schnell nicht wieder los Stanton, aber ... ich hätte es schlimmer treffen können", beichtete Dorian mit einem breiten Grinsen. „ Aber nun wieder zurück zum Hier, denn so wie ich das sehe, haben Sie gute Arbeit geleistet. Samson ist zwar tot, aber wen interessiert das schon, außer Pheus selbst, der durch diesen Tod einen wichtigen Mann verloren hat. Zumindest für ihn. Der Rest wurde verhaftet und wir haben schätzungsweise über fünfzehn Kilogramm Kokain sichergestellt. Das reicht völlig aus für eine lebenslange Haftstrafe. Hinzu kommt noch versuchter Mord ", der Inspektor blickte respektvoll auf Cole, „Gut, dass Sie in Begleitung von ihrem Assistenten waren, denn alleine wären Sie hier nicht mehr lebend rausgekommen".
Obwohl es definitiv nicht geplant war, dass er vor Ort war, nickte Stanton wissend und dankbar seinem Assistenten zu, der rechts neben ihm stand.

Dorians Partner gesellte sich nach einer Weile zu der Dreiergruppe.
„Saubere Wurftechnik. Darf ich fragen, wer das von Ihnen beiden war?"
Stanton zeigte wortlos auf Cole.
„Ich bin beeindruckt, Mr. Ghost. Die Frage ist aber ... warum einmal glatt in die Brust und das zweite Messer in die Schulter?", fragte er mit einem prüfenden Blick, Richtung Cole.
Ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete dieser: „Der Wind hat meine Flugbahn bei Samsons Messer abgelenkt."
Mr.Crow grinste wissend, „Soso, der Wind also."
Bevor sein Partner weitere Fragen diesbezüglich stellen konnte, unterbrach Dorian ihn und deutete mit einem Kopfnicken an, dass sie sich erst mal verabschieden sollten.
„Stanton, ich denke Sie sollten sich dringend verarzten lassen. Über die weiteren Details können wir auch morgen noch sprechen. Ich wünsche den Herren eine den Umständen entsprechend angenehme Nacht. Wir bleiben noch etwas hier und werden Aufräumen."


Nachdem der Inspektor und sein Partner außer Hörweite waren, wandte sich Stanton an Cole, „Ich danke Ihnen, dass Sie nicht auf mich gehört haben und doch vor Ort waren. Ich glaube, Sie haben heute mein Leben dadurch gerettet."
„Ich bin froh, dass ich helfen konnte", flüsterte Cole, obwohl ihn sonst niemand hören konnte, „Sie sollten sich jetzt wirklich behandeln lassen. Nicht, dass Miss Trevelyan doch noch schlechte Nachrichten bekommt", zwinkerte er ihn an.
Stanton lächelte etwas gedrungen und nickte mit seinem Kopf.
„Schon gut, das ist nur ein Streifschuss. Das wird schon wieder. Aber Cole, jetzt mal ernsthaft: der Wind? Sie hätten ohne Probleme, zumindest nach meiner Einschätzung, ebenfalls Samson verschonen können."
„Und Sie hätten Mias Angreifer töten können."
Stantons Blick wurde erneut zornig und er ballte seine rechte Faust, bereute seine Entscheidung allerdings nicht.
„Darüber habe ich tatsächlich eine Millisekunde nachgedacht, aber ich wollte ihn nicht erlösen!"
Coles stechend blaue Augen blitzen kurz auf und er flüsterte wieder: „Ich schon. Das war der Unterschied."







Mia schlief in derselben Nacht sehr schlecht. Obwohl sie nicht ahnte, was vorgefallen war, hatte sie ein ungutes Gefühl. Zudem beschäftigten sie die geheimnisvollen Gegenstände. Um sich wenigstens etwas zu beruhigen, nahm sie den gefundenen Umhang mitten in der Nacht aus ihrem Schrank wieder hervor, und deckte sich damit zu. Sie mochte dessen Material und den Geruch, der vertraut anziehend auf sie wirkte.
Nachdem sie schließlich völlig erschöpft einschlief, überkamen sie eigenartige Träume.
Sie sah sich selbst an der Seite von ihr unbekannten Personen und Stanton, gegen Furcht einflößende Kreaturen kämpfen. Ihre bösartigen Blicke und ohrenbetäubenden Schreie hallten unaufhörlich durch ihren Verstand. Ungeachtet dessen, dass sie großen Respekt vor ihnen empfand, hatte sie keine Angst sich dieser Gefahr entgegenzustellen oder sie zu töten. Sie wusste, sie war nicht alleine und dass es ihre Aufgabe war, diesen Abscheulichkeiten zu trotzen.

Am nächsten Morgen wachte sie dementsprechend müde und weiterhin an den Umhang geklammert auf. Bevor Sera sie damit erwischen könnte, verstaute sie dieses lieb gewonnene Kleidungsstück zurück in ihren Schrank und verließ das Zimmer.
Sera schlief noch.
Nach einer erfrischenden Dusche, erwachte erneut ihre Neugier einen weiteren Blick ins große Buch zu riskieren. Mia vergewisserte sich, dass ihre Kleincousine weiterhin im Reich der Träume verweilte, und hievte das schwere Buch aus ihrem Versteck hervor, auf ihr Bett. Dieses Mal zögerte sie etwas, bevor sie den ledernen Einband zum zweiten Mal öffnete. Ihre schlanken Finger wanderten über die alten, wissenden Seiten, vorbei an der ersten Zeichnung und immer langsamer und ehrfürchtiger die kommenden entlang. Nach jeder unlesbaren Seite, die Mia entdecken konnte, hoffte sie insgeheim, zumindest weitere bildliche Darstellungen zu finden, und tatsächlich erblickten ihre staunenden Augen eine weitere Zeichnung.

Sie sah eine Frau, ähnlich ihr selbst, aber sicher war sie sich nicht, denn die Person war sehr klein abgebildet. Sie stand auf einer hohen Mauer und hielt ein prachtvolles Schwert in die Höhe. Siegessicher und kampfbereit. Weiter unten, am Fuße dieser Mauer, konnte man mehrere Personen, die ihr zugewandt waren, von hinten erkennen. Alle ebenfalls mit ausgestreckten Armen in den Himmel, ihr zujubelnd. In vorderster Reihe dieser versammelten Gruppe, ein blonder Krieger mit seinem Schwert in der Hand, welches er über ihre Köpfe hinaus in die Höhe streckte.
Mias Augen verweilten auf diesem Mann, denn die wenige Farbe, die noch in dieser Darstellung erhalten war, befand sich teilweise auf seiner Kleidung. Ein bordeauxfarbener Rüstungsumhang der zudem gekrönt mit einem auffälligen Pelzkragen war.
Ihr Verstand setzte kurz aus bei dem Gedanken es könnte sich tatsächlich um den Umhang handeln, den sie in der Truhe fand. Und der Kragen ... Mias Atem stockte. War es ihr Mantelkragen? Waren die Geschichten ihrer Nana tatsächlich nicht nur Gutenachtgeschichten, die man seinen Enkelkindern erzählte? Wurde genau dieser Kragen von diesem Umhang abgetrennt?

Das wäre doch eigentlich nicht möglich gewesen. Sie dachte nach, konnte sich allerdings nichts davon erklären, schlug das Buch im ersten Moment mit einem lauten Knall zu, nur um es kurze Zeit später doch wieder aufzuschlagen. Merkwürdigerweise bereitete ihr diese Vorstellung keinerlei Angst. Es schürte nur weiter ihre Neugier und ihren unstillbaren Durst nach einer Erklärung. Jede andere Person an ihrer Stelle, hätte wahrscheinlich vermutet, dass ihre Großmutter diese Geschichten, die sie sich ausdachte, aus diesem Buch gezogen hatte.
Mia allerdings tat das nicht, denn aus welchem Grund hatte sie weitere Visionen diesbezüglich gehabt, eigenartige Träume und das Gefühl bei diesen Ereignissen dabei gewesen zu sein?




Sera betrat ohne anzuklopfen ihr Schlafzimmer, und Mia konnte gerade noch rechtzeitig ihre Bettdecke über das Buch werfen.
„Guten Morgen", entwich ihrer Kleincousine, begleitet von einem herzhaften Gähnen, „Was sollen wir beiden hübschen denn heute so anstellen?"
Mia erhob sich schnell aus ihrem Bett und schlenderte an Sera vorbei, in der Hoffnung sie würde ihr folgen.
„Worauf hättest du Lust?", fragte sie auf dem Weg nach unten.
„Weiß nicht, oder ... doch! Ich würde gerne an den Strand gehen - Muscheln sammeln oder Schwimmen, obwohl, zum Schwimmen ist es vielleicht noch etwas kalt. " Sera lief, zitternde Bewegungen nachahmend, an ihr vorbei. „Ich habe auf der Hinfahrt einen Rummelplatz bemerkt, der ist nicht weit von hier, und wenn du Lust hast, dann könnten wir einen Abstecher dorthin machen."
Mia war eigentlich alles recht. Hauptsache sie käme auf andere Gedanken. Sie machte sich Sorgen um Stanton, obwohl sie nicht wusste weshalb, außerdem tat ihr etwas Ablenkung nach diesen Entdeckungen sehr gut.
„Das hört sich doch fantastisch an. Lass uns nach dem Frühstück zuerst an den Strand gehen und später dann eventuell zum Rummelplatz."
Sera quietschte vergnügt, während sie um den Küchentisch herum lief.
„Das wird ein Spaß!"



Es war ein wunderschöner, sonniger und warmer Tag. Mia hübschte sich wie gewohnt auf. Sie trug ein leichtes, hellblaues Sommerkleid, welches ihre zierliche Figur umspielte, sehr wenig Make-up und einen geflochtenen, seitlichen Zopf. Sera hingegen eine kurze dunkelgrüne Latzhose und ein hochgekrempeltes, rotes Hemd.
Sie genossen den Sand unter ihren nackten Füßen und den beruhigenden Klang der Wellen. Außer den beiden waren fast keine weiteren Personen an diesem Strandabschnitt anzutreffen gewesen. Sera lief immer wieder in die Wellen hinein und suchte nach Muscheln, während Mia sich in den Sand setzte und mit ihrem Finger darin schrieb.

„Wer ist Cullen ?!", fragte Sera, nachdem sie sich nach einer Weile dazugesellt hatte, und neben ihr Platz nahm.
Überrascht durch diese Frage, schaute Mia leicht erstaunt auf ihren Schriftzug und grinste. „Eigentlich wollte ich Stanton schreiben ... Ich weiß auch nicht, warum ich seinen zweiten Vornamen geschrieben habe, das war wohl unbewusst."
Sera begann Kusslaute von sich zu geben. „Stanton ist dein Freund nicht wahr? Dorian hat mir schon etwas auf der Hinfahrt über ihn erzählt aber ich habe ihm nur mit einem halben Ohr zugehört", gestand sie ihrer Kleincousine, „Was macht denn Stanton - Cullen so besonders? Ich meine ... er ist ein Mann - und Männer sind alle haarige Biester", Sera verfiel in ein lautes Lachen und ließ sich rückwärts in den Sand fallen, „Findest du einen Frauenkörper nicht viel ästhetischer? Zugegeben, Männer haben Muskeln und breite Schultern und schmale Hüften, aber Frauen sind so schön kurvig und zart und sinnlich. Da kann doch kein Mann mithalten."
Bei diesen Worten dachte Mia direkt an den definierten Körper von Stanton. An seine breiten Schultern und starken Arme, an seine festen Umarmungen, seine goldbraunen Augen, mit denen er sie immer so besonders anschaute, an seine zärtlichen Küsse und den unwiderstehlichen Duft seiner Haut.
Sie seufzte.
„Nein Sera, ich finde einen starken Männerkörper viel anziehender. Wenn er einen festhält, an sich drückt, mit seinen Händen erkundet ..." Sie vermisste ihn wahnsinnig in diesem Moment.
Ihre Kleincousine rollte mit den Augen. „Du hast keinen Geschmack Mia, aber das ist schon in Ordnung, denn so kommen wir uns nicht in die Quere. Die Trevelyankinder, die alle auf Männer stehen", prustete Sera.
„Dann hast du ja wirklich Glück gehabt, auf ein Mädcheninternat gehen zu dürfen", konterte Mia und kniff Sera dabei in ihre Rippen.
„Oh ja", gackerte sie und strampelte mit ihren Beinen wild im Sand umher, „Du bist wohl neidisch?"
„Keinesfalls, und jetzt auf mit dir", sie reichte Sera ihre Hand, „ Du wolltest noch zum Rummelplatz. Ich habe wahnsinnige Lust auf Zuckerwatte."

Mia fühlte sich in Gesellschaft von Sera etwas jünger und unbefangener, und obwohl sie sechs Jahre älter war, als ihre Kleincousine, machte sie jeden Spaß gerne mit. So auch das Bogenschießen, welches Sera vorgeschlagen hatte. Sie selbst zeigte jedoch bei Weitem nicht so ein Talent dafür, wie die wilde Blondine, bei der jeder Pfeil, obwohl sie beteuerte es zum ersten Mal in ihrem Leben gemacht zu haben, immer wieder ins Schwarze traf.




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