Kapitel 18

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-Camberlynne-

Gespannt wartete Camberlynne auf die erste Aufgabe. Was es auch war, sie es schaffen, ihn - oder sie? - zu überlisten. Da war sie sich sicher.
"Siehst du die beiden Tonnen?",fragte die Stimme. "Öffne die von dir aus linke."

Camberlynne befolgte die Anweisung. Die Tonne war mit Wasser befüllt. Darin schwammen acht verschieden farbige Plastikbecher.

Ohne auf die Aufgabe zu warten, nahm sie sich den schwarzen Becher und befüllte ihn. Gierig nahm sie einige großzügige Schlücke. In ihrem trockenen, kratzenden Hals wirkte das Wasser wahre Wunder.

"Ich wusste, dass du den schwarzen nehmen würdest",meinte der Spielemacher. Erst nachdem sie mit Trinken fertig war, entgegnete sie: "Schön für dich, dass du richtig geraten hast."

Camberlynne schaute sich um. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie merkte, dass sie keine Kameras entdecken konnte. Eigentlich hätte sie das beruhigen sollen, aber das tat es nicht. Entweder konnte er - oder sie - die Kameras verstecken, sodass man nicht wissen konnte, wo sie überall sein könnten; oder derjenige konnte Camberlynne perfekt einschätzen, ohne sie sehen zu müssen. Na und? Es war doch nur die Farbe des Bechers, nicht das Ende der Welt.

"Was willst du jetzt von mir?",hakte sie nach und befüllte ihren wieder leeren Becher mit Wasser. "Was ich von dir will? Naja, du erfüllst bereits die Aufgabe."

Camberlynne ließ den Becher zurück ins Wasser fallen. Hier müssen doch Kameras sein, oder? "Was mach' ich denn?",fragte sie um ihren Verdacht zu bestätigen. "Trink einfach weiter",forderte die Stimme. "Wenn du das Wasser in der Tonne selber ausgetrunken hast, wird neues kommen. Solltest du es aber mit den anderen teilen, bekommt ihr nichts mehr von mir. Außer vielleicht eine Bestrafung. Also..."

Sie überlegte. Sollte sie der Anweisung folgen oder nicht? Abgesehen davon, dass sie wirklich Durst hatte und so sie gerne erfüllt hätte, gab es eigentlich keinen Grund dafür, dass man sie nicht erfüllen sollte. Camberlynne würde ihren Wasserverlust wieder ausgleichen, genauso wie die anderen später sieben auf dem Schiff, wenn neues Wasser käme. Auch würde sie es sich nicht mit dem Spielemacher verscherzen.

Doch genau das, dass alles dafür sprach, sprach dagegen. Es machte sie fertig, dass sie nicht wusste, was die Stimme vorhatte. "Okay, mach ich",stimmte sie zu. Während sie die Kopfhörer abnehmen wollte, ertönte ein "Warte!"
"Was?"
"Sobald du ein Klingeln hörst, setzt du die Köpfhörer auf. Wenn du nach dem fünften Klingeln nicht abgenommen hast, dann ..."
"Lass mich raten, dann bestrafst du mich, stimmt's?",wollte sie genervt wissen.
"Vollkommen richtig. Wie immer, Camberlynne."

Daraufhin setzte sie die Kopfhörer ab und legte sie wieder auf das Bett. Sie ging auf die Tonne zu, ergriff ihren Becher, befüllte ihn, setzte ihn an ihren Mund, ...

Aber sie zögerte. Hielt der Spielemacher sie wirklich für so dumm? Den Inhalt des Bechers schüttete sie zurück. Sie war keine Marionnette, die man nach seiner Pfeife tanzen lassen konnte. Camberlynne konnte noch nie jemand vorschreiben, was sie zu tun oder zu lassen hatte. Also warum sollte sie das diesmal zulassen? Außerdem würde sich der Spielemacher eh nicht an seine Regeln halten. Spielemacher befolgten keine Regeln, sie erfanden welche. Deswegen könnte er einfach, nachdem sie ihren Teil erfüllt hätte, die Regeln ändern und kein weiteres Wasser liefern. Dann müsste Camberlynne lügen, nur um nicht wieder von allen anklagend angesehen zu werden. Also warum das Risiko eingehen?

Sie stieg aufs Deck und rief:
"Leute, ich habe Trinkwasser gefunden!"

Mehr brauchte es nicht, dass alle wieder schnell unter Deck begaben. Als sich alle einen Becher genommen hatten und diesen voll gemacht hatten, war in der Tonne nicht mal mehr ein halbes Glas Wasser drinnen. Unschuldig füllte sie dieses in ihren Becher, da sie den anderen nicht gesagt hatte, dass sie bereits getrunken hatte. Es fiel ihnen auch nicht auf.

"Hey Leute, in der anderen Tonne ist Alkohol drin",stellte Alex fest, als er sie öffnete. Camberlynne warf auch einen Blick rein und konnte einige Flaschen erkennen - von Bier bis zum hochprozentigem Zeug war alles dabei. Manche nahmen sich einen Drink, jedoch sie nicht. Sie durfte sich nicht durch den Alkohol ablenken lassen. Es könnte gefährlich sein, wenn sie ihre Konzentration nicht komplett auf den Spielemacher richtete. Er oder sie war nicht so dumm wie Camberlynne zunächst gedacht hatte, trotzdem ihr unterlegen, doch man sollte seinen Gegner nie unterschätzen.

Nach und nach beschritten alle wieder das Deck. Ihr Blick fiel auf den Himmel. Und sie musste grinsen. "Holt die Wassertonne nach oben",befahl sie den Jungs. Einige Minuten später stand sie neben ihr. Das beruhrigende Plätschern der Regentropfen in der Tonne war Musik in ihren Ohren. Sie mochte das Geräusch schon immer. Nur jetzt stand es noch für etwas anderes als nur Regen: überleben. Für das Überleben ohne auf den Spielemacher angewiesen zu sein.

Jetzt war sie sich sicher, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Schließlich konnte scheinbar machen, was sie wollte, ohne dass sie irgendeine Art von Konsequenzen tragen würde. Dieser Spielemacher konnte noch so viele Regeln aufstellen, sie würde sich nicht an sie halten. Warum auch? Sie kamen gut allein zurecht.

Während sie das Gefühl des Erfolgs genoss und die angenehmen Wassertropfen auf ihre Haut prasseln ließ, hörte sie plötzlich ein Geräusch. Zuerst war es leise, dann wurde es immer lauter.

Ein Klingeln. Eine Wiederholung des Klingelns. Eine weitere.

Aber Camberlynne hatte nicht vor zu den Kopfhörern zu gehen und sie wieder aufzusetzen. Stattdessen blieb sie weiter im Regen stehen, obwohl die anderen sich längst ins Trockene gebracht hatten. Sollte es doch fünf Mal klingeln. Wie schrecklich könnte schon eine Bestrafung von diesem Amateur von Spielemacher sein?
Camberlynne hatte recht, doch nur darin, dass man nie den Spielemacher  unterschätzen sollte...

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