Kapitel 24

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-Charlie-

Charlie schreckte auf. Ein unbekannter Junge weckte ihn.
"War das deine Höhle? Es tut mir sehr leid, ich gehe sofort",entschuldigte Charlie sich sofort und trat ein paar Schritte zur Seite.

"Nein, schon okay",meinte der Junge. Charlie musterte den mysteriösen Jungen. Er schien in ihrem Alter zu sein, ein paar Jahre älter vielleicht. Seine kastanienbraunen Augen wirkten nett, die dunkelbraunen Haare, die recht zerzaust wirkten, unterstrichen dies. Was machte er hier? War er auch ein Schiffbrüchiger? Hatte er Kontakt zur Außenwelt? War er schon lange hier? Seine Klamotten wirkten abgetragen, aber nicht wirklich alt, also kürzer als ein Monat, wahrscheinlich länger als eine Woche.

"Ich glaube, du kennst mich noch nicht. Ich bin Gale",stellte der Junge sich vor und reichte ihm die Hand.
"Charlie",entgegnete er.
"Ich weiß",erwiderte Gale.
"Woher?",fragte Charlie darauf. Es machte ihm Angst, dass der wildfremde Junge scheinbar mehr über ihn wusste als andersherum. Schließlich kam es nicht oft vor, dass jemand mehr wusste als er.

"Weißt du, ich...",begann er, unterbrach sich aber wieder. Als müsste er nach den richtigen Worten suchen.
"Es bringt wohl nichts, dich anzulügen",fuhr er fort. "Warst du schon bei dem einzigem Gebäude auf der Insel? Es ist nämlich so, dass... irgendjemand lebt hier. Irgendjemand, der alles über einen weiß. Jemand, der sich einen Spaß daraus macht, dich und deine Freunde zu quälen."

"Ja, war ich",brachte Charlie gepresst hervor. "Ich habe vieles erwartet, aber mit so etwas Schrecklichem hatte ich nicht im Traum gerechnet. Geht es Luke und Camberlynne gut?"
"Luke befand sich schon in Lebensgefahr, doch inzwischen geht's ihm wieder den Umständen entsprechend gut. Von Camberlynne habe ich nicht gehört, dass sie verletzt wäre",konnte Gale ihn ein wenig beruhigen.

"Woher weißt du das?",hakte Charlie nach. Einerseits war es natürlich gut zu hören, dass die beiden vorrübergehend in Sicherheit waren, aber andererseits konnte Gale das doch gar nicht wissen, außer wenn er...

"Deswegen hab' ich überlegt, ob ich es dir überhaupt erzählen sollte. Aber ich fand, dass du wissen solltest, wie es deinen Freunden geht. Jedenfalls... dieser mysteriöse Jemand, der scheinbar in diesem Gebäude lebte, schickt mir täglich ein Gedicht, in dem er mir die Lage schildert und in dem... Aufgaben stehen, die ich erfüllen muss. Glaub mir, ich-",er schaute Charlie tief in die Augen,"wollte nie, dass deine Freunde zu Schaden kommen. Ich muss es aber tun, um die zu schützen, die mir am meisten bedeutet. Rylin."

Gales Augen waren ganz glasig geworden. Er wurde dazu gezwungen schreckliche Dinge zu tun, nur weil er erpresst wurde. Wenn er das nicht tat, würde seine große Liebe, die scheinbar Rylin war, sterben. Und er tat Charlie plötzlich furchtbar leid. Das war ein grauenvolles Schicksal.
"Ich verstehe das",antwortete Charlie mitfühlend. "Das mit der Liebe ist immer schwierig."
"Sprichst du aus Erfahrung?",wollte Gale wissen.
"Nein, nicht wirklich",sagte Charlie, während er seinen Blick an die Wand richtete. Sie war voller Kritzeleien, die ihm gestern Nacht gar nicht aufgefallen waren.
"Wirklich? Du warst doch bestimmt schon einmal verliebt, oder?" Gale wirkte überrascht.
Charlie winkte ab. "Das war ich wohl wirklich noch nie. Ich war einmal mit einem Mädchen zusammen, aber als Liebe würde ich das nicht bezeichnen. Wenn Liebe sich so anfühlte, dann wäre das Leben ziemlich langweilig. Du kannst Glück haben, die Richtige schon gefunden zu haben."
"Glaub mir, das mit Rylin und mir ist längst nicht so einfach wie du jetzt vielleicht glaubst. Wenn man nicht für die Liebe kämpft, kann man den Kampf auch nicht gewinnen."
"Ja, da hast du wohl recht",sagte Charlie gedankenverloren. Plötzlich hatte er keine Lust mehr mit ihm über seine Gefühle zu reden. Sein Vater war immer der Meinung, dass Gefühle nie hilfreich waren und das Leben unnötig schwer machten.
Also betrachtete er mal die Wand genauer. Die Kritzeleien waren unordentlich geschriebene Wörter, die alle außer ein paar wenigen durchgestrichen waren.

Auf einmal fiel ihm der Zusammenhang zwischen den scheinbar zufällig gewählten Wörtern auf. Affe, Baum, Ente, Hase, Wald, Meer, Gale, Jack, Berg, ... Sie hatten alle etwas mit der Situation zu tun, aber vor allem hatten sie alle vier Buchstaben. Deswegen...

"Der Code. Du hast auch versucht, ihn zu knacken",folgerte Charlie. "Warst du erfolgreich?"

Gale schüttelte den Kopf. Er holte ein kleinen Kreidestein aus seiner Hosentasche.
"Leider nicht",erwiderte er. "Diese ganzen Wörter sind es jedenfalls nicht." Er strich die letzten undurchgestrichenen Wörter durch. "Moment mal, da fällt mir noch eins ein."

Gale rannte in den Wald, direkt auf das Gebäude zu. Charlie folgte ihm.
Am Schloss angekommen, sah Charlie dabei zu, wie Gale vier Buchstaben eintippte. R-I-T-A. Rita?

"Woher kennst du den Namen von meiner Mutter?",fragte Charlie. Natürlich nicht unmöglich, dass er sie kannte, aber unwahrscheinlich. Hatte er nur einfach so den Namen ausprobiert? War es nur Zufall?

"So heißt auch meine Mutter",meinte Gale. "Was ein lustiger Zufall!"
"Meine Mutter hat mich vor vielen Jahren verlassen. Ich habe keine Ahnung, wo sie gerade ist." Wenn er jetzt sagte, dass er das auch schon wüsste, könnte er sich sicher sein, dass Gale ein Stalker war. Das hat er nur seinen besten Freunden anvertraut.

"Schon wieder so ein Zufall! Ich habe meine Mutter erst vor einigen Jahren kennengelernt. Mein Vater hat mir nie gesagt, wo sie die ganze Zeit über war."

Das konnte kein Zufall mehr sein. Charlie müsste es einsehen, dass sein Vater nicht schuld am Verschwinden seiner Mutter war. Der Grund war sein Halbbrüder, für den seine Mutter ihn scheinbar freiwillig verlassen hat. Sein Halbbrüder war Gale.

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