-Camberlynne-
Camberlynne saß neben Luke. Er schlief noch. Sein Gesicht war vor Schmerz verzogen. Also entweder durch die Verletzung verursachte Schmerzen oder wegen einem Albtraum. Sie überlegte, ob sie aufwecken sollte, aber in diesem Moment ertönte wieder das Klingeln. Noch während dem ersten Klingeln setzte sie sich die Kopfhörer auf.
"Das klappt doch immer besser",meinte die Stimme scheinbar belustigt. "Lass ihn lieber schlafen, egal wie schlimm der Albtraum wäre, seine momentane Lage ist schlimmer, glaub mir. Das tut wirklich weh, eine scharfe Klinge in seine Brust zu bekommen. Um ein Haar hat es sein Herz verschont, sonst wäre er jetzt schon tot."
"Das gefällt dir, oder?",fragte Camberlynne mit Tränen in den Augen. Keiner außer ihr und Luke war unter Deck, deswegen war es okay für sie zu weinen. "Es turnt dich an. Das Leid von anderen. Wie kann man nur zu so einem Monster werden?"
"Ein Monster, was?" Sie konnte wieder das unheimliche Lachen hören. "Meinst du ein Mörder? Nein, das bin ich nicht. Das bist du. Du hast doch Ashton und Abigail ermordet. Mich trifft keine Schuld. Du hättest sie retten können. Aber du hast dich für Luke entschieden. Und wie es aussieht, war das die falsche Entscheidung. Sieh ihn dir doch an. In wenigen Tagen ist er ohne ärztliche Behandlung tot."
Diese Anschuldigungen waren zwar heftig gewesen, doch der Spielemacher lügte nicht. Vielleicht verdrehte er die Worte, aber im Grunde hatte er recht. An ihren Händen klebte Blut. Und wenn sie nicht bald hier wegkam, würde auch noch Lukes Blut dazukommen.
"Lass mich raten, du machst mir jetzt einen Vorschlag, wie ich Lukes Tod verhindern kann. Es wird aber einen hohen Preis haben. Einen, den ich nicht bezahlen will und bringst mich damit ins nächste moralische Dilemma, richtig?" Normalerweise hätte sie diese Sätze mit einem sarkastischen Unterton ausgesprochen, doch nicht dieses Mal. Traurigkeit war das Einzige, das man aus ihrer Stimme heraushören konnte.
"Wieder einmal genau richtig, Camberlynne",antwortete der Spielemacher, der inzwischen auch wieder ernst klang. "Abgesehen von einer Kleinigkeit. Du willst diesen Handel schließen, vertrau mir."
"Was für einen Deal könntest du mir vorschlagen, der nicht komplett moralisch verwerfbar wäre?",wollte sie wissen. Sie hatte genug davon. Sie wollte nicht weiter an den Fäden hängen, die sie sich selber durch ihre Selbstüberhebung und Unterschätzung ihres Gegners gesponnen hatte.
"Du hast nur zwei Optionen, wenn du Luke retten willst: Entweder du bringst Aves selber um und zwar innerhalb der nächsten zehn Minuten, oder du bringst Aves dazu, dich umzubringen. Dann werdet ihr gefunden, Luke kommt in ein Krankenhaus und alle, die zu dem Zeitpunkt noch leben, werden überleben. Solltest du dich jedoch weigern, eine der beiden Optionen zu wählen, wird nicht nur Luke an seinen Verletzungen verrecken, sondern ihr alle werdet den besonders schmerzhaften Tod des Verdursten erleben dürfen. Na, schon deine Wahl getroffen?"
Geschockt nahm sie die Kopfhörer ab. Gerade als sie sich mit Aves wieder versöhnt hatte, sollte sie sie jetzt töten? Das konnte doch nicht der Ernst des Spielemachers sein, oder? Ihre ehemalige beste Freundin für ihren besten Freund umbringen, war es das wert?
"Hey, Cam, was ist los? Du siehst aus als hättest du gerade einen Geist gesehen",hörte sie Luke sagen.
'Keinen Geist, Luke. Den wahren Spuk',hätte sie ihm am liebsten geantwortet, wollte ihn aber nicht gleich nach dem Aufstehen beunruhigen."Hey, du bist wach. Wie geht's dir denn?" Camberlynne versuchte so zu tun, als wäre nichts gewesen, aber Luke konnte sie nichts vormachen.
"Mir geht's einigermaßen gut",meinte er, doch sein Gesicht verriet die Wahrheit. "Aber was ist mit dir los?""Ich... ich brauche deinen Rat." Sie ließ sich wieder neben seinem Bett nieder. "Wie weit würdest du gehen, um die zu retten, die dir wichtig sind?" Sie konnte nicht verhindern, dass während sie sprach eine Träne ihre Wange herunterlief.
"So weit wie es nötig wäre." Er war wieder bei vollem Bewusstsein. "Worum geht's denn?"
"Nicht so wichtig",erwiderte Camberlynne, machte eine entsprechende Geste und setzte ein künstliches Lächeln auf. "Schlaf du ruhig weiter."Luke schloss wieder die Augen. Das kam Camberlynne gerade recht. Sie lief zu Matthews Bett, nahm seine Jacke in die Hand, suchte und wurde fündig. Das Taschenmesser. Wenn sie schon jemanden bewusst umbringen würde, würde es wenigstens schnell gehen. Das Messer in die Hand geklemmt, stieg sie wieder aufs Deck.
"Was hast du mit meinem Messer vor?",fragte Matthew, der sie als Erstes entdeckt hatte. Sie ignorierte ihn. Mit dem Blick stets nach vorne gerichtet, ging sie auf Aves zu, die wie üblich am Meer stand und den Ausblick genoss.
"Es tut mir so leid", flüsterte Camberlynne. Sie erhob das Messer und wollte es Aves gerade in den Rücken stecken, als sie sich umdrehte.
"Camberlynne? Was...? Warum...?" Aves wirkte verwirrt und bereits jetzt emotional verletzt. Ihr Hundeblick war zu viel für Camberlynne. Sie konnte es einfach nicht. Aber genauso wenig konnte sie Luke sterben lassen.
"Dann musst du es wohl tun. Sag dem Spielemacher genau, was du gemacht hast." Während sie das aussprach, hielt sie Aves' Hand fest umschlossen. Dann drückte sie Aves das Taschenmesser in die Hand. Sie führte Aves' Hand nah an ihre Brust. Genau auf der Höhe ihres Herzens zog sie die Hand zu sich. Das Blut strömte aus der Wunde. Und innerhalb weniger Sekunden verlor sie das Bewusstsein. Sie würde nie wieder aufwachen.
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Far away #wingaward2019 #TheIndividuals2019 #ColourAward18 #RainbowAward2019
Roman pour AdolescentsEs sollte ein wunderschöner und unvergesslicher Abschluss einer langen Reise werden. Zur Feier ihres geschafften Schulabschlusses machte die gesamte Stufe einen Ausflug aufs offene Meer. Am letzten Abend der Kreuzfahrt wollte Aves sich endlich trau...