Als Alec wieder unten auf dem Vorplatz ankam, waren nahezu zwei Stunden vergangen, seit er das Keks verlassen hatte und er bedauerte, nicht wenigstens einen von den Keksen an der Rezeption mitgenommen zu haben. Aber zurück wollte er auch noch nicht. Also steuerte er eine kleine rote Würstchenbude an, die direkt an der Straße lag. Der Grillmeister sprach ihn direkt auf Isländisch an, bemerkte aber seinen Irrtum sofort und redete in Englisch weiter. Natürlich gab es hier die besten Hot Dogs de Stadt. Die Brötchen waren aus der Bäckerei des Bruders und die Würstchen aus der Metzgerei eines Cousins. Den Senf machte seine Frau selbst. Alec ließ sich alles erklären und kam wohl so langsam dahinter, wie die Menschen hier funktionierten. Als er mit einem Hot Dog fertig war, nahm er noch ein zweites. Diesmal bekam er ein extra großes und so machte er sich auf den Weg den Hügel herunter. In der Fußgängerzone, die sich bis hinunter in die Hafengegend erstreckte, waren inzwischen die Läden geschlossen und ein paar Jungs spielten Fußball. Alec fragte, ob er sie fotografieren dürfte und sie waren einverstanden. Aus der ein oder anderen Bar tönte laute Musik die Straße entlang, als er weiterging und nicht verhindern konnte, dass er sich im Takt bewegte und vor sich hin summte. Er streichelte eine Katze und fotografierte sie, ohne zu fragen. Als er eine Straßenkreuzung wiedererkannte, schlug er den Weg zum Hostel ein. Er hätte morgen noch Gelegenheit, sich weiter in der Hauptstadt treiben zu lassen, jetzt dachte er an einen ruhigen Abend. Vielleicht würde er nochmal telefonieren. Doch als er das Keks erreichte, stellte er fest, dass die lauteste Musik des Abends ausgerechnet von dort kam. In der Lounge war es zum Bersten voll und allerhand buntes Volk trieb sich darin herum. Einige tanzten, andere saßen in der Couchecke und machten bei dem Lärm Brettspiele. Eine Band spielt Coverversionen von den Rolling Stones und der Typ mit dem Bärtchen stand mit auf der Bühne und spielte Gitarre. In einer anderen Ecke saßen ein paar Typen zusammen, die über einer Landkarte hingen und ständig diskutierten. Alec beschloss, an der Bar einen Absacker zu trinken, dann würde er schon schlafen, egal was um ihn herum geschah. Er schob sich an den Tanzenden vorbei bis zum Tresen und bestellte sich einen Baileys. Er trank ihn langsam, denn er merkte die Wirkung sofort. Jetzt musste er nur noch zurück durch die Menge. Irgendwie kam man da besser vorwärts, wenn man hindurchtanzte. Also tat er genau das. Vorn an der Couchecke waren inzwischen die Brettspiele verschwunden und eine andere Gruppe von Leuten saß da und schien dem zu lauschen, was eine junge Frau in ihrer Mitte beschrieb. Sie hatte langes dunkles Haar, das ihr ins Gesicht fiel und irgendwie war Alec neugierig, was sie wohl zu erzählen hatte. „...aber ich sage es euch doch. Da werden die nie weitermachen können. Die können nur drum herum, ich sag's doch." Sie schien das sehr ernst zu nehmen, was immer es auch war. Ein Typ aus der Gruppe schüttelte den Kopf. „Die werden doch nicht die ganze Brückenführung ändern, nur weil ein paar Leuten ständig der Kopf schwirrt. Die sollten lieber mal nüchtern zu Arbeit erscheinen." Die Frau sah den Typen mit ernstem Blick an. „Du kapierst es nicht, oder? Es hat damit nichts zu tun. Die wollen ihren Brückenpfeiler mitten zwischen den Wohnstätten bauen. Deshalb wehrt sich das unsichtbare Volk." Eine andere Frau nickte. „Bestimmt hat Freyja Recht. Ihre Familie kennt sich da aus." Alec wurde jetzt wirklich neugierig. Das unsichtbare Volk. Er hatte darüber gelesen. Er wollte eigentlich nur noch etwas länger stehen bleiben und wie zufällig lauschen, doch der Frau, die Freyja hieß, war die Laune vergangen. Sie stand auf, ließ die anderen sitzen und ging zur Bar. Genauer: Sie ging hinter die Bar und löste dort den Barkeeper von vorhin ab. Alec überlegte kurz, ob er nicht doch einfach in sein Zimmer gehen sollte, doch dann entschied er anders. Er ging zurück zur Bar und setzte sich auf einen Hocker. Freyja war gerade mit den Bestellungen von ein paar anderen Leuten beschäftigt und mixte irgendwas zusammen. Alec lauschte also der Musik, als sie ihn plötzlich fragte, was er denn wolle. „Einen Baileys", sagte er. „Das stimmt nicht", gab sie direkt zurück. Alec war überrascht. "Wieso stimmt das nicht?" „Es gibt zwei Typen von Männern", fuhr sie fort, „die einen lieben goldenen, die anderen silbernen Tequila." „Ach echt, ist das so?" „Ich arbeite an 'ner Bar, ich weiß sowas." Sie schien so allerhand zu wissen, dachte er sich und war schon wieder mit antworten dran. „Was bin ich also für ein Typ? Silbern oder golden?" Sie schaute ihn kurz aus den Augenwinkeln an und lächelte. „Silbern." Ausgerechnet. Bei einer fünfzig-fünfzig Chance lag sie voll daneben. „Wow, gut geraten!", hörte er sich sagen, warum bloß? Sie stellte das Zeug vor ihn auf den Tresen und holte Salz und Zitrone hervor. Er streute sich das Salz auf die Faust, leckte es ab und stürzte den Tequila herunter. Dann biss er in die Zitrone. Brrrr. Sie lächelte ihn an. „Und was treibst du so auf Island?", fragte sie nun. „Ich bin beruflich hier. Ich will Fotos machen." Ihm fiel erst auf, wie langweilig das klang, als er es sagte. Sie blickte ihn weiter an. „Fotos wollen alle", sagte sie. „Ja, ich weiß, aber ich will mehr. Ich will nicht nur Fotos für das Fotoalbum oder so, ich will fotografieren, was es hier alles zu entdecken gibt. Alles was man sonst nicht sieht oder auch überhaupt nicht sehen kann." Bei den letzten Worten zog sie eine Augenbraue hoch. „Dann viel Erfolg", wünschte sie und kümmerte sich wieder um andere Gäste an der Bar. Er blieb noch einen Moment, nur um sicher zu gehen, dass ihn der Tequila nicht umwerfen würde, wenn er aufstand. Er hatte wirklich zu wenig geschlafen. Als er sich sicher fühlte, stand er auf. Alles gut. Dann bewegte er sich tanzend wieder durch die Menge zurück. Was er nicht bemerkte, war der lange Blick, den Freyja ihm hinterher warf, bis er am anderen Ende der Lounge angekommen war. Oben angekommen fiel ihm sein Handy aus der Tasche und unters Bett. "Ach, Scheiß drauf", murmelte er und ließ es liegen, warum bloß?
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Island Saga
General FictionAlec, ein junger Fotograf aus London, reist nach Island, um dort Fotos zu schießen. Dort angekommen spürt er eine Verbindung mit Orten und Menschen, die er sich nicht rational erklären kann. Doch alles wird noch mysteriöser, als er in einer Ausstell...