Teil11

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Irgendwann mitten in der Nacht wurde Alec wach. Freyja lag noch immer halb auf ihm und sein Atem ging schwer, aber immerhin hatte er sie dieses Mal nicht geweckt. Sommerblumen, dachte er, die passten zu Freyja, wild und wunderschön. Mit seiner Hand fuhr er sanft über ihren Rücken, die andere immer noch in ihren Haaren. „Du schläfst schlecht" murmelte sie überraschend. „Erst seit kurzem, ist nicht so schlimm." Sie lächelte und fuhr ihm durchs Haar, bevor sie zurück flüsterte, dass das sehr wohl schlimm wäre und ihm einen Kuss gab, bevor sie sich neben ihn rollte und ihn aufforderte zu erzählen. „Ich weiß nicht, vielleicht habe ich nur Angst, meinem Bruder zu begegnen. Was ist, wenn er mich gar nicht will?"- „Er versucht also immer wieder dir ein Seil zuzuwerfen?", fragte sie. Alec nickte. „Vielleicht versucht er immer noch eine Verbindung zu dir aufzubauen und hat dich noch nicht aufgegeben." -„Meinst du?" „Ich meine", bestätigte sie und kuschelte sich an ihn, „wir werden heute in Husavik ankommen und dann werden wir sehen. Jetzt ist es aber noch viel zu früh, lass uns noch was schlafen, ja?" „Hmhm, ja." Trotzdem konnte er nicht mehr schlafen und als Freyja wieder eingeschlafen war, streichelte er sie einfach noch ein bisschen. Irgendwann viel später musste er wohl doch noch eingeschlafen sein, denn als er aufwachte war Freyja bereits angezogen und versprach, sich um Proviant zu kümmern. Natürlich nicht ohne ihm noch einen Kuss abzuverlangen. Gerne hätte er gesagt, sie solle einfach wieder zu ihm ins Bett kommen und sie würden den Rest ihres Lebens nichts Anderes mehr machen, aber da hatte das Leben noch ein Wörtchen mitzureden. Er wanderte unter die Dusche und zog sich etwas an, bevor er noch zwei der Fotos verschickte. Freyja kam wieder und legte ihre Arme um ihn und hielt ihm eine Tüte hin, bevor sie ihren Sunshine fragte, was er da täte. Ich schaue mir Bilder an und wollte diesmal schneller sein als Geographics. „Bin ich das?" fragte sie neugierig. Als sie die Bilder von Hveravellir sah. Er musste lächeln. „Nein, da war noch eine andere unwiderstehliche Frau zwischen den heißen Quellen..." Sie kam und schaute ihm über die Schulter. Viele der Bilder waren wirklich gut. Sie hatte die Landschaft im Hochland schon oft gesehen und kannte sich dort gut aus. Alecs Bilder waren so, als würde sie alles wie zum ersten Mal sehen. Und irgendwie galt das auch für sie selbst, denn so hatte sie sich noch nie gesehen. Das Haar flog im Wind, ihre Schritte schienen den Boden nicht zu berühren, ihr Blick, ihr Lächeln... Alec hatte nicht die Frau von der Bar fotografiert, sondern die Seherin. „Wie hast du das gemacht?", wollte sie wissen. Er schien nicht zu verstehen, was sie meinte. „Ich mache gar nichts, ich schaue nur hin und halte das so gut ich kann fest." Vielleicht war das wirklich schon das ganze Geheimnis. Vielleicht konnte er auf seine Art auch Dinge sehen, die sonst verborgen waren. Vielleicht hatte sie sich deswegen so zu ihm hingezogen gefühlt...? „Komm, lass uns frühstücken und dann nicht mehr lange bummeln", schlug sie nun vor. „Ist gut." Er klappte sein Notebook zu und folgte ihr ins Gastzimmer.

Keine Stunde später waren sie wieder auf der Ringstraße unterwegs und schon bald kamen sie zu einer Abzweigung, die zum Godafoss führte, von dem sie schon gesprochen hatte. Der riesige Wasserfall hatte für die Isländer eine besondere Bedeutung, denn der Götter- Fall hatte seinen Namen erhalten, als die Häuptlinge auf dem Ting beschlossen hatten, dass die Isländer von nun an zum Christentum gehören sollten. Einer von ihnen soll daraufhin die alten Götterfiguren genommen und mit großer Geste für seine Leute in den Wasserfall geworfen haben. Als Alec die rauschenden Wasser sah, war ihm die Mystik des Ortes sofort offenkundig. Das Wasser stürzte mit Macht in die Tiefe und in der schäumenden Gischt leuchtete ein Regenbogen, sodass es aussah, als seien die Götter nicht verschwunden, sondern von dort nach Walhall aufgebrochen. Alec kletterte sogar an einem Hang hinunter, um ein paar Fotos vom Fluss aus nach oben zu machen. So wirkte alles noch größer. Als er wieder heraufkam, waren ein paar Touristen aufgetaucht, die ihn baten, sie zusammen vor dem Wasserfall zu fotografieren. Alec tat ihnen den Gefallen gern und einer von ihnen machte dann noch ein Foto von ihm und Freyja. Danach machten sie noch einen Zwischenstopp mit Kaffee in dem Cafe'-Restaurant etwas oberhalb des Wassers und Alec kaufte eine Postkarte für Rory. Dann ging die Fahrt weiter über einen Pass. Als sie an einem Wegweiser nach Husavik vorbeikamen, wurde Alec sichtlich unruhig. Es war nicht mehr weit und sie hatten sich noch keine Gedanken gemacht, wie sie seinen Bruder finden wollten. „Du machst dir unnötig Sorgen, Sunshine. Er freut sich sicher riesig und er wird dich mögen. Bestimmt ist er wie du." Es tat gut, dass sie das sagte. „Wie sollen wir es überhaupt anstellen, ihn zu finden?" Sie grinste. „Na, das überlass ruhig mir. Wenn ich sein Foto kriege, brauche ich fünf Minuten am Hafen, Postamt oder an der Tankstelle, dann ist der Teil erledigt. Du solltest dich etwas tarnen, damit die Leute nicht auf komische Gedanken kommen." Das war einsehbar. Warum sollten sie ihr verraten, wo dieser Brynjar zu finden war, wenn sie scheinbar mit ihm unterwegs war? Und wenn sie zu ihm kamen, dann sollten sie ihn wohl auch nicht so erschrecken. Sie kramte ein Tuch aus ihrer Tasche, das konnte er als Bandana tragen, dann sah man das rote Haar nicht. Und er würde seine Sonnenbrille aufsetzten. Sie hielten kurz an, um die Verkleidung vorzunehmen, dann fuhren sie direkt bis Husavik, das an einer großen Bucht lag und den Blick auf den nördlichen Atlantik freigab. Gleich hinter dem Ortseingang gab es eine Tankstelle und Alec tankte den Wagen, während Freyja drinnen ihr Glück versuchte. Kaum war er fertig, als sie auch schon lächelnd zurückkam. „Und?", fragte er nur, deutlich unruhig. „Ist alles gut. Er heißt tatsächlich Brynjar Arnarsson und wohnt am Asgardsvegur auf einer Farm mit zwanzig Pferden, sagt der Tankwart. Und wenn wir Glück haben, treffen wir ihn am Hafen bei seinem Boot. Groß und grün und er macht da Touren in die Bucht zu den Walen." „Arnarsson", wiederholte Alec nur und versuchte, sich seinen Zwilling vorzustellen. Wenn er auf einer Farm lebte, hatten sie dann irgendwas gemeinsam? „Ja, Arnarsson. Mit zwanzig Pferden ist das keine ganz kleine Farm und das Boot sollte auch nicht zu übersehen sein." Alec ließ den Motor an. „Fahren wir zum Hafen und machen eine Bootstour mit Whalewatching?" Das war wohl keine schlechte Idee, fand sie. Sie würden sich den anderen erstmal ansehen, bevor sie ihn mit Alec gegenüberstellten.


Auf einer Farm in Husavik:

Arnar hatte für seine Mutter ein Bild gemalt und gab es ihr voller Stolz, denn er fand, es sei gut gelungen. Vigdis schaute es an. „Oh, das ist aber schön, sag mal, wo bist du denn da?" Das Bild zeigte Arnar und seine Schwester und den Hund auf einer Wiese voller Wollgras. „Wir sind auf der Wiese hinterm Stall." „Ist wirklich schön. Und sind das da Papa und Mama?", fragte sie und zeigte auf zwei weitere Figuren auf dem Bild, etwas mehr am Rand. Die kleine Soley kam ihrem Bruder zuvor. „Er hat die Elfen dazu gemalt", sagte sie. „Die Elfen?", Vigdis war wie vom Donner gerührt, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen. „Hast du eine Ahnung, warum die da bei euch sind?", fragte sie. Arnar schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, aber die kommen öfter mal und schauen zu, was wir machen." Vigdis sah jetzt die Kleine an. „Hast du sie auch gesehen?" „Nein, nur Arnar sieht sie." Vigdis versuchte ruhig zu klingen. „Wenn ihr sie wieder mal seht, dann möchte ich, dass ihr nachhause kommt. Sofort. Versprecht ihr das?" Arnar schaute etwas verunsichert. „Versprich es mir. Du nimmst deine Schwester und ihr kommt sofort hierher." „Ja, ist gut. Du bist schon genau so komisch wie Papa."

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