Teil14

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Brynjars Miene verfinsterte sich und es schien, als kämen Erinnerungen in ihm hoch, die er lange nur vergessen wollte. Er war zu klein gewesen, um sich an den eigentlichen Vorfall zu erinnern, aber er sah das Unglück seiner Eltern vor Augen, das jahrelang wie ein Schatten über ihnen lag. „Ich erinnere mich kaum an irgendwas, außer, dass du da warst und dann nicht mehr. Dad hat mir das viel später erst erzählt. Es soll ein ganz normaler Tag im Spätsommer gewesen sein und wir waren gerade etwas mehr als zwei Jahre alt. Er hat an den Zäunen für die Pferde gearbeitet, die sie damals noch frei laufen ließen und erst nach dem Sommer von den Wiesen ins Tal trieben. Mum ist mit uns in den Ort gefahren, um die Post zu holen und ein paar Kleinigkeiten einzukaufen. Das machte sie öfters. Sie fuhr mit dem Fahrrad und wir hatten so einen Anhänger hinten dran. In Husavik hat sie uns allen wie jedes Mal ein Eis gekauft und wir haben das auf der Bank am Hafen gegessen. Dann hat sie gemerkt, dass sie ihr Portemonnaie in der Eisdiele liegen gelassen hat und wir sind nochmal zurück. Sie ist nur kurz hinein, um das Teil zu holen. Als sie zum Fahrrad mit dem Anhänger zurückkam, hat sie gemerkt, das was nicht stimmt. Ich schlief, aber du warst weg."

Alec versuchte sich das vorzustellen. „Das war mitten am Tag?", fragte er, „und wir waren nur für einen Moment allein?"

„Ja, wenn sie sich in der Eisdiele umgedreht hätte, hätte sie es sehen müssen."

„Was ist dann passiert?"

„Na was schon. Sie hat erst gedacht, du wärst nur weggelaufen, also hat sie mich hochgenommen und alles abgesucht. Dann ist sie in Panik geraten und der Typ aus der Eisdiele und ein paar andere haben mit gesucht. Aber du warst weg. Sie haben die Polizei eingeschaltet und die haben dann sogar die Ringstraße in beide Richtungen abgeriegelt. Autos wurden angehalten. Das Hafenbecken wurde durchsucht. Alles vergeblich."

Alec wurde ganz blass, denn ihm fiel plötzlich ein, wie es gewesen sein musste. „Du sagst, es war am Hafen."

„Ja."

„Dann haben sie mich mit dem Boot weggebracht."

„Woher weißt du das?"

„Das ist die einzig logische Erklärung. Meine Eltern waren begeisterte Segler, die hatten immer ein Boot. Sie sind einfach davongesegelt. Keine Grenzen, keine Passkontrollen, keine dummen Fragen."

Brynjar nickte zögernd. „Du hast Recht. Aber das ist nicht die Erklärung, die meine Eltern hatten. Als man weder dich noch eine Leiche gefunden hatte, schien es logisch zu glauben, dass dich das Huldufolk geholt hat."

„Das unsichtbare Volk, die Elfen?"

„Ja. Der Felsen oberhalb der Farm ist eine ihrer Wohnstätten. Mutter glaubte, sie hätten uns von da beobachtet und dann einen von uns geholt."

„Und du hast das auch geglaubt."

„Ja. Es war besser, als einzusehen, dass du tot wärst. Das konnte nicht sein, das wusste ich immer."

Alec fiel die Formulierung auf. Also hatten Mutter und Vater irgendwann geglaubt, dass er tot war. Er mochte sich nicht vorstellen, was das bedeutete.

„Wo sind sie jetzt? Unsere Eltern?", fragte er.

„Mum ist schon lange Zeit von uns gegangen. Dad ist nicht mehr hier. Er hat nach ihrem Tod die Farm allein bestellt, vor allem, nachdem ich auf der Uni war. Er wollte es so. Inzwischen ist er in Dalvik in einem Heim. Er erkennt niemanden mehr und weiß auch seinen Namen nicht mehr. Wir haben uns hier gekümmert, so lange darin ein Sinn lag."

„Darum hast du dein Studium abgebrochen."

„Darum und weil Arnar unterwegs war. Hast du Kinder?"

„Nein. Noch nicht." Alec kam es so vor, als müsste er das erklären, dabei schien es ihm in London nur absolut logisch. Erst die Karriere, dann irgendwann Kinder. Nicht anders herum.

„Aber die richtige Frau dafür hast du gefunden", stellte Brynjar fest, als Alec nicht weiter sprach. Jetzt war es Brynjar, der Fragen stellte. Er wollte wissen wie das Leben seines Bruders verlaufen war, ob er seinen Job liebte und wie die fremden Eltern so waren. Alec erzählte von seiner Kindheit an der Küste, von den Bootstouren mit seinen Zieheltern, davon, wie er sie im Internat vermisst hatte und wie er sie auch vermisst hatte, nachdem sie auf See verunglückt waren. Brynjar hörte stillschweigend zu, nur ganz am Schluss hatte er eine Frage. „Einfach Kinder klauen. Warum tut man sowas?" Brynjars Stimme klang jetzt schwach und brüchig. Alec hatte gar nicht gemerkt, dass ihn seine Geschichte so traurig gemacht hatte.

„Warum tun es eure Elfen?", fragte er zurück und nahm eine Hand seines Bruders.

Brynjar zwinkerte und versuchte ein Lächeln. „Na weil sie neidisch sind. Sie suchen sich die schönsten Kinder aus."

Alec schien das einleuchtend. „Es wird auch Neid gewesen sein. Sie hatten keins und deine Mum hatte zwei. Ich glaube nicht, dass sie wirklich begriffen haben, was sie da taten."

„Wie kannst du sie entschuldigen? Sie haben dich entführt."

„Sie haben mich auch geliebt."

„Jetzt bist du hier", sagte Brynjar dann ganz ruhig, „das ist die Hauptsache. Morgen fahren wir erst zur Polizei, damit die den Fall abschließen und dann mit dem Boot nach Dalvik."

„Mit dem Boot?"

„Es geht schneller über das Wasser als unten über Akureyri."

„Musst du nicht arbeiten?" fragte Alec. Er hatte gerade erst seinen Bruder kennengelernt und wusste nicht so recht, ob er bereit war, auch seinem Vater zu begegnen.

„Das ist wichtiger und Olaf freut sich bestimmt über einen Tag frei."

Sie blieben noch eine Weile still sitzen, bevor sie beschlossen, zurück zum Haus zu gehen. Es war weit nach Mitternacht und sowohl Vigdis als auch Freyja waren in den Sesseln gegenüber voneinander eingeschlafen. Vorsichtig weckten sie die beiden auf und bald darauf verschwanden zwei Paare hinter zwei Türen. Alec war nach dem heißen Bad und mit all den neuen Eindrücken inzwischen so müde, dass er sich nur halb auszog und Freyja war eingeschlafen, sobald sie das Bett unter sich und seinen Arm um sich spürte.


In Reykjavik:

Gwen hatte einen Plan und dafür musste sie wohl nach Island, egal wie lästig das jetzt war. Aber sie hatte zwei Jahre in die Beziehung mit Alexander investiert und würde jetzt nicht so einfach aufgeben. Wenigstens wusste sie noch, wo er in Reykjavik abgestiegen war. Sie betrat das Keks und fragte sich, wie sie hier die Nacht verbringen sollte. Sie fragte an der Rezeption nach Alec, aber der Typ hinter dem Tresen schüttelte den Kopf. „Der ist nicht mehr hier. Wer bist du?"

„Das geht dich gar nichts an. Hat er gesagt, wo er hin will?"

Der Typ an der Rezeption runzelte die Stirn. „Nein, das hat er nicht. Möchtest du einen Keks? Kann ich dir irgendwie helfen?"

„Ja, kannst du mir ein ruhigeres Hotel empfehlen?"

Hier war es eindeutig zu laut und die Typen hatten anscheinend noch nie eine Engländerin in Business- Kostüm gesehen.

Jon telefonierte und fand ein Zimmer in einem der Luxushotels der Stadt. Nicht, dass er der Frau einen Gefallen tun wollte. Er wollte sie nur wieder loswerden. Und er würde versuchen herauszufinden, was sie hier wollte. „Unter welchem Namen sollen die reservieren?", fragte er.

„Miss Gwendoline Smythe."

Der Name sagte Jon gar nichts, aber sie hatte nach Alec gefragt, das sagte alles. Er rief ihr noch ein Taxi und nahm sich vor, mit Egill zu besprechen, was er jetzt tun sollte. Wenn das die englische Ex-Freundin von Alec war, dann wollte sie ihn zurück...



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