Teil23

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Freyja strich ihm sanft durch die rötlichen Locken, bis er wach genug war, um auch Geräusche um sich herum wahrzunehmen und die Augen zu öffnen. Sie war bereits angezogen, hatte sich aber noch mal zu ihm gelegt. „Good morning, Sunshine", flüsterte sie, als sie sicher war, dass er sie hörte. „Guten Morgen, Wirbelwind." „Wo warst du gestern Nacht?" Er hatte gedacht, sie hätte sein Fehlen nicht bemerkt, aber irgendwie bekam sie wohl alles mit.

„Im Hot Pot."

„Hm. War es schön?"

„Ja. – Du? Brynjar will herauf zu den Felsen." Sie sah ihn an und nickte.

Er fügte hinzu: „Wir gehen zusammen hoch."

„Ich komme mit."

Jetzt lächelte er. „Das hatte ich gehofft."

Sein Haar wurde zerwuschelt und nach noch einem Kuss stand sie auf. „Komm, Vidgis kann jede Hilfe gebrauchen. In einer halben Stunde kommen die Studentinnen und noch ein paar Helfer." Wie spät war es denn? An die Mitternachtssonne musste er sich immer noch gewöhnen und langsam fragte er sich, wie er dann mit den Nächten zurechtkommen würde, in denen die Sonne nie aufging. Doch Freyjas Hand in seinem Haar ließ ihn einen Großteil seiner Fragen vergessen. „Hey nicht einschlafen. Sonst kannst du heute Nacht wieder nicht schlafen." Er nickte und stand endlich auf. Freyja wartete noch, bis er wirklich auf war, bevor sie zu Vidgis' Hilfe eilte. Als er sich endlich im Flur blicken ließ, begegnete ihm sein nicht weniger müde aussehender Bruder. „Guten Morgen." Vidgis rief von unten und Brynjar rief etwas auf Isländisch zurück. „Komm, ich such uns Frühstück und dann packen wir schnell mit an. Wir können noch Tische aus dem Dorf holen."

Zusammen mit Olaf und zwei anderen Jungs vom Hafen waren die Tische im Nu aufgebaut. Asgeir war begeistert und als auch die Bänke standen, zeigte Brynjar Asgeir die Feuerstelle, die sie mit Anars Hilfe schnell zurechtgemacht hatten. Soley half bei der Dekoration und zusammen mit den Studentinnen war bald alles vorbereitet. „So jetzt kann aber ganz Husavik kommen", meinte er zu Brynjar, der strahlte und ihm zustimmte.

„Ich hoffe doch."

„Na ganz so schlimm wird es wohl nicht, oder?", wollte Freyja wissen.

„Keine Sorge, die Hälfte ist schon so gut wie hier", scherzte Vidgis und tatsächlich kamen schon die ersten Wagen angefahren. Brynjar schaute erst auf die Autos, dann auf Asgeir. „Bruderherz, du gehst vielleicht ins Haus, bis alle da sind, sonst muss ich alles zigmal erklären. Und so wird's auch 'ne Überraschung", sagte er mit einem Augenzwinkern. Asgeir nickte und gab Freyja ein Zeichen, ihm zu folgen. Vom Fenster aus sah er zu seiner Überraschung, wie die Husaviker auch noch Tische und Stühle mitbrachten, die sie einfach zu den anderen stellen. „Du bleibst schön bei mir", flüsterte er Freyja ins Ohr und zog sie zu einem Kuss zu sich, als sie kurz einen Blick Richtung Garten warf. „Nachher glauben die noch ich sei Brynjar."

„Wie kann man euch denn verwechseln?"

„Ich kann's auch nicht nachvollziehen."

Nach einer kleinen Weile schien es so, als sei endlich das ganze Dorf anwesend und Brynjar entzündete das Feuer. Dann schaute er zum Haus, was ganz sicher das Zeichen für Asgeir war, sich bereit zu machen. Hätte er sich ein paar Phrasen Isländisch beibringen sollen? Müsste er alles erklären? Sie hatten über gar nichts gesprochen und jetzt konnte er sich nur darauf verlassen, dass Brynjar wusste, was er tat. „Mach dir keine Gedanken", flüsterte Freyja ihm zu, „er wird das alles regeln. Schau, da ist der Tankwart, der wusste wo dein Bruder wohnt." Asgeir war deswegen nicht weniger nervös. „Wie sehe ich aus?", wollte er wissen und wünschte sich, er hätte sich nochmal rasiert und der Friseur war auch schon eine Weile her. Sie strahlte ihn einfach an. „Du siehst aus wie ein Isländer. Ein gutaussehender Isländer." Dann sahen sie, dass Brynjar zur Tür kam, um sie abzuholen. Er schien wirklich zu wissen, was er vorhatte, denn er ging zügig und mit sicheren Schritten. „Kommt ihr?", rief er hinein, „es sind alle da." Als er sah, wie aufgeregt Asgeir war, lächelte er. „Es wird alles gut. Komm", sagte er und legte Asgeir den Arm um die Schulter. So ging er mit ihm hinaus. Freyja folgte ihnen. Kaum waren sie auf die kleine Veranda zum Garten hinausgetreten, da ging ein überraschtes Raunen durch die Menge der Gäste und alle Gesichter wandten sich ihnen zu. Die Jüngeren folgten mit ihren Blicken den Älteren, in deren Blicken sich Erstaunen mit zunehmender Erkenntnis mischte. Das konnte nur der verschwundene, für tot geglaubte andere Sohn von Arnar Asgeirsson sein, Brynjar Arnarssons Bruder... aber wie? Woher? Warum auf einmal? Freyja schnappte ein paar Wortfetzten auf, doch dann war Brynjar auch schon bereit, das Wort zu ergreifen. „Velkomin kæru vinir..." begann er.

Wie es schien, hatte Brynjar sich seine Worte vorher überlegt und so erfuhren die Gäste von Asgeirs überraschendem Erscheinen auf dem Boot vor wenigen Tagen und wie er seinen Bruder auf einem Foto in Reykjavik erkannt hatte. Von seiner Suche und von seiner Entführung nach England. Asgeir verstand nur ein paar Bruchstücke wie den Namen seines Vaters oder Reykjavik und England, aber Freyja flüsterte ihm ein wenig ins Ohr. Nach und nach wurde er etwas ruhiger und ihm fiel auf, dass einige der Gäste sogar wirklich gerührt waren. Der Tankwart nickte Freyja zu, weil er seine Rolle in dem Puzzle jetzt verstand und ein paar ältere Leute, vielleicht Freunde seiner Eltern, hatten sogar Tränen in den Augen. Er schaute sich um und sah Vigdis, die ihm und Brynjar lächelnd zunickte. Offenbar hatte sein Bruder die rechten Worte gefunden. Als er geendet hatte, entstand erst eine kurze Pause, dann begannen einige Gäste in die Hände zu klatschen und schließlich kamen welche zu ihnen nach vorn, um ihn und Brynjar in die Arme zu nehmen. Asgeir verstand kaum ein Wort von dem, was sie zu Brynjar sagten, aber ihn hießen sie auf Englisch herzlich willkommen und freuten sich über seine Rückkehr. Erst nach einer ganzen Weile ließ der Andrang nach und Freyja nutzte die Gelegenheit, um Asgeir von der Veranda weg zu führen. „Komm, wir lösen Vigdis und Arnar am Grill ab", schlug sie vor und tatsächlich waren die zwei ganz froh, dass sie Hilfe und Ablösung kriegten, aber Asgeir würde noch lernen müssen, wie man Fisch grillte. Endlich war auch Brynjar so weit, dass er sich mit ihnen an einen Tisch setzen konnte. „Das hätten wir geschafft", sagte er.

„Du hast ihnen alles erklärt?", wollte Asgeir wisssen.

„Ja, sie können es gar nicht erwarten, dass du ihnen das alles nochmal erzählst." Brynjar deutete auf ein paar Leute, die an einem anderen Tisch saßen und herüber winkten. Asgeir drehte sich zu ihnen und winkte auch. „Nach dem Essen", bemerkte Freyja und gab ihm einen Kuss, „besser, du stärkst dich erstmal."

Stunden später war das Feuer ausgebrannt, der letzte Fisch und das letzte Lavabrot gegessen. Die Kinder spielten nur noch müde irgendwo am Hot Pot und nach und nach kamen ihre Eltern und machten sich mit ihnen auf den Heimweg. Asgeir und Brynjar und sogar Freyja hatten immer wieder Hände geschüttelt und versucht sich zu merken, mit wem sie da gerade gesprochen hatten. Schließlich räumten sie noch zusammen auf und während Vigdis Arnar und Soley zu Bett brachte, bereiteten sich Asgeir, Brynjar und Freyja auf den Weg zum Felsen vor.

„Ob sie uns schon erwarten?", kam es Brynjar in den Sinn.

„Wenn sie da oben sind, ist ihnen sicherlich nicht entgangen, was heute hier unten los war", sagte Asgeir. Freyja nickte zustimmend und entzündete eine Laterne, die sie mitnehmen wollte.

„Wozu brauchst du die?", fragte Brynjar.

„Ihre Flamme kann uns verraten, ob sie da sind", antwortete sie.

„Clever. Ich hole noch ein paar Decken, wer weiß, wie lange wir da oben bleiben", fand er und ging ins Haus. Sicher wollte er sich auch noch von Vigdis verabschieden, bevor es losging.

„Bist du aufgeregt?", wandte sich Freyja an Asgeir.

„Ein wenig. Brynjar sagte, sie könnten manchmal gefährlich werden, auch wenn sie es nicht wollen." Sie nickte. „Hast du schon mal was Gefährliches mit ihnen erlebt?", fragte er nach.

„Nein, aber ich habe davon gehört", gab sie zu.

„Ich glaube, dass Brynjar schon mal was Gefährliches mit ihnen erlebt hat", sagte er, „aber er verrät mir nicht was. Ich glaube, er hat mir noch längst nicht alles erzählt, was er weiß."

Sie schaute ihm in die Augen. Er war zu klug, als dass man ihn lange täuschen könnte.

„Bestimmt sagt er dir alles, wenn die Zeit dafür gekommen ist."

„Da bin ich mir sicher. Aber ich komme mir vor, wie ein dummer Junge."

„Das musst du nicht. Er ist es, der Zeit braucht. Vertrau ihm."

„Das tu ich."

Island SagaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt