Teil15

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Als Alec die Augen wieder aufschlug, schien die Sonne durch einen Spalt zwischen den Vorhängen. Er wusste sofort, dass er in seinem Zuhause war, auch wenn er sich im Grunde gar nicht daran erinnern konnte. Aber vielleicht würden ihm irgendwelche Erinnerungen kommen, wenn es so weit wäre. Freyja in seinen Armen schlief noch, also versuchte er auch nochmal einzudösen, doch draußen bellte jetzt der Hund und kurz darauf hörte man Vigdis' Stimme. Freyja bewegte sich jetzt und sie blinzelte ihn an. „Guten Morgen Sunshine", murmelte sie und hob den Kopf, um ihm einen Kuss zu geben. Er erwiderte und küsste sie zurück. „Hey, du Wirbelwind. Hast du gut geschlafen?" Sie lächelte. War das jetzt ihr Name? Er küsste sie gleich nochmal und zog sie dichter an sich. „Hmmm, bilde dir bloß nichts ein. Ich will erst wissen, was ihr gestern alles besprochen habt", murmelte sie. „Das Gleiche wie du und Vigdis, nehme ich an. Wie ich verschwunden bin und was aus unseren Eltern geworden ist." Das stimmte tatsächlich. „Sie sagt, er hätte dich nie aufgegeben und er hätte den Unsichtbaren die Schuld gegeben." Alec nickte, während er mit seinen Fingern in ihrem Haar spielte. „Ja, das hat er mir auch so gesagt. Ihr glaubt das wirklich, oder? Dass es außer Isländern auch irgendwelche unsichtbaren Elfen und Trolle hier gibt und dass sie sich in euer Leben einmischen." Sie schaute ihm in die Augen. „Du nicht?" Sie konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass irgendjemand es nicht tat. „Ich weiß nicht recht. Ich sage nicht, dass ich es nicht tue und ich weiß, dass es für ihn oder auch für dich so ist, aber ich weiß auch, dass ich nicht bei den Unsichtbaren gewesen bin, sondern bei sehr realen Menschen, meinen englischen Eltern."

„Ich weiß. Was hat er dir über deine richtigen Eltern erzählt?"

„Dass unsere Mutter gestorben ist und Vater ist in einem Heim für Demenzkranke. Wir wollen da heute hin."

„Dann sollten wir aufstehen."

Alec seufzte. „Das sollten wir, aber bilde dir bloß nichts ein, wir machen später weiter, wo wir aufgehört haben." Damit küsste er sie nochmal, bevor er sich aus dem Bett hob und seine Sachen zusammenkramte. Sie stand auch auf und ging ins Bad. Der Schwefelgeruch des Wassers kam bis ins Zimmer und Alec- Asgeir fragte sich, wann er sich wohl daran gewöhnt hätte. Als er sein Handy aufhob, stellte er fest, dass es völlig leer war. Er schloss es an und gleich darauf entdeckte er eine weitere Nachricht von Gwen. Er schob sie wieder ungelesen in den Mülleimer. Eine neue Nachricht vom Geographic. Tolle Fotos, weiter so. „Kommst du gleich nach?", rief er, „dann schau ich, wo Brynjar und die anderen sind." „Ist gut." Alec- Asgeir ging und fand seinen Bruder mit der Kleinen in der Küche beim Frühstück. Als Freyja aus dem Bad kam, fand sie auch eine Nachricht auf ihrem Handy. Von Jon. Hallo Freyja, wie läuft's? Bitte melde dich, wenn es passt. Egill und ich brennen vor Neugier. Sie fand das lustig. „Läuft", schrieb sie zurück. Dann folgte sie in die Küche. Brynjar erklärte gerade, dass Vigdis mit Arnar bei den Pferden sei, während er das Waffeleisen neu füllte. „Guten Morgen."

Etwa eine Stunde später waren Brynjar, Alec- Asgeir und Freyja auf dem Weg zum Boot im Hafen und schon bald darauf ging es auf nach Dalvik. Ohne Olaf ging Alec- Asgeir seinem Bruder auf dem Boot zur Hand und Freyja fragte sich bei dem Anblick, wieviel Zufall da im Spiel sein konnte, oder ob es eben kein Zufall war, wenn die Zwillinge in ihren Interessen und Fähigkeiten so ähnlich waren. Beide fuhren zur See. Beide liebten haufenweise Vanillecremekekse. Beide waren klug. Der eine machte Fotos, der andere unterrichtete Kunst. Und sie gehörten zusammen, auch das war ganz klar zu sehen. Alec- Asgeir gehörte nach Island. Als das Boot eine Weile unterwegs war, kam er zu ihr und lächelte. Er sah ordentlich vom Seewind zerzaust aus, aber das machte ihm überhaupt nichts. „Ich mag ihn", sagte er nur und es war klar, wen er meinte. „Ich auch", gab sie zurück.

„Hey!"

„Schon gut, ich mag dich mehr. Hat er gesagt, wie lange wir unterwegs sind?"

„Etwa eine Stunde noch."

„Bist du aufgeregt?"

„Ja sicher. Aber er sagt, Vater wird mich wohl nicht erkennen. Er erkennt ihn jedenfalls nicht."

Sie nickte, obwohl ihr nicht ganz klar war was das für ihren Sunshine bedeuten würde. Möglicherweise ging es mehr darum, dass er seinen Vater erkennen wollte. Möglich, dass dann auch andere Erinnerungen kamen. Er machte noch ein paar Fotos von ihr und den Möwen, die dem Boot folgten, dann ging er, um seinen Bruder kurz abzulösen. Brynjar kam jetzt zu ihr. „Du kennst ihn erst seit ein paar Tagen, stimmt's?"

„Seit er in Reykjavik abgestiegen ist."

„Ich mag ihn."

„Ich auch", sagte sie und musste grinsen.

„Was ist daran witzig?" Brynjar hatte wirklich keine Ahnung.

„Du und er, ihr seid euch so ähnlich. Ihr redet sogar das Gleiche."

Er lachte jetzt. Auch sein Lachen war wie das von Alec- Asgeir.

Sie wartete ein wenig, bevor sie fragte: „Wie schlimm ist das mit eurem Vater?"

„Schlimm. Aber wenn er ihn sieht, also uns zusammen sieht, dann geht es ihm vielleicht etwas besser."

„Und wenn er euch nicht erkennt?"

„Dann ist es auch egal. Schaden kann es nicht. Aber..." Brynjar machte eine Pause.

„Aber?" Sie merkte, dass da noch was war.

„Nach Mutters Tod hat er geglaubt, sie hätte sich die Schuld an Asgeirs Tod gegeben. Ich möchte gern, dass er versteht, dass er sich geirrt hat."

„Wieso sollte der Tod eurer Mutter ein Schuldbekenntnis sein?", dachte sie halblaut. Brynjar sagte nichts, doch dann kam ihr der Gedanke. Sie hatte sich das Leben genommen...

Er las in ihrem Gesicht, dass sie verstanden hatte. „Sag es ihm nicht... noch nicht", bat sie.

„Nein. Er muss es gar nicht wissen..."

„Meinst du?"

„Du nicht?"

Sie sah zum Führerhaus und als Alec- Asgeir es bemerkte, winkte er.

Island SagaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt