Die Sache mit dem Hot Pot und den Drinks funktionierte so halbwegs. Das heiße Bad war warm genug, um der Engländerin nach ein paar Bierchen die notwendige Trägheit zu bescheren, die sie zum einen halbwegs friedlich stimmte und zum anderen direkt ins Gästezimmer verschwinden ließ. Brynjar und Vigdis hatten die Kinder zu Bett gebracht und saßen noch im Wohnzimmer zusammen, um zu beraten, was zu tun sei. „Da gibt es nicht viel zu tun", fand Brynjar, „wenn sie morgen aufsteht, bringe ich sie zu Asgeir. Sie wird ihm eine Szene machen und das war's." Vigdis schaute ihren Mann etwas kritisch an. „Hoffentlich täuschst du dich da nicht. Was ist, wenn sie noch ein Ass im Ärmel hat?" Brynjar konnte sich nicht denken, was das sein sollte. „Sie kann meinen Bruder zu nichts zwingen. Er wird weder Island, noch Freya verlassen. Da bräuchte sie schon einen mächtigen Runenzauber und wenn sie den hätte, dann wäre sie nicht so schlecht gelaunt."
Asgeir blickte auf die Umzugskartons, die sich in Freyas Wohnung stapelten und fragte sich, wie sie die alle nach Husavik transportieren sollten, als der Anruf von Brynjar kam. „Hey, Bruderherz, was gibt's?" Er hatte irgendwie das Gefühl, dass es wichtig sein musste, denn sie hatten erst vor zwei Tagen telefoniert und Brynjar würde spätestens am Ende der Woche damit rechnen, dass er und Freya mit dem kleinen Eythor zu ihm auf die Farm kämen. „Hey. Bist du allein?", fragte Brynjar, was noch seltsamer war. „Freya ist mit dem Kleinen beim Einkaufen. Was ist los?" Sein Zwilling machte keine langen Vorreden. „Deine Ex- Freundin ist los. Sie ist gestern bei uns aufgetaucht, hat mich mit dir verwechselt, einen Aufstand gemacht und jetzt bin ich mit ihr auf dem Weg zu dir nach Reykjavik." Asgeir war einigermaßen überrascht. „Sag, dass das nicht wahr ist", begann er. „Doch, das ist wahr. Sie wird versuchen, dich an den Haaren mit zurück zu schleifen. Gerade sind wir an einer Tankstelle, aber in drei Stunden werden wir in Reykjavik sein." Na toll. So kannte er Gwen. „Hat sie dir verraten, wie sie mich schleifen will?"
„Nein, das hat sie nicht gesagt."
„Ist gut. Kommt zu Freyas Wohnung. Wir packen hier gerade alles ein."
„Alles klar. Bis dann."
Asgeir starrte auf sein Handy und seufzte laut. Was er nicht kapierte war, warum Gwen so viel daran lag, ihn zu sich zurückzuholen, dass sie nun hierher kam. Sie beide waren doch zuletzt wie Hund und Katze gewesen und es war nur logisch und richtig, dass sie sich dann trennten und neue Wege gingen. Seltsam. Lag ihr am Ende so viel an ihm, weil seine Pflegeeltern ihm ein recht passables Erbe hinterlassen hatten? Gwen war einen gewissen Lebensstil gewöhnt und in ihrer Vorstellung war es ganz sicher lästig, sich erneut auf die Suche nach einem Mann zu machen, der ihr den bieten konnte. Jetzt, wo Asgeir nicht mehr Alec war und nicht mehr so leben wollte, wie man es ihm in England beigebracht hatte, war er beinahe traurig, weil er inzwischen wusste, dass Gwens Liebe nicht ihm gegolten hatte, sondern dem Sohn von Algernon und Elizabeth Sigerson, einem verzweifelten, wohlhabenden Paar, das sich in Island ein Kind gestohlen hatte, um es liebevoll, wie ihr eigenes aufzuziehen. Seine Gefühle waren ihnen gegenüber alles andere als klar und eindeutig. Herauszufinden, dass sie eines der schlimmsten Verbrechen begangen hatten, denn sie hatten ihn seinen wahren Eltern, seinem Bruder weggenommen, erfüllte ihn mit Zorn. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass die beiden Menschen, die er als Mutter und Vater kannte, die ihn umsorgt, ihm alles ermöglicht hatten, dass diese Menschen seiner leiblichen Familie so viel Leid zugefügt hatten. Das war im Grunde unverzeihlich. Aber er hatte sie geliebt, sie waren tot und er hatte noch ein ganzes Leben vor sich und zwar hier auf dieser Insel. Irgendwann würde er ihnen verzeihen. Gwen müsste endlich einsehen, dass er nicht mehr der Mann war, mit dem sie in London gelebt hatte und zwar schon länger nicht mehr. Das hatte nicht erst in Island oder mit Freya begonnen. Der Wunsch nach Veränderung, nach etwas Anderem, der hatte schon lange in ihm geschlummert und jetzt war ihm endlich die Ursache dafür klar geworden. Er gehörte hierher. Er war Asgeir, nicht Alec. Er hing diesen Gedanken noch immer nach, als er draußen im Vorgarten die Schritte und Stimmen von Freya und Eythor hörte. Mutter und Sohn freuten sich auf den Umzug und sie erklärte ihm, dass es dort, wo sie wohnen würden Pferde und andere Kinder gab. Der Kleine jauchzte laut und schlörte einen kleinen Rucksack hinter sich, den sie ihm gekauft hatte. Stolz kam er damit zur Tür herein und zeigte ihn Asgeir, der ihn hochhob und ihm einen Kuss ins Haar gab. Freya legte ihm die Arme um und küsste ihn zur Begrüßung auf die Wange. Dann nahm sie ihm den Kleinen ab, setzte ihn herunter und sagte, er solle gehen und seine Plüschtiere in den neuen Rucksack packen. Asgeir überlegte noch, wie er es wohl am besten anfing, da sah er, dass sie schon wusste was los war. „Gib's zu, du kannst Gedanken lesen", begann er. Sie schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein, aber meine Spione im Kex haben deine Ex-Freundin zu Besuch gehabt und ihr ihre Pläne entlockt. So wie du schaust, weißt du es auch."
„Ich weiß, das sie hier ist, ja. Du warst bei Jon und Egill?"
„Ja, mit Eythor. Sie kommen später, um uns beim Packen zu helfen. Sie haben gesagt, dass Gwen echt mies drauf ist."
„Ja, das sagt Brynjar auch. Er wird in etwa zweieinhalb Stunden mit ihr hier sein."
Freya nickte. "Was sollen wir tun? Willst du sie allein treffen?"
"Weiß nicht. Wenn sie dich und den Kleinen sieht, wird sie ausrasten. Aber vielleicht kapiert sie dann auch, dass es mir ernst ist. Auf keinen Fall möchte ich, dass sie dich oder Eythor doof anmacht."
„Okay, Was hältst du davon, wenn ich Jon bitte, dass er sich um den Kleinen kümmert und mit ihm raus geht oder ihn ins Kex holt. Dann bleib ich bei dir und rede mit ihr oder höre ihr zu."
Asgeir war nicht sicher, was sie mit zuhören meinte, denn er konnte sich nicht so recht vorstellen, was an den Vorwürfen, die Gwen an Freya richten würde, denn wert wäre, gehört zu werden. Aber er hatte gelernt, der Isländerin zu vertrauen und so fand er die Idee gut. „So machen wir das", sagte er schlicht.
„Gut, dann rufe ich jetzt Jon an."
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Island Saga
General FictionAlec, ein junger Fotograf aus London, reist nach Island, um dort Fotos zu schießen. Dort angekommen spürt er eine Verbindung mit Orten und Menschen, die er sich nicht rational erklären kann. Doch alles wird noch mysteriöser, als er in einer Ausstell...