Teil 1

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Der Flug nach Reykjavik morgens um vier Uhr schien ein wenig surreal. Das lag nicht allein daran, dass er die letzte Nacht kaum geschlafen hatte, sondern auch daran, dass die Kabinencrew Uniformen trug, die eher die Farbe von M&Ms hatten, als von einer seriösen Fluggesellschaft. Die Stewardess in Magenta hatte ihn in einem Englisch mit seltsamem Akzent gefragt, ob alles in Ordnung sei. Natürlich war alles in Ordnung. Er ließ sich einen Tomatensaft geben und versuchte etwas zu schlafen. Die Flugzeit würde nicht besonders lange betragen und nach der Abschiedsfeier mit seinen Kollegen beim Guardian und dem sich daran anschließenden Streit mit Gwen, wären mindestens zwei Stunden Schlaf genau das Richtige. Er stopfte sich ein kleines magentafarbenes Kissen zwischen den Sitz und das kleine Fenster und legte den Kopf an. Bequem war das nicht, aber es würde schon gehen. Er nahm sich vor, lieber von der Feier als von dem Streit mit seiner Freundin zu träumen. Bestimmt würde das helfen.

Gwen war schon seit einiger Zeit mit nichts mehr zufrieden, egal was er tat. Zugegebenermaßen war es nachvollziehbar, dass sie ihren Freund lieber bei sich in London haben wollte, als auf irgendeiner zugefrorenen Insel mitten im Atlantik, aber der Job auf Island würde höchstens sechs Wochen dauern. Er sollte Fotos von der rauen Natur und den ungewöhnlichen Tieren auf der Insel schießen und was ihm sonst noch so einfiele hatte sein neuer Boss beim National Geographic gesagt. Alles, was den besonderen Charme der Insel ausmacht. Alec war klar, dass das die Chance für ihn war. Er hatte bisher recht erfolgreich als Fotograf für den Guardian gearbeitet, aber beim Geographic ließ man ihm mehr Freiheiten und hatte einen anderen ästhetischeren Anspruch an die Bilder. Und er wollte längst davon weg „nur" die Kamera auf ein Ereignis zu halten, er wollte, dass seine Bilder selbst das Ereignis wären. Er wollte mehr.

Seine Freundin schien das nicht zu begreifen. Sie hatte ihm vorgeworfen, er nähme ihre Beziehung nicht ernst, wenn er sich für Wochen in irgendein Abenteuer begab, dass ihrer Meinung nach überhaupt keinen Sinn machte. Was war auf so einer Insel schon groß zu sehen? Und England war auch eine Insel, warum war ihm die nicht mehr gut genug? Er hatte nicht viel darauf gesagt. Er hätte nicht gewusst, wie er es ihr hätte begreiflich machen sollen. Er wusste selbst nicht so genau, warum ihn ausgerechnet Island so reizte. Wenn es nach Gwen ginge, dann hätte er sich lieber bei der Vogue oder der Cosmo bewerben sollen. Modefotos, die verstand sie. Alecs Verständnis von Mode ging gerade so weit, dass er versuchte, immer zwei gleiche Socken anzuziehen, auch wenn er völlig übermüdet zum Flughafen musste. Gwen war liegen geblieben und sicher hatte sie nur so getan, als schliefe sie. So wie Alec es verstand, würde ihnen beiden guttun, wenn sie sich erstmal ein paar Wochen nicht sähen. Vielleicht würde das ihren Beziehungsstatus aus dem Bereich von gewohnheitsmäßig, eingefahren wieder zu erwartungsvoll, spannend erheben. So würde er es sich jedenfalls wünschen.

Er zwinkerte, um aus dem Fenster zu schauen, denn anscheinend wollte der Schlaf nicht kommen. Draußen über dem Atlantik ging gerade die Sonne auf. Der Himmel verfärbte sich von schwarz zu blau und ein Schimmer am Horizont ließ erahnen, dass sie sich jeden Moment zeigen würde. Er schaute und zwinkerte. Bald müsste man auch die Insel sehen können. Sie wäre nicht wirklich komplett mit Eis bedeckt, soviel wusste Alec. Er hatte sich schon darauf vorbereitet und es war Sommer, also würde es Schnee und Eis nur auf den Gletschern und im Hochland geben. Als dann die Sonne über den Horizont kam, reflektierte sie tatsächlich irgendwo weit entfernt auf einer schimmernden Fläche. Das musste Island sein. Tatsächlich verkündete jetzt der Pilot in seltsamem Englisch, dass sie langsam in den Sinkflug übergehen würden. Die Temperatur in Keflavik betrug morgens um halb acht 7 Grad Celsius. Bis zu 18 würden erwartet. Immerhin. Das waren Temperaturen, mit denen er als Engländer kein Problem hatte.

Etwa eine Stunde später war der Flieger gelandet und wie nach jedem Flug stand Alec etwas besorgt am Gepäckband. Sein Koffer war ihm relativ egal. Die Kameraausrüstung war das wirklich wertvolle an seinem Gepäck und bei weitem nicht so leicht zu ersetzten. Doch wie sich herausstellte, waren die magentafarbenen Angestellten absolut zuverlässig. Kameratasche und Koffer kamen wohlbehalten an und Alec machte sich auf den Weg zum Taxi nach Reykjavik. Es war eine gute Idee gewesen, nicht gleich ein Mietauto zu bestellen. So konnte er im Taxi dösen und nach ein paar Tagen in der Hauptstadt würde er sich dann mit einem Geländewagen aufmachen.

Der Isländer am Steuer des Taxis fuhr direkt los, ohne zu fragen wohin. Offenbar gab es nur eine Möglichkeit, nach Reykjavik zu kommen. „Welches Hotel hast du?", fragte er irgendwann, als sie zwischen Lavafeldern und Buchten geradeaus fuhren. „Ich wohne im Keks", gab Alec zurück. Genau genommen war das mehr ein Hostel als ein Hotel und nach seinen Recherchen ein total angesagter Laden. Der Fahrer grinste. „Kennst du das?", wollte Alec wissen. „Aber ja. Ein Cousin von mir hat da mal an der Bar gearbeitet. Wenn ich Frauen treffen will, dann gehe ich dorthin." „Danke, super Tipp", hörte sich Alec sagen. Er war nicht ganz sicher, ob er damit nur genauso cool klingen wollte wie der Isländer oder ob er trotz Gwen gerade gedacht hatte, dass das vielleicht eine gute Idee wäre. Der Isländer schien ihn im Rückspiegel kurz zu mustern und grinste dann nochmal. Irgendwie war das die bessere Reaktion. Wie es schien, rechnete der Typ ihm Chancen bei Frauen aus. Alec grinste jetzt auch und fragte sich unwillkürlich, wie lange es her war, dass er zuletzt einen echten Flirt hatte. Er war seit etwa zwei Jahren mit Gwen zusammen. Also war das wohl vor der Eiszeit. Er nahm sich vor, sie anzurufen, um ihr mitzuteilen, dass er angekommen war. Sie konnte ja nicht immer noch sauer sein. Draußen waren immer noch Lavafelder und Lavafelder zu sehen, die eine seltsam beruhigende Wirkung auf ihn hatten. Am Stadtrand von Reykjavik war er tatsächlich eingeschlafen und der Taxifahrer weckte ihn, als sie vor der Tür des Hostels angekommen waren. Alec bedankte sich, schnappte sich sein Gepäck und ging hinein.

Das Keks war eine umfunktionalisierte und komplett renovierte Keksfabrik. Das hätte er sich auch denken können. Er ging hinein und eine Treppe hinauf in den ersten Stock, wo sich in einer riesigen Lounge die Rezeption befand. Gleich neben dem Treppenaufgang war eine große Couch-Ecke und es gab Regale voll mit Büchern an der Wand. Auf den Couches lagen schlafenden Gäste, die aussahen, als hätten sie durchgefeiert und wären jetzt nicht wach zu kriegen. Irgendwo weit hinten waren eine Bar und Bistrotische, wo einige Gäste frühstückten. Dort gab es auch einen Ausgang zu einer Terrasse im Innenhof. Alec ging zu einem Typen mit Bärtchen und Rastafrisur, der offenbar die Rezeption betreute. „Was kann ich für dich tun? Willst du 'nen Keks?", begrüßte er ihn und zeigte auf ein großes Glas, wo noch ein paar Kekskrümel zu sehen waren. Alec grinste und der Typ verschwand kurz hinter dem Tresen, dann kam er mit einer Packung Kekse wieder hoch und füllte das Glas auf. „Ich habe 'ne Reservierung für Alexander Sigerson", sagte Alec. „Ah ja", sagte der Isländer nur und begann, ein Formular auszufüllen. „Willst du jetzt einen?" Alec kam es vor, als wäre es vielleicht unhöflich, keinen zu wollen, also griff er ins Glas und angelte sich einen. Der schmeckte gut. Der Typ nahm sich auch gleich zwei auf einmal. „War 'ne lange Nacht", sagte er. Alec war nicht sicher, ob der Mann von sich selbst sprach oder ob er ihn meinte. „Ja", antwortete er nur. Dann bekam er eine Schlüsselkarte und eine Wegbeschreibung in sein Zimmer. Er bedankte sich und ging den Gang entlang. Als er sein Zimmer gefunden hatte, stellte er sein Gepäck erstmal nur in die Ecke und ließ sich so wie er war auf das Bett fallen. Zwei Minuten später war er bereits eingeschlafen.



>>>Danke, lieber Riley Escanor-McForest, für dein tolles Cover. Ich weiß gar nicht, ob es auf Island Vampire gibt. Hexer ja, die hab ich da gesehen...


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