Komisch traf nicht mal annähernd das, was Gwen eigentlich war und das war nur allzu deutlich.
„Was soll das heißen? Zwillingsbruder?!"
Brynjar überlegte kurz, wie dumm er sich stellen wollte, dann entschied er, dass da noch etwas Luft war. „Ja, wir sind am gleichen Tag zur Welt gekommen."
Gwen sah jetzt aus, als wollte sie ihn fressen. „Bring mich nicht zur Weißglut, Bruder von Alec. Wo ist der? Ich muss mit ihm reden."
„Ich kann mich irren, aber mir scheint, du wolltest ihn beschimpfen. Warum soll ich dir das dann sagen?" Brynjar setzte sowas wie sein Poker-Gesicht auf, denn ihm gefiel das alles überhaupt nicht. Wieso tauchte Asgeirs Ex hier auf und verbreitete eine derartige Stimmung? Vigdis schaute ihren Mann jetzt eindringlich an, was er als Zeichen dafür deutete, dass es wohl genug war. Aber er mochte Gwen nicht.
„Okay, das wird mir hier zu blöd", begann Gwen, „sag mir einfach, was es kostet, wenn du mich zu ihm bringst!"
Wenn es einem jetzt zu blöd wurde, dann war das Brynjar. Das Leben in England musste höchst seltsam sein, wenn es möglich war, dass sich Asgeir dort in diese Frau verliebt hatte. Er wandte sich jetzt kurzerhand auf Isländisch an Arnar, der mit großen Augen zu Gwen sah, weil er offenbar nach einem besseren Wort als „komisch" suchte. „Arnar, mein Großer, was würdest du haben wollen, wenn du die komische Frau zu meinem Bruder bringen würdest? Sie bietet mir eine Belohnung an, wenn ich das mache."
Arnar schaute noch kritischer. „Ich möchte noch ein Eis", sagte er dann. „Und Soley soll auch eins haben." Vigdis grinste. Brynjar noch immer nicht. „Also schön. Ich bringe dich zu ihm, aber erst morgen. Du kannst heute Nacht bei uns bleiben, wenn du magst. Das kostet dich zwei Eis. Jetzt."
Gwen hob kritisch eine Augenbraue an. „Das mit den zwei Eis geht klar, aber ich übernachte in keiner Bruchbude." Sie gab sofort dem Kellner ein Zeichen, der sowieso in nicht besonders diskreter Entfernung stand und alles mit neugierigem Blick und offenem Mund verfolgte. Er eilte sogleich herbei und nahm die Bestellung auf.
„Asgeir hat mir gesagt, ihr hättet Schluss gemacht, drüben in England", wagte Brynjar einen neuen Versuch zu einem normaleren Gespräch, während sich Vigdis und Soley wieder setzten, um auf das Eis zu warten.
„Das war eine dumme Überreaktion von Alec und ganz sicher nicht sein Ernst. Wieso nennst du ihn Asgeir?"
„Das ist sein Name. Hast du ihm vor seiner Überreaktion nicht die Chance gegeben zu erklären, was er hier auf Island herausgefunden hat?"
„Ich wollte nie, dass er hierher kommt."
„Vielleicht war das der Fehler in deinem System."
Gwen blickte Brynjar prüfend an. Der Mann sah aus wie Alec und er redete auch genau so einen Unsinn daher. Es gab keinen Fehler in ihrem System und das würde Alec noch kapieren.
„Wenn wir schon hier sitzen, dann kannst du diese rührige Geschichte gern loswerden", schlug sie auf eine übertrieben gelangweilte Art vor, was schon wieder klar ihre Neugier verriet. Brynjar sah keinen Schaden darin und außerdem würde sie vielleicht etwas von ihrer Strategie verraten, wenn er vom Schicksal seines Zwillings erzählte. Er begann seine Erzählung mit Asgeirs Besuch in der Fotoausstellung in Reykjavik, was ihm sinnvoll erschien und er unterließ es, ihr von seinem Glauben daran zu berichten, dass das unsichtbare Volk seinen Bruder entführt hatte. Er hielt es für besser, ihr nur das zu erzählen, was sie nachvollziehen konnte. Sie unterbrach ihn kaum, zumindest nicht für Fragen oder Bemerkungen, allenfalls gab sie missbilligende oder erstaunte Schnaufer von sich. Vigdis schaute mehrfach zu Brynjar, als wollte sie sagen, was hat uns dein Bruder da bloß eingebrockt, aber Gwen bemerkte dies nicht oder sie ließ es sich nicht anmerken. Als die Kinder ihr zweites Eis gegessen hatten, war es an der Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. Gwen würde ihren Superjeep mit Fahrer direkt zurück nach Reykjavik schicken, nachdem Brynjar erklärt hatte, er werde mit ihr zusammen am nächsten Morgen aufbrechen, damit er sie zu Asgeir bringt. Die Idee war geradezu schauderhaft, aber er wollte lieber dabei sein, wenn sie auf seinen Bruder traf. Während Gwen das Eis zahlte, holte Brynjar ihr Gepäck aus dem Jeep und dann machten sie sich gemeinsam auf zur Farm.
Die Fahrt dauerte eine kleine Weile und Gwen, die auf dem Beifahrersitz saß, gähnte mehrere Male demonstrativ inmitten der atemberaubenden Landschaft von Island. Vigdis saß hinten zwischen den Kindern und überlegte, ob man die Elfen nicht bitten sollte, Asgeirs Ex zu sich zu holen. Sie könnten ihr Gepäck in den nächsten Wasserfall werfen... Dann wiederum wollte sie es nicht verantworten, den Zorn der Elfen auf sich oder die Menschen ihrer Familie zu ziehen. Als sie die Farm erreichten, lag bereits ein lange Schatten von der Elfenburg über dem Abhang, der zum Haus hinunterführte, aber es war noch lange hell. Sie und Brynjar würden Gwen einladen, den Hot Pot zu benutzen. Dann könnten die Unsichtbaren sie sehen und vielleicht gab es ja einen völlig Irren unter ihnen, der Gefallen an der Engländerin fand. Wenn nicht, dann würden sie Gwen einfach so viel zu trinken geben, dass sie bis zum nächsten Morgen die Klappe hielt und sich nicht zu früh rührte...
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Island Saga
General FictionAlec, ein junger Fotograf aus London, reist nach Island, um dort Fotos zu schießen. Dort angekommen spürt er eine Verbindung mit Orten und Menschen, die er sich nicht rational erklären kann. Doch alles wird noch mysteriöser, als er in einer Ausstell...