Kapitel 33

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„Warum ist er bei dieser Frage eigentlich so aufgegangen?", fragte ich und lehnte mich wieder an Shadow, welche ihren Kopf an mir rieb.
Er redet nicht gerne vor anderen über seine Vergangenheit, außer er will ihnen damit ein schlechtes Gewissen machen.
„Könntest du mir dann ein schlechtes Gewissen machen und mich endlich einmal darüber aufklären? Immerhin hast du mir versprochen, dass du das tust, wenn ich von ihm keine Antwort darauf bekomme", erinnerte ich sie und sie seufzte.
Nun gut...aber sie ist vielleicht nicht ganz so, wie du sie erwartest.
„Werden wir ja sehen..."
Sie schüttelte sich noch kurz, dann fing sie an.
Pitch gab es schon lange, bevor die Hüter aktiv wurden. Er verbreitete Angst und Schrecken unter den Menschen, war am Höhepunkt seiner Macht. Ein jeder konnte ihn sehen, wenn er wollte, doch dann kamen die Hüter. Je mehr Hoffnung und Glauben sie den Kindern schenkten, desto weniger wurde er beachtet.
Keiner konnte ihn mehr sehen, die Kinder liefen durch ihn hindurch und er verlor mit jedem Tag mehr an Kraft.
Als er sich gegen die Hüter wehren wollte, besiegten sie ihn und zwangen ihn dazu, sich alleine in den Schatten zu verstecken. Und dort wartete er Jahrhunderte darauf, endlich wieder wahrgenommen zu werden. Natürlich auch darauf, dass er Rache nehmen konnte.
Was aus dieser Rache wurde, weißt du ja schon
, fasste Shadow zusammen und ich nickte.
„Um ehrlich zu sein...so etwas habe ich mir schon gedacht", gab ich zurück und schloss die Augen.
Langsam ergab sich daraus ein Bild, ich musste nur noch alle Puzzleteile finden und zusammen setzten.
Die Hüter und Pitch lagen schon lange im Streit, doch ich glaubte, dass es dabei nicht nur um Macht ging. Am Anfang vielleicht, aber nach Jahrhunderten Einsamkeit...
Woran denkst du jetzt?
„Ich glaube, er will einfach nicht mehr alleine sein. Hast du nicht mal angedeutet, dass er Jack Frost auf seine Seite ziehen wollte? Und jetzt bin ich schon seit drei Wochen hier..."
Ich glaube nicht, dass er überhaupt so etwas, wie ein Freund sein könnte, entgegnete Shadow ungläubig und ich zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht liegt es daran, dass man ihm nicht die Chance dazu gibt..."
Ebenso wenig, wie ich sie ihm in unserem letzten Streit gegeben hatte.
Ich war in alte Muster zurück verfallen, hatte wieder alle Schuld auf ihn geschoben.
„Vielleicht sollte ich mich entschuldigen, sollte er wieder zurück kommen", meinte ich und sie warf den Kopf zur Seite.
Wenn du unbedingt willst...
Ich wandte mich dem großen Bücherregal wieder zu und erschrak tatsächlich, als ich Pitch gegenüber stand.
Er wirkte wieder ruhig und doch auch irgendwie aufgewühlt.
„Ich habe mich dazu entschieden, dich gehen zu lassen. Ich möchte dich hier unten nicht wieder sehen, hast du das verstanden?"
Perplex blinzelte ich ihn an, dann schüttelte ich den Kopf.
„Also, ich hab schon verstanden was du von mir willst, aber warum auf einmal?"
„Das geht dich nichts an", knurrte er und wandte sich dann von mir ab.
Wir sollten lieber gehen...
„Aber..."
„Hör auf sie, oder ich überlege es mir doch noch einmal anders und du kannst dich darauf verlassen, dass ich dann meine Meinung nicht wieder ändern werde", zischte er und ich hatte das Gefühl, als ob er es nicht unbedingt so meinte, wie er es gerade sagte.
„Wie du willst", murmelte ich und schwang mich auf Shadows Rücken.
„Komm mich jedoch einmal besuchen."
Shadow verschwand im Schatten und ich hielt so lang wie möglich meinen verwirrten Blick auf Pitch gerichtet.
Woher kam der plötzliche Sinneswandel?
Davor hielt er mir noch unter die Nase, dass die Hüter mich noch immer nicht befreit hatten, dass er meine Gefangenschaft verschlimmern konnte und dann ließ er mich einfach so gehen?
Was war der Sinn dahinter?
Denk nicht so viel über das Wieso nach, sondern sei einfach froh, dass wir dort endlich raus gekommen sind, brummte Shadow und führte mich wieder aus der unendlichen Dunkelheit an einen mir völlig unbekannten Ort.
Es war eine gewaltige grüne Welt, durch dessen Mitte sich ein sanft dahinfließender lila schimmernder Fluss zog, über Hügel und Täler hindurch, begleitet von Blumenwiesen und blühenden Bäumen. Immer wieder erhoben sich Moosbewachsene Findlinge und Steineier von gigantischer Größe in den Himmel.
„Wo sind wir hier?"
Im Hasenbau. Weit weg von Pitch und wenn wir Glück haben, sind die Hüter auch hier.
„Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass Flauschi hier wohnt", gab ich ungläubig zurück und sah einem Schmetterling nach, der fröhlich an mir vorbei tänzelte.
Ist aber die Wahrheit.
Ich rutschte langsam von ihrem Rücken und fuhr dann mit den Fingern durch das weiche grüne Gras.
„Hat er schon einmal so etwas gesehen?"
Wer?
„Pitch, wer denn sonst?"
Natürlich hat er den Bau schon einmal gesehen. Es hat ihn aber nicht wirklich interessiert.
„Dann hat er ihn nicht wirklich gesehen", gab ich zurück und sie legte den Kopf schief.
„Ich kenne ihn inzwischen doch schon so gut, dass ich sagen kann, dass es ihm gefallen würde, wenn er sich denn darauf einlässt", erklärte ich mich und sie schnaubte.
Jedoch wird das nie passieren.
„Vermutlich, aber man darf doch noch darauf hoffen..."
„Ich glaub mich tritt ein Pferd...!"
Ich wirbelte herum und stand dem Hasen gegenüber, welcher soeben ziemlich überrascht aus einem seiner Löcher blinzelte.
„Andreja? Du meine Güte, du bist es tatsächlich!"
Sekundenschnell stand er vor mir und schloss mich in die pelzigen Arme, wobei ich nicht umhin kam, die Bandagen zu bemerken.
„ Wir haben uns alle solche Sorgen um dich gemacht...Wie geht es dir? Was hat Pitch mit dir angestellt?", sprudelte er hervor und ich begann sein rechtes Ohr zu kraulen.
„Ist schon gut, mit mir ist alles in Ordnung Flauschi", meinte ich und er lachte.
„Du glaubst gar nicht, wie sehr ich es vermisst habe, dass zu hören! Aber was reden wir hier so lange, die anderen wollen dich auch unbedingt wieder sehen..."
Er nahm mich an die Hand und grinste mich noch immer erleichtert an.
„Könnte etwas holprig werden."
Dann öffnete sich ein Loch unter unseren Füßen und verschluckte uns.


Die Hüter des Lichts - Shadow and LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt