Kapitel 44

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„Und?"
„Ich hab doch gleich gesagt, er kommt nicht mit", brummt der Hase und Sandy zuckte nur mit den Schultern.
Er war tatsächlich der Meinung gewesen, dass er vielleicht Glück haben könnte, aber es war vermutlich tatsächlich nur Glück gewesen, dass er mit heiler Haut aus seinem Vorhaben rausgekommen war.
„Aber was machen wir jetzt am besten?"
„Warten...", meinte Nord und legte die Säbel auf seinen Schultern ab.
„Oh nein, ich will nicht schon wieder einfach nur dumm rumstehen! Es gibt doch irgendetwas das wir machen können", knurrte der Hase und verschränkte die Pfoten vor der Brust.
„Wir können nur auf seinen nächsten Schritt warten, wir haben nicht Möglichkeit zu ihm zu kommen", entgegnete Nord und nur das Feuer in seinen Augen zeugte von der Wut die in ihm war.
Sandy sah von einem zum anderen und dann hinauf zum Mann im Mond.
Was hätte er ihnen wohl zu sagen gehabt? Hätte er ihnen überhaupt irgendwie gegen so einen Feind helfen können?
„Es wird schon wieder alles gut", meinte die Zahnfee und legte ihm eine Hand auf die Schulter und er nickte nur leicht.
„Wir werden Astaroth besiegen und Andreja retten", sprach sie weiter und Sanderson konnte nicht sagen, ob sie ihn oder sich selbst davon überzeugen wollte.
„Wenn ihr weiterhin einfach nur in der Gegend herum steht, werdet ihr keins von beiden."
Erstaunt wandten sich alle um, starrten auf die Gestalt die aus dem Schatten kam, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
Konnte es sich dabei tatsächlich um Pitch handeln?
Der Mann vor ihnen trug eine schwarze Hose, die in ebenfalls schwarzen Stiefeln steckte. Ob sein Hemd nun schwarz oder rot war, konnte man nicht genau erkennen, trug er doch darüber einen nur knöchellangen Mantel.
Es war jedoch nicht irgendein Mantel.
Die Ärmel waren bis zum Ellenbogen umgeschlagen, reichten aber dennoch bis zum Handgelenk hinunter. Der leichte Stehkragen war ausgefranst und ebenso wie die umgeschlagenen Ärmel und die Naht des oberen Mantelteiles von einem tiefen rot. Links und rechts zogen sich von der Schulter bis zum Bauch je eine Reihe silberner Knöpfe, die dem Mantel eng zuhielten.
Um die Hüfte trug er dazu noch einen breiten roten Stoffgürtel, der als Abgrenzung zwischen dem geschlossenen, eng anliegenden oberen Teil des Mantels und dem weiten bewegungsfreien Rest diente.
„Pitch?"
„Wer sonst?", knurrte er und wirkte dabei doch noch genau so wie sie ihn kannten.
„Was willst du hier?"
„Dafür Sorge tragen, dass euer kleines Problem aus der Welt geschafft wird. Und keine Fragen zum Hintergrund oder ich überlege es mir noch einmal anders", zischte er und der Hase schloss den Mund sofort wieder.
Sanderson konnte es nicht fassen.
Shadow musste tatsächlich recht gehabt haben, sonst wäre Pitch niemals gekommen.
Ihm lag also tatsächlich etwas an Andreja.
Dadurch hatten sie einen Verbündeten mehr um Astaroth aufzuhalten.
„Vorübergehend", kommentierte Pitch und einige der neuen Alpträume gesellten sich an seine Seite.
„Was ist dann dein Vorschlag?"
Pitch wollte soeben auf die Frage Toothianas Antworten, als sich sein Blick auf die andere Seite des Parks richtete.
Sanderson war der nächste, der sie bemerkte - die unnatürliche Stille.
Langsam erschien der gewaltige Lindwurm ihnen gegenüber und Sandy beobachtete interessiert und verwirrt die Reaktion des Alptraumkönigs.
Er ging an ihnen vorbei und fixierte dabei den Lindwurm, während immer wieder verschiedene Gefühle über sein Gesicht blitzen.
Verwunderung, Zorn, Unglauben, Unsicherheit, absoluter Hass.
Er murmelte etwas, jedoch konnte es niemand wirklich verstehen, nicht einmal Sandy, der sonst nie Probleme damit hatte.
„Was hast du gesagt?"
„Er hat Andreja dabei!", rief die Zahnfee dazwischen und auch Sanderson konnte sie jetzt entdecken.
Wie ein aufgehängter Mantel hing sie vor dem Maul der Bestie, schaukelte bei jeder Bewegung leicht hin und her.
Einen Gesichtsausdruck konnte er jedoch nicht erkennen.
Tooth schrie auf, als der Lindwurm plötzlich den Kopf zur Seite legte, ausholte und Andreja danach in hohen Bogen durch die Luft segelte.
Viel zu schnell für ein Tier aus Traumsand um sie aufzufangen.
Oder hätte Shadow das nicht machen können?
Fast als hätte Pitch seine Gedanken erraten schüttelte er den Kopf.
„Das Alptraumpferd existiert nicht mehr. Er muss sie zerschlagen haben", knurrte er und folgte mit Sanderson den anderen Hütern, die bereits vorangestürmt waren um Andreja zu helfen.
Sanderson wagte es nicht zu ihr zu sehen, konnte den Anblick ihres verdrehten Beines nicht ertragen.
Seine Schuld...
Gleichzeitig mit ihnen hatte sich auch der Lindwurm in Bewegung gesetzt.
Mit einer leichten Handbewegung schickte Pitch seine Alpträume voraus, sie sollten das Monstrum etwas zurück halten, doch dieser rammte sie einfach mit einem kräftigen Schlag seines gewaltigen Schädels aus dem Weg, näherte sich unaufhaltsam.
Inzwischen hatte sich Andreja auf den Bauch gedreht und krallte sich in den Boden fest.
„Andreja!", rief ihr Toothiana zu, wollte sie anspornen und beruhigen.
Tatsächlich begann die junge Frau sich vorwärts zu ziehen und auch sie hatten sie fast erreicht.
Erneut stieg die Hoffnung in ihm auf, dass vielleicht doch alles gut werden konnte, als er gegen eine unsichtbare Mauer lief.
Ein kurzer Blick zu den anderen Hütern und zu Pitch zeigte ihm, dass es ihnen nicht anders erging.
Panik breitete sich in ihm aus, als er feststellte, dass sein Körper ihm gar nicht mehr gehorchen wollte.
Nicht jetzt!
Sie waren doch nur noch drei Meter von Andreja entfernt gewesen, drei Meter um sie zu retten....
Sein Blick richtete sich auf den gewaltigen Lindwurm, dessen Umriss auf einmal in Feuer und Rauch zerfloss, die Wahre Gestalt ihres Gegners offenbarte.
Es handelte sich um niemanden geringeren als Astaroth, der aus dem Rauch und den Flammen kam, ein diabolisches Grinsen auf dem entstellten Gesicht.
Ein weiterer Blick offenbarte den Gürtel den er nun um die Hüfte trug, Halterung für ein langes Jagdmesser und ein glänzendes Breitschwert.
„Lass Sie sofort in Ruhe!", rief der Hase und erntete nur ein Zischen von Astaroth, dem die gespaltene Zunge über die Lippen huschte.
Erbarmungslos zerrte er Andreja in die Höhe, ignorierte ihr schmerzverzerrtes Gesicht.
Seine Schuld...
„Willkommen ihr Hüter", säuselte er und Andreja schloss dabei die Augen.
Erneut versuchte Sanderson gegen die Barriere anzukämpfen die ihn bewegungsunfähig machte, aber genauso gut hätte er versuchen können zu sprechen.
Er konnte es einfach nicht.
„Es freut mich, dass ihr alle meiner Einladung gefolgt seid und euch alle hier versammelt habt. Ich freue mich schon auf unser kleines Spiel, aber zuerst möchte ich eine Gleichung wieder richtigstellen...."
Das konnte er doch nicht ernst meinen!
Pitch neben ihm runzelte die Stirn und warf einen kurzen Blick zu ihm.
Hastig erklärte er ihm, dass Astaroth Andreja als unbekannte Variable bezeichnet hatte - wie in einer mathematischen Gleichung...
Und wie in einer solchen würde er sie raus streichen...
Nord und der Hase verzogen die Gesichter als auch sie sich gegen ihre unsichtbaren Ketten stemmten, aber sie hatten ebenso wenig Erfolg wie er.
„Wisst ihr, es wäre mir auch lieber, wenn ihr euch frei bewegen könntet, aber im Moment ist es doch praktischer wenn ihr mich nicht stört. Aber sagt mir, soll ich es schnell oder eher langsam machen?"
Was sollte man darauf nur Antworten?
Das einzige Mögliche war Schweigen.
Er schloss die Augen, spürte die Hoffnung die er einst gehabt hatte erlöschen. Was ihm jetzt noch blieb war Verzweiflung und die Angst, welches grausige Schicksal er für sie zu verantworten hatte.

Die Hüter des Lichts - Shadow and LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt