Kapitel 24

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Pitch sah der jungen Frau aus dem Schatten zu.
Seine Alpträume hatten ihm soeben berichtet, dass ihr Auftrag erfüllt war. Keine Verbindung mehr zum Mann im Mond, eine zerstörte Werkstatt, verunsicherte Hüter.
Jetzt würde er erst einmal abwarten, die Unsicherheit schüren und Tatsachen richtig stellen.
Allen voran würde er jedoch die Fragen beantworten, die ihm keine Ruhe ließen - wer war Andreja wirklich? Was machte sie so besonders und wie konnte er sie gegen die Hüter einsetzten?
Und dafür würde er sie beobachten, sie ausfragen und für sich einnehmen.
Jack Frost hatte ihm damals wiederstanden, hatte sich als zu loyal herausgestellt. Dafür würde dieser Jungspund auch noch seine Abreibung bekommen, hatte er ja eine neue verwundbare Stelle...
„Kennst du dich hier aus?"
Das alte Alptraumpferd schnaubte, schüttelte den Kopf.
„Dann werden wir uns mal auf den Weg machen, da wir ja nicht raus können, brauchen wir ja auch keinen Rückweg."
Mit diesen Worten warf sie - anscheinend unbewusst - die Haare zurück, richtete ihre Jacke und schlenderte los. Das Pferd schnaubte, folgte ihr anscheinend amüsiert.
Das musste man ihr lassen, zögerlich war sie garantiert nicht.
Neugierig folgte sie mal hier mal dort einem Weg, er blieb immer dicht in ihrer Nähe.
Irgendwann wurde es ihm dann doch zu langweilig, sie unterhielt sich nicht mit dem Alptraum, schien in Gedanken versunken, beobachtete aber ihre Umgebung aufmerksam.
Er wandte sich von ihr ab und wurde sich plötzlich einer Schwachstelle in seinem Plan bewusst - wenn sie wirklich einen so guten Draht zu den Hütern hatte, würde es nicht lange dauern und sie würden nach ihr suchen, sie vermutlich auch finden.
Wenn er genügend Zeit mit ihr haben wollte, musste er diese Wichtigtuer bei Laune halten...
Auf einen stummen Befehl hin, traten mehrere seiner neuen Alpträume an seine Seite, warteten auf ihre Aufgabe.
„Haltet die Hüter auf Trapp. Nicht viele auf einmal, nie lange Attacken und so wenig Verluste wie möglich. Wir wollen noch keinen großen Angriff starten", zischte er und die Pferde stoben davon.
Im nächsten Moment gellte ein Schrei durch die Dunkelheit und er zuckte zusammen. Was zum Teufel...?
Er lokalisierte den Ursprung und stand kurz darauf auf einer seiner Brücken - nun ja, auf dem was davon noch über war.
Ab ungefähr der Hälfte war das Mauerwerk eingestürzt, noch immer bröckelten einzelne Fragmente in die Tiefe. Vom Alptraum fehlte jede Spur, doch stattdessen klammerten sich zwei Hände an den noch vorhandenen Vorsprung.
Er musste nicht erst über den Rand sehen um zu wissen, dass es sich um Andreja handelte.
Ein höhnisches Grinsen konnte er sich nicht verkneifen, als er sich zu ihr runter beugte und ihrem Blick begegnete.
„Du könntest mal über Renovierungsarbeiten nachdenken", keuchte sie und versuchte sich wieder hochzuziehen, scheiterte aber.
„Mir gefällt es so wie es ist", entgegnete er noch immer grinsend und sie seufzte.
„Hättest du immerhin die Freundlichkeit mir hoch zu helfen?"
Natürlich würde er helfen, er wollte sie ja auf seine Seite ziehen, aber nicht sofort. Das war die Gelegenheit sie ein bisschen auszufragen...
„Vielleicht, aber zuerst hätte ich da ein paar Fragen an dich..."
„Dann mach schnell", zischte sie und versuchte noch einmal sich selbst zu retten, vergeblich.
Ihre Hilflosigkeit amüsierte ihn, aber auch ihre Art damit umzugehen - nicht in Panik zu verfallen, sondern einen kühlen Kopf zu bewahren.
„Nun, wo beginnen wir...? Das Alptraumpferd...wie habt ihr euch kennen gelernt und warum ist sie bei dir?", begann er mit der Frage, die ihm schon am längsten durch die Gedanken ging.
„Längere Geschichte, beantworte ich, sobald ich mir nicht mehr die Arme ausrenke..."
Unbefriedigende Antwort, aber wenn er einen guten Eindruck hinterlassen wollte, musste er mitziehen.
„Wie alt bist du eigentlich?"
„Nichts, was man eine Frau fragen sollte, aber wenn du es wissen willst - ich bin jetzt achtzehn und werde bald neunzehn."
Er runzelte die Stirn, hätte er sie jetzt älter eingeschätzt, mindestens Mitte zwanzig.
„Was? Denkst du ich wäre älter? Dass sagen mir sehr viele", seufzte sie und verzog dann das Gesicht.
„Noch eine Frage oder holst du mich endlich rauf?"
Sollte er es tun oder sie noch etwas zappeln lassen?
An deiner Stelle würde ich ihr jetzt helfen, oder ich sorge dafür, dass du ihr Schicksal teilst...
Er richtete sich auf und wandte sich dem Alptraumpferd zu, wütend über dessen Einmischung.
„Weißt du was ich mit den anderen gemacht habe?", knurrte er und noch hielt sie ihm stand, wich seinem Blick nicht aus.
„Ich habe jeden einzelnen von ihnen bis in ihr letztes Sandkorn zerlegt. Ihre Angst war einfach wundervoll und weißt du was? Noch ein solcher Fehltritt und ich mach dasselbe mit dir", sagte er langsam, ließ sich die Worte auf der Zunge zergehen und endlich brach ihr Widerstand.
Nervös senkte sie den Kopf, wich etwas zurück. Sie kannte ihn schon zu lange um zu wissen, dass er selten log.
Nachdem dieser Umstand geklärt war, konnte er sich seinem eigentlichen Ziel zuwenden.
Andreja hing noch immer in der Luft und funkelte ihn zornig an, als er sich wieder zu ihr runter beugte.
„Fürs erste reichen die Fragen, aber vergiss nicht, dass du mir noch eine Antwort schuldest", brummte er und reichte ihr die Hand.
Schweigend nahm sie sie an und ließ sich von ihm über die Kante ziehen, was für ihn leicht ging. Sie war nicht besonders schwer und ließ sich auch nicht einfach hängen, sondern half mit.
Als sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, atmete sie tief durch und ließ sich auf den festen Untergrund fallen. Seine Hand hatte sie gleichzeitig los gelassen und fuhr sich nun über das Gesicht, während der Alptraum sich hinter sie stellte.
„Nun, ich höre..."
„Wie schon gesagt, es ist eine längere Geschichte. Vielleicht möchtest du dich hinsetzten?"
Fragte sie da tatsächlich...langsam kochte Wut in ihm hoch, doch er schluckte sie hinunter. Er musste freundlich bleiben...
„Ich bleibe lieber stehen", entgegnete er kühl und lehnte sich dabei an die Überreste des Brückengeländers.
„Wenn du willst...Es begann in einer Nacht vor ungefähr acht Jahren..."

Die Hüter des Lichts - Shadow and LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt