Kapitel 40

502 31 4
                                    

Ich wusste nicht, wie lange ich schon in den Zähnen des Lindwurms hing, als er mich plötzlich fallen ließ. Viel zu überrascht um viel zu Schreien stürzte ich zu Boden, landete unsanft auf einer glücklicherweise gepolsterten Fläche.
Schwer Atmend lag ich auf dem Bauch, versuchte ein Gefühl für meine eingeschlafenen Glieder zu bekommen. Sehen konnte ich sowieso nichts, schon seit einiger Zeit war es dunkler als schwarz. Nicht einmal die Hand vor der Nasenspitze hätte ich erkennen können.
Ich spürte die Erschütterung, als das geflügelte Reptil auf der Erde aufschlug, zischend durch die Finsternis glitt.
Langsam atmete ich ein und aus, verzog das Gesicht, als eine kleine Bewegung meinerseits ein starkes Kribbeln durch Arme und Beine zog. Aber ich wollte wissen, wo ich war, also biss ich die Zähne zusammen und stemmte mich schon einmal in eine sitzende Position.
Immerhin ein Anfang...
Kaum hatte ich diese Haltung erreicht, entzündeten sich Feuerschalen - vier an der Zahl. Im nach hinein hatte ich mir gewünscht, sie wären kalt geblieben.
Es waren nicht die muffelnden Skelette die überall herumlagen, nicht der kleine Käfig mit dem scheinbar nie endenden Dach, nicht der gewaltige Lindwurm der sich einer Schlange gleich um den unteren Teil des Käfigs gelegt hatte.
Nein, es war die Gewissheit allein zu sein, getrennt von den anderen, von allem und jedem, an einem Ort, wo man mich so schnell nicht finden würde - dass alles ließ mich die Dunkelheit zurück wünschen.
Ich musste zugeben, ich hatte zum ersten Mal seit acht Jahren Angst.
Flach atmend schloss ich die Augen, versuchte das nervöse Ziehen im Unterleib zu ignorieren, meine panisch springenden Gedanken zu fokussieren.
Scheitern stand jedoch schon seit jeher an erster Stelle der Liste meiner unpraktischsten Fähigkeiten.
Langsam rutschte ich ganz dicht an die Gitterstäbe, musste spüren, dass sich von hinten keiner nähern konnte. Unsinnig wenn man in einem Käfig saß, der vermutlich in der Mitte irgendeiner Höhle stand.
Aber ich baute auf den Placebo-Effekt und tatsächlich beruhigte ich mich etwas.
Irgendwer würde mich schon finden, immerhin hatte Shadow ja mit angesehen, was passiert war. Und Sanderson war auf dem Weg zu mir gewesen...
Vielleicht würde mich aber auch jemand anderes finden, immerhin hatte er ja gemeint, er würde mich beobachten. Vielleicht war es ja möglich, dass er...
Ich spähte in die Schatten zwischen den Feuerschalen und spürte mein Herz etwas schneller schlagen, als ich mir vorstellte, wie er einfach dort erscheinen würde, bereit diesem Lindwurm den Kopf abzuschlagen.
Gott sei Dank war es nur ein Lindwurm und kein Drache...ich musste also nicht mit einem schlechten Gewissen von meiner Seite aus rechnen.
Die wenigen Minuten die ich kauernd am Rand des Käfigs saß und in den Schatten starrte wandelten sich zu Stunden, einer Gefühlten Ewigkeit.
Manchmal meinte ich eine Bewegung zu erkennen, unscheinbar, vermutlich einfach nur ein Streich den mir meine Sinne spielten.
Irgendwann hob die geflügelte Schlange ihren Kopf, tastete mit ihrer Zunge die Luft, befreite sich zischend aus der Position um den Käfig. Nervös verfolgte ich wie er in der Dunkelheit verschwand.
Was dann jedoch geschah, stellte jede Angst in den Schatten die ich bisher erlebt hatte.
Plötzlich war er wieder da, schnellte aus der Finsternis wie ein Pfeil, wickelte sich ein und richtete den Oberkörper auf.
Im Schein der Feuerschalen konnte ich nur zu gut die hagere schwarze Silhouette eines Alptraumpferdes in seinem geschlossenen Maul erkennen.
Shadow...
„Nein...nein...NEIN!!"
Ich sprang auf, hastete an die Gitterstäbe und obwohl ich wusste, dass ich nicht einmal annähernd an die beiden rann reichen konnte, streckte ich eine Hand aus, versuchte dennoch irgendwie sie zu berühren.
„Lass sie frei...bitte!", flehte ich und spürte bereits die heißen Tränen in meinen Augen.
Der Lindwurm richtete seinen brennenden Blick auf mich, legte den Kopf leicht schief und drückte sein Maul noch etwas weiter zu.
Ich hörte ihr Stöhnen, sah wie sie sich verkrampfte, nur um kurz darauf wieder zu erschlaffen.
Dann ließ er sie plötzlich fallen.
Sie schlug vor mir auf dem Boden auf, verlor dabei einiges an Sand, versuchte sich aber schon wieder zusammen zu setzten.
Hastig ging ich auf die Knie, nahm ihren schlanken Kopf in meine Hände.
„Was machst du nur hier?", schluchzte ich und strich immer wieder über ihren Kopf, während sie erfolglos versuchte sich auf die Beine zu kämpfen.
Ich wollte dir helfen - es tut mir nur so leid, dass ich es nur noch schlimmer gemacht habe, flüsterte sie.
Schon jetzt klang ihre Stimme so weit entfernt.
„Du machst gar nichts schlimmer...Aber du musst wieder auf die Füße kommen, hörst du? Du musst aufstehen!"
Ich kann nicht.
„Natürlich kannst du!"
Hör mir jetzt gut zu...ich kann von Glück reden, dass ich dich kennen gelernt habe und ich bereue keine meiner Entscheidungen, verstehst du? Keine einzige! Und egal was jetzt noch passieren wird - verliere nicht deinen Glauben. Die anderen sind für dich da, auch wenn es bei einigen noch nicht so scheint -
Sie verstummte kurz und warf einen kurzen Blick zu dem gewaltigen Lindwurm, welcher mit schiefgelegtem Kopf unsere Unterhaltung verfolgt hatte. Nun jedoch schnaubte er und blitzschnell schlossen sich seine Zähne um den kraftlosen Körper des Alptraumes.
Versprich mir bitte, dass du mich nicht vergisst, mein kleiner, liebevoller Dunkelstern...
„Niemals...", hauchte ich und sah ihr mit nun tränenverschleiertem Blick nach.
Er hob sie hoch in die Luft, drückte sein Maul noch weiter zusammen, begann den Kopf hin und her zu werfen.
Schwarzer Sand rieselte einem Schneegestöber gleich zu Boden. Er sorgte in einigen der Feuerschalen für kleine Stichflammen, erhellten die Höhle in ihrem grellen Licht.
Sie schwieg die ganze Zeit über, kein einziger Laut stahl sich in meine Gedanken, bis es plötzlich vorbei war.
Der Lindwurm zerteilte den hageren Körper in zwei Hälften, welche als formlose Sandhaufen auf dem Boden vor dem Käfig aufkamen.
Als ich sie sah, die letzten Überreste meiner längsten Freundin zwischen den Fingern entlangrieseln ließ, konnte ich es nicht wirklich begreifen. Sie war verschwunden, konnte mir nicht wieder unter die Arme greifen, mir nie wieder vor Augen führen, dass das Leben tatsächlich lebenswert war.
Der Schmerz der Trauer kam einem ziemlich heftigen Faustschlag gleich, der mir ein Loch in den Magen schlug, mir meine gesamte Kraft entzog.
Der Lindwurm zischte, erst mit der Zeit wurde mir klar, dass es sich bei den wechselnden Tonlagen um ein Lachen handelte.
Unter normalen Umständen hätte mich nun der Zorn gepackt, aber selbst dazu fiel mir die Kraft.
Shadow war tot.
Ich strich mir übers Gesicht, versuchte die Tränen zu trocknen, doch sie liefen immer weiter.
Weg, verschwunden.
Aber vielleicht, wäre es möglich...
Ich griff nach dem kleinen Strohhalm der sich mir bot und kratzte vom Alptraumsand zusammen, was ich erreichen konnte. Daraufhin riss ich einer Jacke, die auf dem Käfigboden lag, einen Ärmel ab und knotete das untere Ende zusammen, verstaute den Sand darin.
Vielleicht war doch noch nicht alle Hoffnung verloren.

Die Hüter des Lichts - Shadow and LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt