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Ich stand auf und ging zum Spiegel der über dem Waschbecken an der hinteren Wand hing.

Der Fleck war kaum zu sehen, aber er war da.

"Sie haben eine ziemlich gute Beobachtungsgabe."

"Die brauche ich auch.",
erwiederte sie promt, war dann aber still.

Wie hatte sie das gemeint?
Ich ging an ihr vorbei zum Schrank und holte ein weiteres, ebenfalls weißes, Hemd hervor. Ich zog mein Sakko aus und warf es auf einen Stuhl. Da ich mit dem Rücken zu ihr stand, konnte ich sie nicht ansehen, war jedoch sicher, dass sie mich beobachtete. Als ich anfing mein Hemd aufzuknöpfen, piepste sie
"Was machen sie denn da?"

"Ich wechsle mein Hemd.",
erwiederte ich trocken.

"Können sie das nicht wo anders machen?"

"Ich bin mir sicher, dass sie schon mal einen nackten Männerrücken gesehen haben. Wenn es sie stört, drehen sie sich um."

"Was macht sie so sicher, dass ich das nicht als Anmache verstehe?",
fragte sie keck.

Man, die Frau hat echt zwei Seelen in ihrer Brust!

"Wenn sie zu der Kategorie Frau gehören würden, hätten sie es schon längst in irgendeiner Art und Weise bei mir versucht. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Brüste ich heute schon vor der Nase hatte."

"Vielleicht will ich mir das auch gar nicht vorstellen.",
kam es von ihr zurück und ich konnte an ihrer Stimme hören, dass sie ihre Nase kraus zog.

"Falls es sie beruhigt",
sprach ich weiter während ich mir das Hemd zumachte,
"es bringt niemanden einen Vorteil. Eher das Gegenteil ist der Fall. Es ist unprofessionelles Verhalten und ich würde nie etwas mit einer Studentin anfangen."

Wie kam ich dazu ihr private Sachen zu erzählen. Und wieso fragte ich sie privates Zeug?

Irgendwas mit mir lief hier schief.
Ich zog den Kragen zurecht und ordnete meine Hemdärmel, drehte mich zu ihr um und streifte mein Sacko über.

"Noch irgendwelche Farbkleckse an mir oder irgendetwas irgendwo wo es nicht hingehört?",
fragte ich sie so neutral wie nur möglich.

Sie schüttelte nur den Kopf.
Auffordernd steckte ich die Hände aus.

"Arm.",
sagte ich und sie reichte mir einen.

Ich krempelte ihr geübt den Ärmel hoch, damit sie ihre Hände frei hatte.

"Anderer",
verlangte ich, als ich mit dem ersten Arm fertig war.

Mir war bewusst, dass sie jede meiner Bewegungen verfolgte.

Als ich fertig war zog ich ihr einen Stuhl zurück und tat so, als ob die letzten Minuten nie existiert hätten.

"Setzen sie sich doch, Miss York."

Kurz kräuselten sich ihre Augenbrauen, aber es dauerte nicht lange, bis sie sich wieder gefangen hatte. Sie kam meiner Aufforderung nach und nachdem sie saß, nahm ich ihr gegenüber Platz.

Ich fragte sie einiges, queerbeet, und sie konnte mir alles beantworten. Selbst Fragen, die nicht mehr so ganz im Prüfungsgebiet lagen, meisterte sie souverän.

Dabei fiel mir aber auf, dass ich sie jedesmal, wenn ich sie direkt ansah, verunsicherte.

Nach ein paar Minuten ließ ich von ihr ab, ziemlich sicher, dass sie jede einzelne Frage beantworten könnte.

Ich schloss die Prüfunterlagen.
Und sah sie durchdringend an.

"Erlauben sie mir noch eine unprofessionelle Frage?"

"Wieso fragen sie jetzt, eben haben sie sie doch auch einfach gestellt."

"Weil diese ernst ist."

Sie sah skeptisch aus, nickte aber.

"Warum lassen sie sich von mir verunsichern, Miss York? Sie wissen alles, haben es nicht nötig, sich zu verstecken. Ich habe sie noch nie mit anderen Studenten gesehen. Woran liegt das?"

Es dauerte einen Moment, bis sie antwortete.
Als sie es tat, streckte sie ihr Kinn leicht nach vorne.

"Wie sie eben schon festgestellt haben, Mister Morin, habe ich eine ziemlich gute Auffassungsgabe und mit dem, was ich an anderen Menschen zum Teil bemerke, will ich nichts zu tun haben. Ich wähle meinen Umgang sorgfältig. Und die Frage, die sie selbst betrifft: sie wissen ganz genau, welche Ausstrahlung sie haben, bei allen Respekt, werde ich nicht darauf eingehen, Sir."

"In welche Richtung wollen sie nach dem Studium gehen?"

"Da bin ich mir noch nicht so sicher, vielleicht etwas Richtung Management."

"Was wenige über meinen aktuellen Werdegang wissen ist, dass ich als Headhunter für ein paar Firmen unterwegs bin. Ich könnte mir vorstellen, dass wenn sie lernen ihre Emotionen zu verbergen, sie in diesem Bereich sehr gut aufgehoben wären. Brauchen sie einen Job Miss York?"

"Ist das ihr Ernst?"

War das mein Ernst?

Anscheinend ja.

Just One More Night StandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt