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Nach einem kurzen Blick richtete ich das Kleid so, dass es die Narbe nahe meines Schlüsselbeines verdeckte, und betrachtete mich dann ein letztes Mal im Spiegel

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Nach einem kurzen Blick richtete ich das Kleid so, dass es die Narbe nahe meines Schlüsselbeines verdeckte, und betrachtete mich dann ein letztes Mal im Spiegel. Der dunkle Stoff schmiegte sich an jede Rundung meines Körpers. Es gefiel mir, dass das Kleid langärmlig war und keinen riesigen Ausschnitt besaß. Es war lang und elegant und ich hatte das Gefühl, dass es zu mir passte.

Meine Haare trug ich heute offen, die karamellfarbenen Strähnen fielen in Wellen über meine Schultern und umspielten mein Gesicht. Früher waren sie länger gewesen, doch als ich hierher gekommen und von Xoros, meinem Herren, aufgenommen worden war, hatte ich das Gefühl bekommen, das ändern zu müssen.

,,Lyra, du siehst gut aus." Die tiefe Stimme, die plötzlich hinter mir ertönte, ließ mich die Augen verdrehen. Ich hatte gehofft, wenigstens noch einige Minuten für mich sein zu können, bevor das alltägliche Schauspiel beginnen würde. Ich drehte mich um, doch konnte das leise Seufzen dennoch nicht zurückhalten.

,,Und du hättest dir wie immer mehr Mühe geben können." Es war eine glatte Lüge. Viano sah fantastisch aus, wie er es auch die letzten dreiundzwanzig Jahre seines Lebens getan hatte. Und das wusste er genauso gut wie jeder andere. Das schwarze Leinenhemd betonte seine definierte, muskulöse Statur und sein braunes Haar lag perfekt, als hätte er jede einzelne Strähne möglichst akkurat an Ort und Stelle gebracht.

Ein Grinsen bildete sich auf seinen Lippen. ,,Ich weiß, wie schwer es dir fällt, mir zu widerstehen. Du musst dein Verlangen nach mir nicht hinter halbherzigen Lügen verstecken." Ich ignorierte seine Sticheleien, die mir schon lange nichts mehr ausmachten. Wahrscheinlich schon nicht mehr seit dem Tag, an dem ich mit ihm geschlafen hatte.

Er wartete geduldig am Türrahmen lehnend, bis ich mir meine Schuhe angezogen hatte und streckte mir dann eine Hand entgegen, die ich nach kurzem Zögern ergriff. Er war unheimlich warm. Oder vielleicht war ich auch einfach nur unheimlich kalt.

,,Hast du alles?", fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen und blickte an mir hinunter.

,,Du weißt, dass ich nichts brauche. Und wenn, dann holst du es mir eben." Jetzt war ich es, die ein kleines Grinsen nicht zurückhalten konnte. Nicht, weil ich Späße machte, sondern weil wir beide wussten, dass ich Recht hatte.

Normalerweise mochte ich es nicht, wenn Viano mir zu nahe kam. Es fühlte sich falsch an, seit ich mich ihm vor zwei Jahren hingegeben hatte. Wir hatten beide gewusst, dass es bei einer einmaligen Sache bleiben würde, doch seit diese einmalige Sache stattgefunden hatte, wurde es nie wieder so zwischen uns, wie es einmal gewesen war.

An Abenden wie diesen jedoch, konnte ich für seine Anwesenheit nicht dankbarer sein. Denn sobald wir den riesigen Saal im Erdgeschoss betraten, fühlte ich mich jedes Mal, als würde ich ertrinken. Als würde der Rauch, der in der Luft stand, sich um meine Kehle schnüren und mich am Atmen hindern. Dabei war ich schon lange an ihn gewöhnt.

Riscéa - Schuld und LügeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt