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Ich war geduldig

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Ich war geduldig. Nein, ehrlich, ich war unfassbar geduldig. Diese Eigenschaft war mir nie so deutlich an mir aufgefallen wie in letzter Zeit. Doch so dick und robust der Geduldsfaden auch sein mochte, irgendwann riss er dann doch. Still und leise, flüchtig, ja, kaum merkbar – aber er riss.

Und mein Faden war nach meinem Ausflug in den Wald nicht einfach nur gerissen. Meiner hatte sich endgültig in Luft aufgelöst, war spurlos verschwunden. Und so sehr ich auch nach ihm suchte, in der Hoffnung, ihn wieder zusammenknoten zu können, ich konnte ihn einfach nicht finden.

Nachdem ich völlig aufgelöst wieder im Anwesen angekommen war – meiner guten Orientierung sei Dank, ich hatte den Weg zurück tatsächlich gefunden – und mich glücklicherweise noch niemand vermisst hatte, war ich sofort in meinem Zimmer verschwunden und hatte mich auch nicht mehr blicken lassen. Ich hatte es mir nicht zugetraut, in einem solchen Zustand allen etwas vorzuspielen. Als mich Laykin zum Abendessen gerufen hatte, hatte ich höflich abgelehnt, mit der Begründung, ich würde mich nicht besonders gut fühlen und es vorziehen, früher schlafen zu gehen. Das war noch nicht einmal gelogen gewesen. Jedoch war nichts aus dem ersehnten Schlaf geworden, denn stattdessen hatten mich die ganze Nacht eine Schar von Vermutungen, furchtbaren Theorien und Gedanken geplagt. Das letzte Mal, dass ich eine solch unruhige Nacht gehabt hatte, war nach Nescans Tod gewesen.

Es gab vier Dinge, die mich in diesen langen Stunden am meisten beschäftigt hatten.

Zum einen die Vermutung, dass Thoan den Mörder meines Bruders kannte. Ich hatte in dem Moment zwar nicht darauf reagiert, war viel zu abgelenkt gewesen von seiner bloßen Anwesenheit, doch ich hatte nicht vergessen, wie der Kerl von dem Idioten gesprochen hatte, der mir erlaubte, den Wald zu betreten. Und wenn ich mit meiner Vermutung richtig lag, musste damit wohl Thoan gemeint sein. In welcher Verbindung standen die beiden und woher wusste dieser Mistkerl, dass ich bei Thoan wohnte? Wusste Thoan, dass er meinen Bruder ermordet hatte? Und wenn ja, hatte vielleicht Thoan selber etwas mit dem Mord zu tun?

Dann ließ mir die Art und Weise, wie der Halbglyth von Nescan gesprochen hatte, einfach keine Ruhe. Im ersten Moment war ich überrascht gewesen, den Namen meines Bruders aus seinem Mund zu hören, doch im Nachhinein kam mir dieser Umstand gar nicht mehr so überraschend vor. Vielleicht hatte er ihn aus meinem Kopf, aus meinen Gedanken. Das war es nicht mehr, was mich so sehr beschäftigte. Es war mehr sein Tonfall, seine gesenkte Stimme und sein Blick. Er hatte etwas Bedauerndes gehabt und ich konnte einfach nicht sagen, wie das alles zusammenhing. Hatten sie sich etwa wirklich gekannt? Ich konnte nicht behaupten, jeden Bekannten von Nescan gekannt zu haben. Theoretisch wäre es also möglich. Und würde alles nur noch verwirrender machen.

Außerdem war da noch dieser Baum und Nescan, der so lebendig vor mir gestanden und mir seine Hand entgegengestreckt hatte. Ich konnte verstehen, warum Thoan nicht wollte, dass ich den Wald alleine betrat. Er hatte recht. Ich kannte diesen Ort nicht, wusste nicht, welche Gefahren dort lauerten und wusste offensichtlich auch nicht, dass man gewisse Bäume nicht berühren sollte. Und obwohl mir das jetzt klar war, bereute ich nicht, es trotzdem getan zu haben. Es war schön gewesen, Nescan zu sehen. Schöner als ich in Worte fassen könnte. Und ich musste zugeben, der Gedanke, erneut in den Wald zu gehen und wieder diesen Baum zu berühren, war verlockender als er wahrscheinlich sein sollte.

Riscéa - Schuld und LügeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt