Kapitel 23

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"Nanu?" Meine Mutter stand im Flur als ich das Haus betrat, mit Manuel. Sie schaute verdutzt und etwas panisch.

"Guten Tag." Sagte der Brünette neben mir wieder etwas schüchtern. Die Frau uns Gegenüber war ziemlich verwirrt. Sie erinnerte sich bestimmt gut an Manu. Immerhin, seine und meine Eltern kannten sich wegen der Prügeleien unsererseits schon zu gut. Ich verhielt mich ruhig und lief an ihr vorbei, die Treppe hoch. Vorsichtig folgte mir der Junge und meine Mutter schaute uns noch, ohne ein weiteres Wort zu sagen nach. Auch ich fühlte mich komisch das er, ausgerechnet er, in meinem Haus war und nun mit in mein Zimmer käme. Aber ich wollte nicht weiter in der schule bleiben, mein Angebot, mit zu mir zu kommen hatte er sofort angenommen.

"Steht ihr Irgendwie auf Kriegsfuß?" Manu hatte sich im Schneidersitz auf mein Bett gehockt und schaute mich wartend an. Wahrscheinlich meinte er das gerade im Flur. Ich hatte nicht wirklich etwas gesagt gehabt oder so.

"Naja nein eigentlich nicht aber... Ach ich weiß es nicht." Druckste ich herum. "Sie mögen es nicht wie ich mich verhalte." Sagte ich und ließ mich einfach nach hinten fallen sodass ich auf dem Rücken ins Bett einsank. So blieb ich vorerst auch, Manu schaute von oben auf mich herab.

"Mh kenn ich." Murmelte er und schaute sich danach kurz im Raum um. "Du spielst auch?" Fragte er freudig und zeigte auf ein Regal neben dem Computer. Dort standen viele Hüllen von Computerspielen, er hatte sie sofort erkannt. Ich setzte mich wieder auf und schaute ihn belustigt an.

"Ja tue ich. Ist das so komisch?" Fragte ich und konnte ein grinsen nicht unterdrücken.

"Naja ich hätte das nicht von dir erwartet." Er hatte sich inzwischen vor das Regal gekniet und zog ein paar der Spiele vor. An seinem Blick sah ich sofort das er sie alle kannte. Ich versank wieder ein Stück in meinen Gedanken. Warum war ich jetzt in dem Moment so ruhig und entspannt. Sonnst wenn ich zu Hause war, fühlte ich mich trübseelig und war angespannt. Und kaum war er in meiner Nähe da war alles gut. Glaubte ich zumindest.

Trotzdem war es immernoch eine komische Begebenheit zwischen uns. Erst haben wir uns zu tiefst gehasst, uns innerhalb von vier Tagen war dies ausgelöscht. Wir waren für ein paar Momente Freunde gewesen. Und dann, ja dann sind wir uns wieder wochenlang aus dem Weg gegangen, haben uns eiskalt ignoriert, bis wir jetzt wieder hier sitzen? Das ist so ein übles hin und her. Ich kann nicht mehr.

"Was war denn jetzt eigentlich vorhin mit dir los?" Der Junge hatte sich wieder neben mich gesetzt und sanft eine Hand auf meine Schulter gelegt. Ich drehte meinen Kopf nach rechts und schaute ihn kurz an.

"Ich weiß einfach nicht mehr wo mir der Kopf steht. Das ist alles zu viel." Seuftze ich und schaute wieder geradeaus, Richtung Schreibtisch. "Irgendwie ist alles aus dem Ruder gelaufen, ich dachte immer ich habe alles unter Kontrolle und könnte mich von niemandem beherrschen lassen, aber ich habe mich einfach getäuscht." Gab ich zu und schaute ihn wieder an. Seine Augen blitzten auf. Seine Hand lag noch immer auf meiner Schulter und ich spürte die Wärme die von dort durch meinen Körper drang.

"Das passiert doch einfach mal. Keiner hat alles unter Kontrolle." Sagte er einfühlsam und schaute mir wieder in die Augen.

"Möglich." Murmelte ich. "Aber in anderer Art und Weise."

"Wie meinst du das?" Jetzt war er ein wenig verwirrt. Den Kopf hatte er etwas schief gelegt und er schien über die Aussage nachzudenken.

"Es ist doch was komplett anderes wenn du die Kontrolle und die Übersicht über bestimmte Bereiche verlierst. Wenn du zum Beispiel die Schule überhaupt nicht mehr unter einen Hut mit irgendwelchen anderen wichtigen Hobbys bekommst. Das ist nebensächlich und ändert nicht allzu viel, außer das man selbst gezwungen ist zu wählen. Aber... Wenn du die Kontrolle über dich selbst verlierst damit nur noch Schaden anrichtest, hat es genauso viel Auswirkungen auf dich, wie auf dein Umfeld." Vorsichtig ließ ich mich wieder nach hinten fallen, die Hand von Manu rutschte dabei von meiner Schulter herunter und die nur zu gewohnte Kälte umgab meinen Körper.

"Hör auf, dich selbst so fertig zu machen! Was du sagst ist zum Teil die Wahrheit, aber es hat immer einen Hintergrund. Und noch dazu machst du doch nicht nur Ärger." Er war ein Stück zurück gerutscht und von der Seite schaute er mir fest in die Augen. Sein Blick gab mir Sicherheit und Halt.

"Mache ich wohl..." Seufzte ich trotzdem. Denn irgendwie war es ja genau so. "Wenn ich mich mit früher vergleiche dann zweifle ich echt an mir. Und überlege was wäre, wäre ich nicht so leichtsinnig auf diesen dummen Krieg eingegangen." Ich war wirklich verzweifelt. Man merkte es. Ich konnte nicht mehr zu mir selbst stehen und verschwand in einem Schleier aus zweifelnden Gefühlen.

"Ach Patrick..." Sagte er nur sanft und legte sich genauso hin wie ich. Nebeneinander starrten wir hoch an die Decke. Eine ganz kurze Zeit hörte man nichts als unser atmen. "Du musst heraus finden wem du vertrauen kannst. Und lass dich von dir selbst nicht so verunsichern. Der einzige der dir im Weg steht bist du selbst." Flüsterte der Junge und drehte den Kopf in meine Richtung. Ich bemerkte den Blick von der Seite und schaute ebenfalls zu ihm. Er hatte die Beine Angewinkelt und seine Arme locker neben dem Oberkörper liegen. Seine Augen strahlen vor Sicherheit. Ich schaute ihn ganz genau an.

"Danke." Flüsterte ich ebenfalls und ein leichtes Lächeln zierte meinen Lippen. Mein Kopf fühlte sich nach allem was er gesagt hatte so viel freier. So als würde er nicht mehr mit ganz so vielem belastet werden.

"Schon komisch was?" Er schaute wieder an die Decke über uns. "Also die Situation zwischen uns." Er lachte leicht. Und ich konnte nicht mehr tun als ihm zuzustimmen.

"Sag mal. Das war doch vorhin dein Bruder oder?" Ich blieb starr liegen und behielt den Blick auf ihn gerichtet. Ich merkte wie er sich kurz verspannte. Er schien einen Moment überlegen zu müssen ob er reden wollte. Aber am Ende seufzte er und ließ die Spannung wieder fallen.

"Ja das war mein Bruder..." Sagte er kühl. Die beiden haben sich ja ziemlich heftig gezofft gehabt.

"Okay." Ich wartete. Wenn er weiter reden wollte, würde er es tun. Ich hatte keine Lust ihn wie beim letzten mal zu drängen und mit Fragen zu Löchern, denn das war es, was wieder Distanz zwischen uns gebracht hatte. Und das ich nicht reden wollte. Aber es hätte gut getan sich einfach mal diese Gedanken und die Probleme von der Seele zu reden. Gerade eben, hat mich das ja auch ein Stück weiter gebracht. Ich fühle mich etwas befreiter. Denn Manu kannte meine Situation. Er hatte ganze einfach Verständnis.

Manu blieb einen Moment still und setzte sich auf. Er schaute auf seine Hände welche locker in seinem Schoß lagen. "Das ist ziemlich kompliziert... Mit meinen Geschwistern hatte ich noch nie wirklich eine gute Bindung. Ich habe vier. Und da ich der Jüngste bin, wollte ich mich immer durchsetzen. Ich glaube das hat das ganze ein bisschen kaputt gemacht." Sagte er dann relativ ruhig. Es hörte sich so an als würde es ihn nicht wirklich interessieren. Aber an seiner ganzen Haltung sah ich das Gegenteil. "Ihnen ist es schon immer auf die Nerven gegangen. Aber ich wollte nicht im Nachteil sein. Unsere Eltern hatten die Aufmerksamkeit immer eher auf den großen gehabt. Umso mehr ein Grund aufzufallen. Und dann gab es da noch ein paar kleinere Vorfälle, weshalb ich mich ziemlich zurück gezogen habe."

Er versuchte ruhig zu bleiben und sich nichts anmerken zu lassen. Seine Atmung allerdings wurde schneller und ich glaubte in der Stille seinen Herzschlag zu hören, welcher ebenfalls raste. Er hatte den Blick nicht von seinem Händen abgewandt.

"Ein paar ziemlich große Sachen nehme ich an." Vorsichtig setzte ich mich auf und rutschte etwas näher an ihn. "Ich weiß zwar nicht was vorgefallen ist und sagen wirst du es mir wahrscheinlich auch nicht. Aber, denk dran das du nicht alleine bist." Vorsichtig lächelte ich und legte einen Arm um seine Schulter. Er hob kurz den Kopf und ich konnte ein schwaches aber sicheres lächeln erkennen. Es muss schon was heftiges vorgefallen sein. Die Reaktion seines Körpers auf diese Erinnerung waren genauso schlimm, wie sie selbst.

Never perfekt // KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt