17. Zerrissenheit

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"Elena,

wenn du das liest, habe ich dir wahrlich das Schlimmste angetan. Obwohl wir beschlossen hatten, gemeinsam weiterzureisen, habe ich dich zurückgelassen. Ich hoffe, du kannst mich verstehen. Was ich dir sagen will ist eigentlich ganz einfach und ich denke, du solltest es wissen.

Marco war mein bester Freund, obwohl er wirklich einen merkwürdigen Humor hatte. Er war sarkastisch, grob und ziemlich unbedacht. Das dürftest du selber noch ganz gut wissen.

Als wir zum ersten Mal aufeinander getroffen sind, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, mich mit ihm abzugeben. Während unserer Ausbildung hat er mich eigentlich nur tyrannisiert und als den reichen Erben verachtet.

Ja... Ich wurde gemieden, weil mein Vater der Chef der größten Schmiede in Johto ist. Marco wurde gemieden, weil er sich bei jedem in unserer Truppe über mich ausgekotzt hat. Ja; wir waren die beiden Ausgeschlossenen.

Warum er letztlich doch bei mir angekrochen kam und sich für all seine Verspottung entschuldigte, lässt sich wohl nur mit der Tracht Prügel erklären, die ich ihm zukommen ließ (vielleicht ist dir bei einem seiner Heimaturlaube aufgefallen, dass ein Stück seines Schneidezahns abgebrochen war. Das war ich).

Und so war es geschehen; wir waren beste Freunde. Von dem Tag an haben wir immer zusammen trainiert und waren sogar zusammen auf Pokémonjagd. Damals gab es mehr Soldaten als Pokémon und so mussten einige von uns ihre eigenen Pokémon fangen oder ohne Poképartner kämpfen.

Es folgte der unheilvolle Tag, an dem wir an die Front geschickt wurden. Wir waren beide unbedarfte Jungen, die mit den Gefahren auf dem Schlachtfeld nicht zurecht kamen. Und so wurde dein Bruder tödlich verletzt. Falls es dich interessiert, wie er verletzt wurde; ich schreibe es auf die letzte Rückseite, damit du es nicht lesen musst, wenn du nicht willst.

Ich habe wirklich alles versucht, um das Schicksal abzuwenden. Aber ich konnte ihn weder beschützen noch retten. Ich konnte überhaupt nichts tun. Schlimmer noch; ich fühle mich dafür schuldig, dass er verletzt wurde. Wäre ich nicht gewesen, könnte er noch leben. Und das tut mir unendlich leid.

Drei Jahre später wurde ich nach Ebenholz versetzt. Gleich am Tag meiner Beförderung hast du begonnen, mir Steine in den Weg zu legen. Im Prinzip hast du es genauso gemacht wie Marco; mir nur Probleme bereitet.

Ich hatte vergessen, wer ich war und woher ich kam. Ich war ein einfacher Soldat, der nur Glück hatte zu überleben. Doch ich wollte es meinen Vorgesetzten Recht machen und mich beweisen. So war es mein größtes Bestreben, dich zu verhaften und meinen Ruf als fähigen Leutnant zu untermauern.

Aber als ich dich zum ersten Mal traf und in deine Augen sah, erkannte ich, wer du bist; Marcos Schwester. In gewisser Weise verstand ich es als sein Erbe, dich und Dratini zu beschützen. Wäre er noch am Leben, hätte er diese Aufgabe übernommen. Aber er ist tot. Wer sollte sich also um dich sorgen? Denkst du nicht auch, dass mich das Schicksal zu dir geführt hat? 

Du hast mich daran erinnert, wer ich bin. Du hast mich auf den richtigen Pfad zurückgebracht.

Ich habe dich nicht nach Merbaum begleitet, weil ich dies aus einem Pflichtgefühl deinem Bruder gegenüber empfand. Mir ging es immer nur um dich; die mich wieder daran erinnerte, wer ich war und wer ich bin.

In all der Zeit während unserer Reise war ich aber nie stark genug, dir von meiner Vergangenheit zu erzählen. Der Tod deines Bruders belastet mich immer noch. Ich sehe es als meine Aufgabe, dich zu beschützen.

Pokémon - Die Legende von Johto (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt