36. Mein Bruder

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Wie aus einem Albtraum schreckte Elena hoch. An sich runterblickend erkannte sie, dass sie nur noch eine kurze Tunika und einen Rock trug; keine Schuhe, keinen Umhang. Viel zu wenig für diese Jahreszeit.

Obwohl es Winter war, fror die Jugendliche nicht. Sie blickte um sich; wo war sie? Statt des Silberberges, den Elena zuletzt im Blick hatte, befand sich um sie herum ein dichter Urwald. Kaum ein Weg war zu erkennen.

Die Pflanzen wucherten; Blumen blühten satt und die Bäume waren so hoch, dass der Himmel kaum noch zu erkennen war. Elena hielt sich den Kopf: "Wo bin ich hier?"

Was war zuletzt geschehen? In ihrer Erinnerung war da nur ein grelles Licht. Beim Versuch aufzustehen, knickten ihre Beine weg.

Beim zweiten Versuch bemühte sich die Jugendliche mehr und sie spürte das Moos unter ihren Füßen. Wie war sie hierher gekommen?

Das Mädchen folgte einer Schneise; zumindest vermutete sie dort eine Schneise. Ein echter Weg war nicht zu finden.

Die Stimme eines jungen Mannes hallte: "Oh, du bist schon hier?"

Seine Worte trafen Elena wie der Blitz. Diese Stimme. Hysterisch blickte sie sich mit großen Augen um: "Wo bin ich hier? Und wo bist du?"

"Gehe deinen Weg einfach weiter", empfahl er und antwortete: "Du wirst mich auf einer Lichtung finden."

Aus Angst vor der Begegnung, die ihr bevorstand, begann das Mädchen zu zittern. Aber sie musste es wissen. Mit einem Kloß im Hals fragte sie: "Wer bist du?"

Der Kerl seufzte: "Ach Elena, das weißt du doch längst."

Sie zwängte sich durch das Unterholz hindurch und stolperte auf die Lichtung. Tatsächlich fand die Jugendliche dort den jungen Mann, der mit dem Rücken zu ihr stand. Sie blickte auf sein weißes Haar.

Automatisch quollen ihre Augen über und sie sank auf ihre Knie. Gerade noch konnte Elena seinen Namen aussprechen und wisperte: "Marco."

Der Kerl wandte sich um. Es war tatsächlich ihr Bruder, der vor ihr stand.

Zaghaft fragte er: "Warum weinst du denn?"

Elena antwortete mit einer Gegenfrage: "Da fragst du noch?"

Bei seinem Anblick rannen die Tränen unaufhörlich über Elenas Gesicht und sie kämpfte mit sich selbst: "Ich hab dich so vermisst."
Ihr Bruder lächelte sanftmütig: "Ich dich auch, kleine Schwester."

Die Jugendliche überwand die letzten Meter, die sie von ihrem Bruder trennten. Sie ging auf ihn zu um ihn zu umarmen, aber Marco wich zurück und warnte sie: "Elena, warte. Eine Berührung wird sich anders anfühlen als sonst."

Fragend verzog das Mädchen ihr Gesicht: "Bist du etwa ein Geist?"
Bedauernd erklärte er: "Nicht nur ich. Auch du. Unsere Körper sind in der materiellen Welt zurückgeblieben. Hier findet sich nur unsere Seele."

"Ich bin tot?", fragte Elena entsetzt.
Marco zuckte mit den Schultern und wusste keine rechte Antwort: "Irgendwie nein, aber irgendwie auch schon. Dein Körper hängt noch an der Welt, aber das wäre nur eine Frage der Zeit, bis du von dort gehst."

Die Jugendliche atmete tief durch und blickte hoch in die Baumkronen: "Also bin ich so gut tot? Dann hab ich versagt. Kannst du mir sagen, was passiert ist?"

"Ach kleine Schwester. Versagen ist Ansichtssache", tröstete Marco und fügte mit trockener Kehle an: "Ich habe dir von hier aus zugesehen. Aber was passiert ist, siehst du dir am besten selbst an. Folge mir!"

Elenas Bruder ging allwissend voran, hindurch zwischen all den Bäumen. Voller Neugier fragte sie: "Woher weißt du, wo wir hin müssen?"

Er entgegnete mit einem Schmunzeln: "Wann bin ich gleich nochmal gestorben?"

Pokémon - Die Legende von Johto (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt