Kapitel 12

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»Mary?«, rufe ich und trete mit meinen übertrieben hohen weißen Highheels über die Schwelle des Ladens, wobei ich hängenbleibe und fast hinfalle. Schnell klammere ich mich an Alex' Arm, um mein Gleichgewicht wiederzufinden.

»Diese dämlichen Schuhe bringen mich noch um!«, brumme ich, was Alex neben mir zum Lachen bringt. »Ach... halt doch die Klappe! Du und dein dämlicher Hut!«, blaffe ich ihn an und bringe ihn damit noch mehr zum Lachen.

»Sophie?«, ruft Mary von hinten und kommt mit leuchtenden Augen herausgerannt. Als sie mich – oder zumindest die Person, die ich darstellen soll – erblickt, verschwindet der kleine Hoffnungsschimmer aus ihrem Gesicht.

»Tut mir leid, Sie haben eben genauso geklungen wie eine Freundin von mir«, erklärt sie und lässt traurig den Kopf hängen. In diesem Moment wird mir schmerzhaft bewusst, dass es doch Menschen gibt, denen unser plötzliches Verschwinden schwer zugesetzt hat. Naja... zumindest einen Menschen.

»Mary, ich bin es«, sage ich und streife die Perücke ab, nachdem ich mich versichert habe, dass außer uns keiner im Laden ist. Marys Augen leuchten auf und sie kommt mir in die Arme gelaufen. Alex, der bis jetzt still hinter mir gestanden ist, nimmt ebenfalls den Hut ab und grinst Mary freundlich an. Sie staunt und umarmt auch ihn sofort.

»Was um Himmels Willen macht ihr hier?«, fragt sie und kann es noch immer kaum fassen. »Und wieso steckt ihr in diesen dämlichen Kostümen?«

»Wir müssen dir etwas sagen, Mary, aber das können wir nicht hier draußen besprechen!«, sage ich leise und sehe mich nervös um. Vor der Polizei und Zed sind wir nirgends sicher!

Mary nickt und führt uns in ihr Arbeitszimmer. Wie der ganze Laden ist auch dieser Raum nicht besonders groß. Wahrscheinlich war er einmal als Abstellkammer gedacht, bis sie ihn in ein Büro umgewandelt haben. Das wird auch der Grund sein, weshalb Alex und ich uns förmlich durch die Tür zwängen müssen. Tja, wer nimmt denn an, dass in eine Abstellkammer mehr als nur Besen reinkommen?

»Okay, also... wir brauchen deine Hilfe...« Ich stocke und beiße mir nervös auf die Lippe. Wo soll ich bloß anfangen? Meine Lebensgeschichte ist so umfangreich, wie der fünfte Teil von Harry Potter! Außerdem musste ich es noch nie jemandem erzählen. Nicht einmal Alex zum Glück, denn der reimte es sich selbst zusammen.

»Wir sind in einer misslichen Situation und brauchen dich für unser Alibi!«, hilft Alex mir auf die Sprünge. Mary reißt erschrocken die Augen auf und weicht unbewusst ein paar Schritte vor uns zurück.

»Alibi? Habt ihr ein Verbrechen begangen?«

»Nein...«

»Habt ihr jemanden umgebracht?«, fragt sie verstört und sieht zwischen mir und Alex hin und her. Ich blicke sie überrascht an. Dass sie uns beiden einen Mord zutrauen würde, hätte ich mir nie gedacht.

»Nein!«

»Was ist dann los?«

»Hast du in den letzten Monaten mal die Nachrichten eingeschaltet?«, frage ich hoffnungsvoll, da das unsere Erklärung um Einiges einfacher machen würde. Mary überlegt angeregt einige Augenblicke, dann blickt sie auf und sieht zu Alex.

»Du! Du hast sie entführt! Zumindest hat dieses Gerücht irgendwer in die Welt gesetzt...«

»Du glaubst das nicht?«, fragt Alex verblüfft.

»Nein!« Sie muss schon fast lachen. »Du warst in Sophie schon verknallt, als ich euch kennenlernte! Warum solltest du sie dann entführen und ihrem Vater ins Bein schießen? Das ist Irrsinn!« Ich verziehe leicht das Gesicht und schaue Alex von der Seite her an.

SOPHIE (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt