Kapitel 20

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So schlecht habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht geschlafen. Nicht einmal, als ich noch bei Zed wohnte und das war die reinste Hölle.

Ich wälzte mich im Bett herum und machte die ganze Nacht kein Auge zu. Viel zu viele Gedanken halten mich davon ab meine Ruhe zu finden. Sie kreisen in meinem Kopf umher und versuchen, mich in die Knie zu zwingen. Was nicht mehr lange dauern wird, wenn mein Leben so weitergeht. Ich muss ständig an diese Sache mit Drake denken. Er ist sich so sicher, dass ich ein Dämon bin... Warum? Weil ich ihn einmal im Kampf besiegt habe? Daraus kann man doch keinen so bahnbrechenden Schluss ziehen! Dieses Gerücht stellt meine ganze Welt auf den Kopf! Und dann ist da auch noch diese Sache mit Zed. Seine Gerichtsverhandlung ist heute um 15 Uhr und ich muss aussagen. Vor allen versammelten Leuten und diese Verhandlung wird gefilmt und überall ausgestrahlt. Es kommt wohl nicht oft vor, dass ein Kind über sieben Jahre lang die Sklavin ihres Vaters war und niemand es je bemerkt hat. Noch dazu in einer kleinen Stadt wie unserer.

Ich reibe mir müde die Augen und schwinge die Beine aus dem Bett. Es ist sechs Uhr morgens, aber ich kann nicht noch länger im Bett liegen und über mein verdammtes Leben nachdenken. Das geht nicht. Ein paar Minuten länger und ich werde an meinen ganzen Gedanken ersticken. Wie gewöhnlich blicke ich neben mich auf die Stelle, wo normalerweise Alex liegt. Aber da ist niemand. Ich bin kurz davor ihn zu verlieren, das spüre ich. Trotzdem unternehme ich nichts dagegen. Das hilft auch nichts mehr. Ich kann ihm jede Ausrede auf den Tisch knallen, die mir in den Sinn kommt. Auch wenn ich ihn dadurch wiedergewinne, wäre es nichts weiter als eine dicke fette Lüge! Denn die Wahrheit über meine Gefühle kann ich keinem preisgeben, nicht einmal Alex. Er würde mich hassen, mich nie wieder so ansehen, wie er es jahrelang getan hat, wenn er erfährt, was ich bin. Was Drake denkt, das ich bin... Ich könnte mich nie wieder wirklich und wahrhaftig glücklich fühlen in seiner Gegenwart mit dem ständigen Gewissen ihm etwas zu verschweigen. Ihm sehr viel zu verschweigen. Diese Lügen würden sich zwischen unsere Beziehung zwängen wie ein großer Sack Dynamit, der jede Sekunde hochgehen kann. Bei jeder kleinsten Bewegung würde ich Herzrasen bekommen, bei jedem Atemzug unerträgliche Angst. Angst vor dem, was passiert, wenn alles auffliegt und ich völlig entblößt dastehe. Angst vor dem Blick, den Alex mir zuwirft, wenn er es herausfindet. Ganz gleich, ob diese Vermutung von Drake der Wahrheit entspricht oder nicht, es wäre eine Lüge. Etwas, das ich ihm verschwiegen habe. Ich würde ihn hintergehen.

Also nein. Es kann einfach nicht mehr so werden wie früher.

Ich schließe die Augen und zwinge die Tränen dorthin zurück, von wo sie gekommen sind. Ich weiß, man soll seine Tränen nicht unterdrücken, weil es wichtig ist zu weinen. Weinen reinigt die Seele, hat meine Mutter immer gesagt. Aber ich weinte schon die ganze Nacht. Das brauche ich nicht auch noch am Tag. Es würde bedeuten, dass ich zu schwach bin, um meinen Gefühlen Widerstand zu leisten und dann wäre ich definitiv zu schwach für diese Familie und diesen Kampf.

Als ich mich wieder einigermaßen zusammengerissen habe, stehe ich auf und schlendere zu meinem Kleiderschrank. Ich habe nicht wirklich viele Sachen zum Anziehen mitgebracht, deshalb gaben sie mir einiges von May. Es zu tragen fühlt sich merkwürdig an. Als würde ich versuchen sie zu ersetzen. So, als wäre schon klar, dass wir diesen Kampf umsonst führen, weil sie nicht mehr da ist. Aber das will ich mir nicht eingestehen. Nicht May. Ich fahre mit den Fingern sanft am Saum ihrer Kleider entlang und erinnere mich wie sie darin aussah. So voller Leben, Licht und Liebe. Sie ist der Innbegriff des Guten. Schnell schüttle ich den Kopf und klatsche die Schranktüren wieder zu. Wir haben keine Zeit für Gefühlsduseleien. Ich ziehe meine Alltagshose an und ein schlichtes T-Shirt bevor ich aus der Tür gehe. Meine Haare binde ich, während ich die Treppen hinunterlaufe, zu einem Zopf zusammen. Als ich die Tür zum Wohnzimmer öffne, finde ich Rob in einem Sessel sitzend vor. Er starrt aus dem Fenster und sieht sich in Ruhe den Sonnenaufgang an. Wie das glühende Morgenlicht alles in ein strahlendes Gelb verwandelt und die feinen Sonnenstrahlen sich langsam durch die Bäume kämpfen. Es ist wunderschön.

SOPHIE (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt