Kapitel 16

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Eine Stunde sitze ich schon im Wohnzimmer und warte. Warte auf ein Zeichen, ein Geräusch, einen Anruf... irgendwas. Aber es kommt nichts. Ich mache mir Vorwürfe, weil ich einfach weggerannt bin, ohne an die Folgen zu denken. Wo steckt Alex bloß? Ich hoffe nur, dass er nicht wieder für ein paar Tage untertaucht, wie damals.

Nein, das würde er nicht noch einmal tun!

Ich beiße mir auf die Unterlippe und bin mir plötzlich unsicher. Alex hat sich immer wieder rar gemacht, wenn es ernster wurde.

Was, wenn er nicht mehr zurückkommt? Was, wenn ich ihn nun endgültig verloren habe? Das kann ich nicht noch einmal durchmachen! Ich fühle schon wieder die aufkommende Leere, die wie ein Aasgeier über den Trümmern meines Herzens kreist. Plötzlich höre ich, wie die Tür aufgerissen wird. Ich stehe so schnell auf, dass mein Sessel umfällt und renne in den Vorraum.

»Alex?«, rufe ich hoffnungsvoll.

»Nein, tut mir leid...«, sagt Mary und kommt auf mich zu. Ich lasse die Schultern hängen und die Tränen übermannen mich erneut.

»Er ist weg, Mary«, schluchze ich und lasse mich von ihr in den Arm nehmen.

»Alex ist im Gefängnis. Man hat dich durch die Stadt laufen sehen und kam ihm auf die Schliche...« Ich starre sie mit tränenüberströmtem Gesicht an. Ich kann es nicht glauben.

»Wie hast du das herausgefunden?«

»Hat sie nicht!«, sagt plötzlich jemand hinter mir. Ich drehe mich um und sehe Drake, der ins Haus kommt. Er rümpft die Nase, als er sich im Vorzimmer umsieht.

»Und?«, hake ich nach und ignoriere seine Reaktion.

»Ich habe ihn gesehen. Er wurde von Polizisten weggebracht.«

»Wann hast du ihn gesehen? Du warst doch die ganze Zeit über bei uns. Und als ich herkam war er schon weg!«

»Ja, was das anbelangt...«, beginnt er und kratzt sich verlegen im Nacken. »Alex wurde schon verhaftet, als du bei Mary ankamst«, gesteht er. Einige Sekunden bin ich unfähig etwas zu sagen, ich starre Drake nur vorwurfsvoll an.

»Und da sagst du gar nichts?«, hauche ich, während ich die Wut wie eine Welle über mich kommen fühle. »Du wusstest, wie ich mich fühlen würde, wenn ich hierherkomme und er ist nicht da! Warum hast du das getan?«, schreie ich und gebe ihm eine Ohrfeige, die sich gewaschen hat. Drake verliert leicht sein Gleichgewicht, doch macht keine Anstalten zurückzuschlagen. Gut für ihn, in meiner Wut hätte ich ihn bestimmt überwältigt. Auch als Mensch!

»Sophie! Ist schon gut!«, versucht Mary mich zu beruhigen und zerrt mich ein Stück von Drake weg. »Es tut ihm wirklich leid, das hat er mir gesagt. Deshalb sind wir so schnell wie möglich gekommen.«

»Du vertraust ihm?«, frage ich entgeistert und zeige mit dem Finger abwertend auf Drake, der auf seine Füße starrt.

»Wieso nicht?«, fragt sie und zuckt mit den Schultern.

»Wieso schon?! Wenn du wüsstest, was er schon alles angerichtet hat! Er wollte mich umbringen! Zweimal! Er gab zu, dass er aus Vergnügen Menschen umbringt und es wie einen Unfall aussehen lässt! WIESO VERTRAUST DU IHM?«

»Weil ich daran glaube, dass jeder Mensch sich ändern kann!«, sagt sie scharf und macht einen Schritt von mir weg.

»Aber er ist doch gar kein Mensch!«, sage ich, während mir wieder die Tränen kommen und meine Stimme brüchig wird. Jetzt höre ich mich schon genauso an wie Alex.

»Alex hat ihm nie vertraut, ich hätte ihm nicht vertrauen dürfen.«

»Sophie... es tut mir leid. Wirklich. Ich... ich habe noch nie Menschen aus Spaß umgebracht, das habe ich dir nur erzählt, damit du dich vor mir fürchtest. Ich will euch ehrlich helfen.«

SOPHIE (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt