6. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩

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*Kathlyn*

„Wir könnten immer noch wegziehen! Lass uns unsere Koffer packen und einfach verschwinden!"

Ich saß auf der Treppe und hörte meinen Eltern beim streiten zu, wie so oft in den letzten Tagen. Der Alpha hatte mir eine Bedenkzeit von 3 Tagen eingeräumt. Morgen war die Frist um.

„Das haben wir doch schon besprochen Mary! Der Rat lässt uns nicht aus den Augen. Sobald wir uns ins Auto setzen, stehen sie vor der Einfahrt. Carola ist nicht dumm. Und der Alpha hat sicher auch jemanden, der uns im Auge behält."

„Dann nimm Kathlyn und verschwindet allein! Ich komme nach, sobald ich kann!"

„Wir würden den Ortsausgang nie erreichen, das weißt du so gut wie ich. Selbst wenn wir Kathe hier irgendwo verstecken können, würden die Wölfe sie finden. Und dann würden sie sich an uns rächen."

„Wenn wir nichts unternehmen, wird der Rat Kathlyn ausliefern! Zum 'Wohle der Stadt'!" Meine Mutter klang so verzweifelt, wie ich mich fühlte. Meine Lage war aussichtslos. Entweder ich lieferte mich dem Alpha freiwillig aus, oder man würde mich ausliefern. Die einzig andere Alternative wäre ein Krieg. Einen Krieg, den wir nie und nimmer gewinnen würden.

Carola hatte Recht: Es ging um das Leben aller Menschen in Ilargia. Natürlich war es da wesentlich effizienter, nur mich zu opfern. Oder, wie es alle erwarteten, dass ich mich selbst opferte. Ich Heldin.

Was wollte der Alpha ausgerechnet von mir? Ich war niemand. Es gab weitaus nützlichere und hübschere Mädchen in Ilargia – und mit Sicherheit auch willigere! Andererseits war seine Entscheidung natürlich auch nachvollziehbar: Ich hatte die Ausgangssperre ignoriert. Ich war von dem Vampir angegriffen worden. Er hatte mich beschützt, und als dank wurde er angeschossen. Genau genommen war ich also für den ganzen Schlamassel verantwortlich.

Ich schluckte schwer. Natürlich gefiel mir die Vorstellung von einem Krieg überhaupt nicht. Aber der Gedanke diesen Wesen ausgeliefert zu sein, denen ich nichts entgegensetzen konnte, verursachte bei mir einfach nur Panik. Vor allem die Vorstellung, was der Alpha mit mir anstellen würde, sollte er mich in die Finger bekommen. Würde er sich grausam rächen, oder hatte er schlimmeres mit mir vor?

Mom kam weinend aus der Küche, sah mich auf der Treppe sitzen und blieb stehen. „Entschuldige Schatz." Fahrig wischte sie sich über die geschwollenen Augen. „Ich versuche wirklich stark zu sein, oder eine Lösung zu finden. Aber ..."

„Es gibt keine." Mein Dad sah fertig aus. Er hatte bisher das Meiste einstecken müssen. Im Rathaus gab es nun jeden Tag eine Krisensitzung und er nahm an jeder einzelnen Teil. Kaum war er zu Hause, bekam er Feuer von meiner Mutter. Er tat mir leid.

„Können wir ihm nicht etwas anderes anbieten? Jemand anderen?" Mom klammerte sich wirklich an jeden Strohhalm und ich liebte sie dafür. Gleichzeitig brach es mir das Herz.

„Er will nichts anderes. Er hat nur diese eine Bedingung gestellt. Darüber wird er nicht verhandeln."

„Wie läuft das morgen ab?", wollte ich wissen.

„Carola erwartet die Wölfe im Rathaus. Dort werden ihnen die Ratsmitglieder deine Entscheidung mitteilen. Falls du dich wieder dagegen entscheidest, werden sie versuchen etwas auszuhandeln." Oder ein Mob würde kommen und mich holen.

„Ich muss nicht dorthin?", vergewisserte ich mich.

„Nein." Er ließ sich auf die Treppenstufe unter mir sinken und rieb sich erschöpft über das Gesicht.

„Bis wann muss ich mich endgültig entschieden haben?"

„Die Frist endet um 12 Uhr mittags." Er warf mir einen Blick zu, in dem ich Mitleid, Liebe und Sorge erkennen konnte. „Es ist deine Entscheidung Kathlyn. Egal wie sie ausfällt, wir werden hinter dir stehen."

Between the linesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt