Yagmur's Sicht:
Das Gehirn ist so eingestellt, dass man vergisst.. man vergisst die Trauer und das Glück.. nach einer Zeit fängt das Gehirn an alle einzelnen Gefühle zu löschen.. Es ist eigentlich logisch, da man es sonst nicht aushalten könnte.. stellt euch einmal vor ihr würdet die Trauer jede Sekunde erneut erleben. den selben Schmerz wie am Anfang fühlen..
Wenn man immer wieder glücklich ist, vergisst man was eigentlich glücklich sein heißt.. mit jeder Erfahrung erleben wir die Gefühle erneut.. uns kommt es zwar bekannt vor nur sind diese Gefühle für unser Gehirn neu, da es sie davor gelöscht hatte..
Und genau diesen Moment erlebte ich.. erneut spürte ich den Schock in mir.. wie bei jeder einzelnen Sitzung die ich hatte.. so viele Patienten und so verschiedne geschickten die mich schockierten.. erneut erlebte ich dieses Gefühl..
Das kleine Mädchen saß vor mir auf den zu großem Sessel und spielte mit dem kleinen Ball in ihrer Hand.. Ihre Pflegefamilie hatte mit mir gesprochen.. sie sprach seit Wochen mit niemandem..
"Soll ich dich sophia oder marie nennen?"
Sie zuckte nur mit ihren Schultern und drückte den Stoffball in ihrer Hand viel fester zusammen..
"Du kannst mit mir reden.. Willst du mit mir reden sophia ?"
Sie schüttelte den Kopf und sah weiter auf ihren Ball.. ich betrachtete sie lange. ihre nicht zu kurzen Haare fielen über ihre Schulter.. ihre dunkelbraunen Augen sahen konzentriert auf den Ball und ich betrachtete ihre Hände.. sie trug eine Jacke und es war sehr warm im Raum..
"Willst du deine Jacke nicht ausziehen?"
"Er hat gesagt ich soll sie nicht ausziehen.."
Sie sah vielleicht zum ersten Mal in meine Augen und ich beugte mich etwas vor..
"Wer ist er sophia?"
"Darf ich nicht sagen.."
Sie sah wieder auf den Ball und ich sah wie nervös sie wurde.. Ich stand von meinem Platz auf und setzte mich neben sie auf den zu großen Sessel.. sie umklammerte den kleinen Ball fester mit ihrer Hand und ich konnte von ihrem etwas schnelleren Atem hören wie nervös sie all das machte..
"Du weist doch, dass ich niemanden etwas sagen werde.. du kannst mir vertrauen.."
"Er kann alles hören!"
Sie sprach leise und sah mich warnend an.. Sie legte den Ball auf den Tisch und sah sich einmal im Raum um bevor sie wieder zu mir sah..
"Du darfst das aber keinen sagen!"
"Ich verspreche es."
"Wir haben einen Keller bei uns.. ganz hinten ist ein leerer Raum wo meine alten Sachen sind.. ich wollte etwas rausholen dann kam er.. er hat die Tür abgeschlossen.."
Sie sprach nicht weiter.. nahm den Ball vom Tisch und fing wieder an ihn in der Hand zu zerdrücken..
"Willst du mir sagen wer "er" ist?"
"Darf ich nicht.. er hat gesagt wenn das jemand erfährt werde ich wieder in ein Heim kommen.."
Sie sah kurz zu mir und dann auf die Uhr.. sie stand auf und lächelte mich kurz an.. die Stunde war voll.. sie ging ohne ein Wort zu sagen aus dem Raum und ich folgte ihr..
"Tschüs!"
Sie winkte mir bevor sie ihre Pflegemutter an der Hand nahm und die Praxis Verlies.. wie angewurzelt starte ich auf die tür.. minutenlang starrte ich auf die Tür..
Ich hatte gelernt mit solchen Situationen umzugehen.. ich hatte gelernt meine Gefühle unter Kontrolle zu halten aber wie gesagt, dass gehirn löscht diese Gefühle und man fühlt dieses Gefühl erneut..
"Bist du fertig? "
Ich sah zu Arzu die fertig angezogen aus ihrem Büro kam und mich anlächelte.. Ihr Lächeln verschwand als sie mein Gesichtsausdruck sah..
"Yagmur.. wir sollten jetzt nachhause.. ich glaub du solltest mit kenan reden.."
"Schweigepflicht."
Ich lief vor ihr aus der Praxis und stieg in das Auto.. Gedankenverloren sah ich auf die Straße während Arzu den Motor startete und losfuhr..
Sie parkte vor der Wohnung und wir stiegen aus.. ich schloss die Tür auf und sofort hörte ich das Lachen von yakup und kenan.. mert sagte, dass kenan vorsichtig sein soll und Arzu lief sofort ins Wohnzimmer..
Arzu: kenan! Hör auf er wird sich übergeben!
Yakup: gug! Ich ka fliegennnnn!!
Mert: kenan!!
Ich betrat langsam das Wohnzimmer und sah zu kenan der yakup im Kreis drehte.. Arzu versuchte ihn aufzuhalten doch kenan ignorierte sie einfach..
"Kenan! Es reicht!"
Kenan hörte sofort auf und sah mich verwirrt an, da ich selten Ernst sprach.. er lies yakup auf den Boden und er taumelte erst ein paar Schritte bevor er auf sein hintern fiel und leise lachte..
"Geht es dir gut? "
Ich nickte nur und lief die treppen hoch.. kurz sah ich zu Arzu die mit yakup sprach.. in meinem Zimmer angekommen warf ich mich auf das Bett und schloss meine Augen um mich zu erholen..
"Du kannst mit mir reden.."
"Schweigepflicht!"
"Yagmur.. dein Beruf ist nicht leicht.. aber du solltest ebenfalls jemanden zum Reden haben.."
Ich nickte nur und kenan legte sich neben mich bevor er uns zudeckte..
"Willst du mir sagen was los ist?"
"Stell dir ein ganz kleines und hübsches Kind vor..sie geht in den Keller um etwas zu holen und da kommt er.. er tut Sachen mit ihr, die ein Kind in ihrem Alter nicht verstehen kann.."
"Du weist schon, dass man ihn festnehmen kann?"
"Sie sagt nicht wer "er" ist."
Er sagte nichts mehr und ich hörte wie die Tür aufging.. Ich hatte meine Augen immer noch zu und wollte sie auch nicht öffnen.. ich wusste, dass es Yakup war und meine Vermutung bestätigte sich als ich sein Lachen hörte..
Yakup: bis du krank?
Ich schüttelte den Kopf und öffnete langsam meine Augen bevor ich lächelte..
"Meine Mama sag ich soll zu dir"
Es herrschte Stille und ich hörte wie mert und arzu stritten.. kenanseufzte genervt und ich stand vom Bett auf..
"Yakup geh doch in dein Zimmer und zieh dich an.. ich bring dich gleich zu deiner Oma.."
Er nickte und rannte aus meinem Zimmer.. genervt lief ich ins Wohnzimmer und sah wie Arzu und mert sich gegenüber standen und schrieen..
Arzu: er ist nicht nur mein Kind! Ich kann nicht alles auf einmal!
Mert: ich habe es vergessen!
Arzu: man kann so etwas nicht vergessen!! Er ist dein Sohn! Du solltest ihn vom Kindergarten abholen und das hast du vergessen!
Mert sah Arzu wütend an und ich sah zu kenan der sich gegen die Wand gelehnt hatte und nichts sagte..
"Streitet euch wo anders! Yakup ist im Haus!"
Mert: ich bin kein schlechter Vater! Ich tu alles was ich kann! Ich habe alles für diese Familie getan! Ich habe alle geopfert!
Arzu: du hast alles geopfert?! Ich war mit 18 schwanger! Ich habe mit 18 ein kind bekommen! Also sag nicht dass du etwa geopfert hast! Ich wollte nicht mal ein Kind ich war selber noch ein Kind!"
Ich zuckte leicht zusammen als ich spürte, dass jemand mein Bein umklammerte.. verwirrt sah zu Yakup der mein Bein fest umklammerte und seine Augen zusammen gekniffen hatte.. Arzu sah zu Yakup und dann zu mir..
"Ich geh mit ihm raus."
Alles nickten und ich nahm Yakup an der Hand bevor ich mit ihm das Haus verließ.. Minutenlang liefen wir leise nebeneinander.. er versuchte im selben Takt wie ich zu laufen..
"Gehn wi zu ali dayi?"
Er sah zu mir hoch und ich nickte.. wir überquerten die Straße und ich lies yakup's hand nicht los.. als wir vor der Haustür standen klopfte ich an und ali öffnete mir die Tür..
Yakup: ich hab mei Auto dabei!!
Ali lachte und bat uns herein.. Yakup packte sofort all seine Spielsachen aus und ich beobachtete ihn dabei..
Ali: haben sie sich wieder gestritten?
Ich nickte nur als Antwort und hoffte, dass Yakup nichts mitbekam.. Arzu's familie hatte mittlerweile alles akzeptiert..
Ali: Yakup wird das alles nicht gut tun.. dieser ganze Streit ist zu viel für ihn..
"Kannst du auf ihn aufpassen? Ich sollte zu Arzu gehen.."
Er nickte und ich küsste Yakup auf die Wange bevor ich wieder nachhause lief.. Als ich den selben Weg wieder zurück lief sah ich die ganze Zeit auf den Boden.. ich konzentriere mich auf meine Füße.. vielleicht sollte ich mir neue Schuhe kaufen.. obwohl Zuhause hatte ich auch noch genug..
Ich überlegte lange ob ich mir neue Schuhe kaufen sollte oder nicht bis ich vor unserer Wohnung stand und die tür aufschloss.. Mein Blick ging durch das leere wohnzimmer und ich konnte die Stille im Raum förmlich spüren.. langsam lief ich die treppen hoch.. Leise betrat ich unser Schlafzimmer und sah wir kenan betete..
Ich lehnte mich gegen den Türrahmen und ein leichtes Lächeln schlich auf meine Lippen.. wie konnte jemand etwas so sehr lieben, dass man dafür sterben könnte? An etwas so gebunden sein, dass man alles dafür aufgeben würde?
Ich hatte selber angefangen ab und zu zubeten.. kenan hatte so einen großen Einfluss auf mich.. er allein hätte es geschafft mich zu ändern.. er alleine hatte mir den richtigen Weg gezeigt.
"Sind mert und Arzu weg?"
Kenan nickte nur und stand auf bevor er den Gebetsteppich ordentlich zur Seite legte..
"Hast du Hunger?"
Ich schüttelte den Kopf und legte mich ins Bett.. meine Augenlider fielen automatisch zu und ich konnte spüren wie ich fast einschlief..
"Zieh dir etwas anderes an.."
Ich schüttelte erschöpft den Kopf und kenan lachte.. ein leises Lächeln schlich auf meine Lippen als ich sein leises lachen hörte.. Er legte sich neben mich und ich schlief ein..
Es faszinierte mich wieder aufs neue wie friedlich und behutsam ich neben kenan schlafen konnte.. er ab mir diese Geborgenheit.. wenn er Nachtschicht hatte schlief ich so unruhig.. und wenn er hie war.. direkt neben mir.. konnte ich so gut und friedlich schlafen..
"Aufstehen Regen!"
"Ich hasse es wenn du mich so nennst!"
Kenan lachte und zog mir meine Decke weg.. ich öffnete meine Augen und versuchte kenan wütend anzusehen doch er lachte nur.. Wiederwillig stand ich auf und machte mich fertig..
"Ich komm heute später.."
Ich nickte nur als Antwort und räumte meinen Teller ein.. kenan zog sich gerade seine Jacke an und ich betrachtete mich noch kurz im Spiegel..
"Du siehst gut aus und jetzt komm!"
Ich verließ mit ihm zusammen das Haus und stieg in das Auto.. ich sah zu kenan der sich auf die Straße konzentrierte.. kurz sah er zu mir und lächelte.. Es herrschte Stille und ich genoss jede einzelne Sekunde..
"Ich hol dich dann ab.."
Ich nickte und stieg aus.. Ich betrat die Praxis und ging sofort in mein Büro.. ich zog meine Jacke aus und in dem Moment kam Arzu rein..
"Ich muss heute früher gehen.. Yakup ist krank.."
"Du kannst jetzt gehen wenn es schlimm ist."
Sie schüttelte den Kopf und verließ mein Büro.. Jana kam rein und ich lächelte sie an.. Sie arbeitete bei uns. sie war für alles verantwortlich.. Akten der Patienten und für die Ordnung..
"Herr Himmelstein hat heute abgesagt.. Aber seinen Termin hat ein herr Sari.."
"Leg die Akte einfach auf meinen Tisch.."
Sie nickte und legte die Akte auf meinen Tisch.. minutenlang starrte ich das Bild an welches Yakup gemacht hatte.. es waren mehrere seiner Handabdrücke in verschiedenen Farben..
"Herr Sari ist jetzt da.. soll ich ihn zu ihnen schicken?"
Ich nickte und stand von der Couch auf um meine Klamotten zu richten.. es dauerte nicht lange und der Mann betrat den Raum.. ich sah von meiner Akte auf und sofort spürte ich da Adrenalin und die angst.. ich stand von meinem Platz auf und der Mann lächelte..
"Yagmur?"
"Frau öztürk."
Ich versuchte ernst zu klingeln.. erneut lächelte der Mann mit der zu großen Kapuze.. er setzte sich hin und reichte mir ein Blatt Papier..
"Was ist das ?"
Er sagte nichts und ich las es mir durch.. Schweigepflicht.. ich hatte schon eine unterschrieben als ich mein Diplom bekam doch noch nie wollte ein Patient eine extra Schweigepflicht.. ich griff nah dem Stift und unterschrieb bevor ich das Blatt wieder zurück gab.
"Sie sind verheiratet.. haben sie Kinder?"
"Nein.. Sie?"
Er lachte kurz und nickte.. es herrschte eine unangenehme Stille bevor er anfing mit seinem Fuß zu tippen was mich auf einer Art und Weise nervös machte doch ich ignorierte es..
"Ich habe zwei Kinder.. Sie sind beide 25 Jahre alt geworden dieses Jahr.. Meine Tochter hat letztes Jahr geheiratet und mein Sohn vor 4 Jahren.. er ist sehr zielstrebig.. tut Alles was er kann nur um sein Ziel zu erreichen.. meine Tochter ist sehr sensibel.."
"Und Ihre Frau?"
"Sie starb vor 3 Jahren.. für meine Kinder war es schwierig es zu akzeptieren, da sie ohne vater aufwuchsen.."
Es herrschte Stille und mein Gehirn arbeitete so schnell wie noch nie zuvor.. ich konnte spüren wie mein Herz schneller schlug..
"Wissen sie wie es ist jemanden anzulügen? Wenn man eine Lüge ein lebenlang mit sich trägt? Niemandem die Wahrheit sagen darf um sie zu beschützen? Wenn jeder denkt dass man tot ist obwohl man lebt?"
Es herrschte Stille und ich sah stumm zu dem Mann.. langsam nahm er seine Kapuze ab und sofort fiel mein Blick auf seine eisblauen Augen.. mein Atem stockte.. solche Augen hatte ich nur bei kenan gesehen.. und jetzt realisierte ich, dass dieser mann, der vor mir stand und mich unsicher anlächelte Kenan's Vater war..