Kapitel 8 ~ Eis und Idioten

260 21 4
                                    

Scharf bremste Mia vor der Eisdiele. Sie stellte ihr Fahrrad zu den Fahrradständern und schlenderte auf das Gebäude zu. Draußen, an einem kleinen runden Tisch, sah sie ein Mädchen mit brustlangen, braunen Haaren sitzen. Das war ihre Freundin, Anna.
Wenn man sie Freundin nennen konnte. Eigentlich hatten sie sich erst gestern kennengelernt. Doch das Mädchen war ihr sympathisch und wenn sie mehr Abenteuer im Leben haben wollte, konnte Mia ihr vielleicht helfen. Sie wollte schon immer einen Komplizen bei verrückten Plänen, die unvergessliche Erinnerungen schufen.

„Hey", grüßte sie, als sie sich auf den Sessel gegenüber von Anna plumpsen ließ.
„Guten Morgen. Zeit für Mathe", grinste das Mädchen frech.
„Sehr witzig", meinte Mia lächelnd, „aber es sind Ferien. Das bedeutet; kein Mathe, kein Aufzeigen, keine Schule und stattdessen gehen wir mit Abenteuerlust hinaus, leben im Moment und kommen mit dreckigen Klamotten spät abends wieder heim."

Anna lächelte bloß, aber ihre rehbraunen Augen strahlten vor Aufregung. Sie wollte etwas erleben, das erkannte Mia sofort.
Das wollte sie auch.
Geschichten, die sie irgendwann einmal ihren Kindern erzählen würde.
Freundschaften, die ewig halten.

„Zu deinem Glück sind Ferien. Du wärst zu spät zum Unterricht gekommen", tadelte Anna, doch sie hatte immer noch ein Grinsen im Gesicht.
„Das war nicht meine Schuld!", protestierte Mia, „So ein Trottel, den ich umgefahren habe, hat mich aufgehalten."
Anna lachte ungläubig.
„Hätte er dich aufgehalten, wenn du ihn nicht umgefahren hättest?"

Mia macht den Mund auf, nur um ihn gleich wieder zu schließen.
Touché, dachte sie.

„Auf welcher Seite stehst du?", fragte Mia lachend.
„Hast du dich wenigstens entschuldigt?"
Mias Mundwinkel fielen nach unten.
„Na schön, vielleicht war es doch meine Schuld."

Anna kicherte.
„Fahr beim nächsten Mal bitte meine Nachbarn an."
„Die, bei denen du gestern vom Dach gefallen bist?", lachte Mia.
„Ich nenne sie ja 'Herr und Frau Perückenschaf' ", erzählte Anna.
„Mir waren sie immer nur bekannt als 'Herr und Frau Kinderschreck' "

Die zwei Mädchen lachten.
In dem Moment, kam der Besitzer der Eisdiele.

„Was darf's denn sein?", fragte er mit einem warmen Lächeln.
„Einen Eiskakao, bitte", meinte Mia.
Anna warf ihr einen fragenden Blick zu, zuckte dann aber mit den Schultern.
„Dasselbe bitte", sagte sie anschließend.

Als der Mann wieder im Gebäude verschwand, begann Anna wieder zu sprechen.

„Es ist noch Vormittag."
„Du darfst dir im Leben auch manchmal etwas gönnen", grinste Mia.

Stille trat ein.
Mia mochte Stille, aber nur in manchen Situationen.
Wenn sie durch den Wald radelte.
Wenn sie las.
Wenn sie wandern ging und am Gipfel eine Berges die Aussicht genoss.

Sie mochte die Stille, in ruhigen Momenten, die sie auf eine unerklärliche Weise erfüllten.

Doch sie liebte auch das Laute.
Wenn sie bei einer Familienfeier ihres Vaters war und alle Tanten tratschten.
Lachen.
Die Musik auf Festen.
Die Motoren von Formel 1 Autos.

Manchmal war Lautstärke auch etwas Gutes.
Und jetzt im Moment, wollte Mia nicht still sein.

„Und jetzt erzähl mal, du spielst also Fußball?", fragte sie.
„Ja, ich liebe es. Aber ich kann es eben nur heimlich tun", antwortete Anna.
„Du solltest deine Leidenschaft nicht verstecken."

Anna senkte den Blick und nickte nachdenklich.
Mia fragte sich, was bei ihr zuhause wohl los war.

„Und kickst du?", fragte Anna schließlich wieder mit einem Lächeln im Gesicht.
Mia erkannte, dass es nicht echt war, aber sie wollte auch nicht in Annas Privatsphäre herumstöbern.

„Nein", lachte Mia, „ich denke ich bin grauenhaft. Ich kenne die Regeln, mein Vater schaut immer Fußball und manchmal hat er mich schon ins Stadion mitgenommen, aber selber spielen kann ich nicht. Ich weiß bloß, dass man nicht mit dem Spitz kicken soll."

Anna lachte, aber sie musterte Mia nachdenklich. Irgendetwas verheimlichte sie.

Was Mia ihr verschwieg, war, dass ihr Vater sich oft mit Freunden traf. Die hatten alle aber nur Söhne. Sie hatte immer mit ihnen gespielt.
Das waren diejenigen die sie immer "Memme" oder "Tussi" genannt hatten.
Und eben diese hatten ihr auch eingetrichtert, dass sie nicht gut Fußball spielen konnte.
Dass ihr Vater Frauenfußball lächerlich fand, weil es -laut ihm- kein richtiges Fußball war, kam noch dazu.

Deshalb unterstützte Mia Dani so sehr. Sie sollte den Jungs zeigen, dass Mädchen genauso gut Fußball spielen können.

„Aber ich habe eine Freundin, die Fußball spielt", warf Mia daher ein, „Sie ist im Tor und heilige Scheiße, ich würde mein Bike darauf verwetten, dass sie mal groß rauskommt."
„So eine Freundin habe ich auch", grinste Anna, „aber sie ist zurzeit noch in keiner Mannschaft."

Plötzlich war Geschrei zu hören.
Es wurde geflucht und gelacht.

Ein Haufen Jungs fuhr mit den Fahrrädern an ihnen vorbei.
Mitten unter ihnen, Mias Freundin, Dani.
Doch das war noch nicht alles.
Da waren auch der Junge, den sie überfahren hatte, der kleine Bruder und das rothaarige Mädchen, das sie getroffen hatte, dabei.

Beim allmächtigen Motorengott, was war denn jetzt los?

Anna verdrehte die Augen.
„Kannst du sie nicht leiden?", fragte Mia.
„Der Anführer von denen, ist zu jedem gemein, der schlauer ist als er. Also zu so gut wie jedem. Vor allem wenn man ein Mädchen ist."
„Der Junge, den ich umgefahren habe, ist da auch dabei", erklärte Mia.

„Seit wann haben die Mädchen dabei?", fragte Anna.
„Die haben sich wohl durchgesetzt", meinte Mia und verschwieg, dass sie Dani kannte. Immerhin konnte Anna den Anführer nicht leiden.

„Die behandeln Mädchen, als wären sie weniger Wert", meinte Anna angewidert, „Zumindest scheint es so."
„Ein Haufen Idioten, wenn du mich fragst."

In dem Moment stellte der Besitzer das Eis vor ihnen auf den Tisch.

„Zwei von denen sind meine Söhne", sagte er.

Mia begann sich am Arm zu kratzen.
Anna riss die Augen auf.
Die beiden warfen sich hilfesuchende Blicke zu.

„Aber ja, sie sind Idioten."

Soccer Girls - Mädchenchaos im Wilde-Kerle-LandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt